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„Richard III.“ in DüsseldorfDer böse Schwanzträger unter stolzen Frauen

Lesezeit 4 Minuten
Richard III.
von William Shakespeare am Düsseldorfer Schauspiel

Richard III. von William Shakespeare am Schauspiel in Düsseldorf

Das Düsseldorfer Schauspielhaus schickt seinen Star André Kaczmarczyk als Shakespeare-Bösewicht Richard III. in die Geschlechterschlacht.

Richard III. beginnt, wie er endet: als ungeliebtes Häufchen Elend. So kauert André Kaczmarczyk, Star des Düsseldorfer Ensembles, unter einer Decke in der Ecke des Königspalastes. Dessen Wände bröckeln bereits, dazu durchschneidet ein Eiserner Vorhang mit Video-Gegensprechanlage den Raum, verleiht ihm das Atombunker-Ambiente eines Zukunftsfilms aus der Hochzeit des Kalten Krieges (Bühne: Etienne Pluss).

Eine Bedienstete (Blanka Winkler) im Businesskostüm bringt ihm Ponyboots, absatzlose Fetischstiefel, in denen der Fuß fast senkrecht auf einer Art Hufe steht. In ihnen entfaltet sich Richard vor einem beleuchteten Spiegel zur vollen Größe, die Schultern hochgezogen, den Oberkörper vorgebeugt, um die prekäre Balance zu halten. So ergibt sich der berühmte Buckel, den Shakespeare seinem royalen Bösewicht angedichtet hat, hier ganz von selbst aus Richards Bemühungen, sich über seine Konkurrenten zu erheben.

Regisseur Evgeny Titov hat alle Männerrollen gestrichen

Das ist der erste Kunstgriff in Evgeny Titovs Inszenierung, die das Düsseldorfer Schauspielhaus ehrlicherweise als – ziemlich radikale – Bearbeitung des Stoffes hätte annoncieren sollen: Mit Shakespeares längstem oder, je nach Quelle, zweitlängstem Stück ist der russische Regisseur in knapp zwei Stunden durch. Das liegt vor allem am zweiten Kunstgriff: Titov hat fast alle männlichen Rollen gestrichen, einzig Lord Hastings ist zur bereits erwähnten geflissentlichen Dienerin mutiert. Bleiben noch der sterbende König Edward IV. und seine kleinen Prinzensöhne, keine ernstzunehmenden Gegner für Richard.

Umso stärker die Frauen: Gegen den entfesselten Furor von Judith Rosmair, Mutter der im Tower ermordeten Prinzen, oder gegen die kalte Verachtung von Friederike Wagners Altkönigin Margaret, wirkt der gekrümmte Intrigant doch recht schwach, ein Wunder, dass es ihn unter den Anklagen dieser Powerfrauen nicht aus den Ponyboots haut.

Dennoch erhält er den Segen seiner ihn bitter verachtenden Mutter (Manuela Alphons), umwirbt erfolgreich Claudia Hübbeckers Lady Anne am Sarg ihres Mannes, den er gerade erst umgebracht hat. Immer wieder lassen sich die stolzen Witwen von ihm bezirzen und gegeneinander aufhetzen, von weiblicher Solidarität hat man an diesem Hof noch nichts gehört.

Richard III. erscheint hier als Vorläufer von Harvey Weinstein

Und das, obwohl Richard inmitten dieser in elisabethanischem Prunk oder auch ganz in schwarzem Leder ausstaffierten Working Girls (Kostüme: Esther Bialas) schlicht obszön wirkt, wie ein geiler Troll aus dunklen Zeiten. Kaczmarczyk trägt anfangs nur zwei Strumpfhosen, eine sehr eng und entstellend über dem Kopf geknotet, der Knoten bildet einen tumorartigen Wulst, die andere gibt den Blick aufs erregte Gemächt frei — und was seinen Richard so erregt, das ist die reine Macht.

Kurz darauf steht er vor einer Spiegelwand und befragt sein Gewissen. Eigentlich ist das ein Dialog, den zwei von Richard gedungene Mordbuben sprechen, hier wird er zum Spiegelgefecht des toxischen Mannes, der sich gleich wieder grienend zum Publikum wendet und damit prahlt, wie kurz ihn sein Gewissen plage, als diente es nur dazu, ihm einen zusätzlichen Kitzel zu verschaffen. Ein kühler, gleichsam machiavellistischer Theoretiker politischen Handelns ist dieser Richard nich. Ähnlichkeiten mit lebenden Potentaten sucht man vergeblich, eher kann man ihn als Vorläufer der Harvey Weinsteins dieser Welt verstehen, ein Oger, der sich erst ganz am Ende der eigenen Gebrechlichkeit bewusst wird.

Wie Kaczmarczyk bocksfüßig über die Bühne stakst, wie er dabei die Spannung zwischen „Bambis erste Gehversuche“ und „Spinne im Netz“ hält, das ist schon große Kunst, zumal die Richard-Rolle ja den Vorteil hat, dass man sich um allzu offensichtlich zur Schau gestellte schauspielerische Eitelkeiten keine Gedanken machen muss.

Das Publikum jedenfalls lässt sich nur allzu gerne von ihm verführen. Die Witwen aber finden am Ende doch noch zur Klagegemeinschaft nach Art von Euripides „Troerinnen“ zusammen — oder anstelle der Geister der Ermordeten, die Richard am Vorabend der hier gestrichenen Schlacht heimsuchen — und morden den Tyrannen wie die römischen Senatoren den Julius Cäsar. Am Ende sitzt der tödlich Verletzte allein und verlassen auf einem Stuhl in seiner Machtzentrale. Auf Dutzenden Bildschirmen laufen grünstichige Nachtbilder diverser Kriegsoperationen, Richard wünscht sich ein Pferd, auch wenn das jetzt gar keinen Sinn hat.

Dann schält sich die junge Nichte, die er heiraten wollte, von der Wand, schaltet die Bildschirme aus. Weißes Rauschen. Sie hat der Krumme nicht mehr in die Finger gekriegt.

Nächste Termine: 10. 9.; 1., 6., 14., 16. 10., Düsseldorfer Schauspielhaus