Wiebke Dannecker ist Juniorprofessorin für Literaturdidaktik für Lernende an der Universität zu Köln. In ihrem Gastbeitrag führt sie aus, wie das Persische und das Deutsche in Nava Ebrahimis Roman „Sechszehn Wörter“ das Strukturprinzip des Erzählens bilden.
Romanfigur zwischen Köln und Teheran„Der Iran und ich, diese anstrengende On-Off-Beziehung“
Nimmt man das Buch für die Stadt Köln in diesem Jahr zur Hand, so ist ein Bezug zur aktuellen Berichterstattung über die Proteste im Iran naheliegend. Doch Nava Ebrahimis Romanerstling „Sechzehn Wörter“ erzählt nicht nur vom Leben dreier starker Frauen aus dem Iran, sondern wir erfahren aus der Perspektive von Mona, die in Köln und Teheran lebt, liebt und arbeitet, von einem Leben im Dazwischen, von einem Leben zwischen zwei Kulturen, zwei Männern und zwei Sprachen.
Die Beerdigung der Großmutter ist der Anlass, der Mona und ihre Mutter eine Reise in den Iran antreten lässt. Was zunächst als einwöchiger Aufenthalt geplant war, um im Iran die Beisetzung und den Nachlass zu regeln, entpuppt sich als längere Reise von Mutter und Tochter, bei der die Gedanken und Gespräche um Vergangenes und Gegenwärtiges kreisen.
Wäre ihre Großmutter nicht gestorben, hätte Mona nicht darüber nachgedacht, in den Iran zu reisen. Sie dachte: „Der Iran und ich, diese anstrengende On-Off-Beziehung, das wäre endlich beendet gewesen.“ (S. 40). Mona ist in Köln aufgewachsen und ging erst mit 18 Jahren als Journalistin für ein Jahr in den Iran. In Deutschland aufgewachsen war Mona „der einzige dunkle Fleck auf den Fotos vom Kindergeburtstag“ (S. 208) und ist in dem Bewusstsein aufgewachsen, mehr als andere leisten zu müssen, um anerkannt zu werden. Ihrem Vater gegenüber verheimlicht sie, dass es „in argen Zeiten das letzte bisschen Kraft kostete, mich als stets hervorragend integrierte Migrantentochter zu präsentieren“ (vgl. S. 224).
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In Nava Ebrahimis Roman geht es um ein Familiengeheimnis
Während ihrer Zeit als Journalistin im Iran lernte Mona Ramin kennen, mit dem sie eine „unmögliche Liebe“ (S. 41) verbindet. Wenn Mona nach Deutschland zurückfliegt, rückt Ramin allerdings in den Hintergrund und sie nimmt ihr Leben in Deutschland wieder auf. Sie hält dazu fest: „meine Gefühle verflogen irgendwo im Luftraum zwischen Iran und Deutschland. Als stiege ich dort als andere Mona aus. […] Spätestens, wenn ich meine Wohnungstür öffnete und mein Blick auf den vertrockneten Drachenbaum fiel, erschien mir alles unvereinbar. […] Es ging nicht.“ (S. 167). Mit der Überwindung der räumlichen Distanz zwischen dem Iran und Deutschland ergibt sich für Mona eine Veränderung der Gefühle für Ramin. Mona könnte eine Entscheidung treffen, die Beziehung zu Ramin beenden und sich für eine der beiden Kulturen entscheiden. Indem sie die Entscheidung hinausschiebt, ist es ein Zustand des Dazwischen, der ihr Leben bestimmt.
„Im Rahmen der Aktion „Buch für die Stadt“ hält Wiebke Dannecker am Freitag, 18.11., um 19 Uhr in der Karl Rahner Akademie ‚einen Vortrag über „Sechzehn Wörter“‘. Anmeldungen sind bis Freitagmittag möglich, der Eintritt kostet zehn, ermäßigt fünf Euro.“
Das Familiengeheimnis, auf dessen Entdeckung das Erzählen schließlich zuläuft, macht die erzählerische Verstrickung von Herkunft und weiblicher Rollenerwartung besonders deutlich. Monas Großmutter hatte seinerzeit eine außereheliche Affäre und wurde schwanger, um diesen Umstand zu verheimlichen, gab sie ihrem Liebhaber ihre Tochter zu Frau, unter der Bedingung, dass beide in Ausland gehen würden. Monas Mutter willigt ein und behält das Geheimnis der Mutter für sich, bis zu deren Tod (vgl. S. 305). Zugleich wird die Überlagerung und Vielschichtigkeit des Erzählens deutlich, das nicht nur von den Gründen für die Migration erzählt, sondern die die Frage der Herkunft eng mit dem Erzählen von weiblichen Rollenerwartungen verknüpft. Aus der Perspektive einer intersektional-orientierten Erzähltextanalyse wird damit die „permanente Konstruktion und Dekonstruktion von Differenz durch das Erzählen verstehbar“ (Blome 2016).
Die „Sechszehn Wörter“ zeigen ein Leben zwischen den Kulturen
Beide Sprachen, das Persische und das Deutsche, sowie die Erfahrungen, Erinnerungen und Emotionen, die mit einzelnen Wörtern verknüpft sind, spielen im Roman eine besondere Rolle und bilden gleichsam das Strukturprinzip des Erzählens. Es sind 16 Wörter, um die das Erzählen kreist. Die 16 Wörter finden sich jeweils auf einem Zwischenblatt und werden in lateinischen und arabischen Schriftzeichen dargestellt. Eine Übersetzung findet sich manchmal auf der selben Seite oder im selben Kapitel, doch oft eröffnet sich die Bedeutung eines Wortes erst in einem anderen Kapitel. Indem die Wörter nicht übersetzt werden, ergibt sich der Effekt eines Schwebezustands zwischen den Sprachen. So wird auf der Ebene der formal-ästhetischen Gestaltung ausdrückt, was auf der inhaltlichen Ebene als Leben im Dazwischen – zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Männern, zwischen privatem und öffentlichem Leben – ausgedrückt wird.
So wie die Wörter und ihre Bedeutungen Bögen zwischen den Kapiteln schlagen, folgt auch das Erzählen eher den assoziativ imaginierenden Gedanken und Erinnerungen Monas an bedeutsame Erlebnisse im Leben zwischen Teheran und Köln. Indem Nava Ebrahimis Romanerstling nicht nur die Herkunfts- und die Zufluchtskulturen vergleichend gegenüberstellt, gelingt ihr ein Erzählen, das Kategorisierungen zwar markiert, aber diese auch in Frage stellt. Nava Ebrahimis Roman mäandert erzählerisch um Monas Erfahrungen des Lebens im Dazwischen – vom Aufwachsen in Köln, von der Arbeit als Journalistin im Iran sowie von alltagsrassistischen Erfahrungen in Köln und der Diskriminierung als Frau im Iran, aber auch von Monas Liebe zu zwei Männern und von der Frage, wie sich ihr Leben im Dazwischen gestaltet.
Wiebke Dannecker ist Juniorprofessorin für Literaturdidaktik für Lernende mit besonderen Förderbedarf sowie Inklusion am Institut für deutsche Sprache und Literatur II der Universität zu Köln.