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Ruhrtriennale 2023„Die Erdfabrik“ von Georges Aperghis verbindet künstlerische Darbietung mit Geschichte des Ruhrgebiets

Lesezeit 3 Minuten
Feierte bei der Ruhrtriennale 2023 Uraufführung: „Die Erdfabrik“ von Georges Aperghis.

Feierte bei der Ruhrtriennale 2023 Uraufführung: „Die Erdfabrik“ von Georges Aperghis.

Die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord ist eine besondere Location. Wie sich das besondere Umfeld auf die künstlerische Darbietung auswirkte.

Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm sirren Singstimme, Trompete und drei Melodikas durcheinander. Das wilde Zwitschern überfällt das Publikum, bricht dann aber abrupt ab. Zu vereinzelten Klängen sieht man dann auf Videos feine Linien und Schraffuren, die sich über schwarzen Grund fortpflanzen und plötzlich in das dreidimensionale Licht- und Schattenspiel eines schroffen Felsstollens umschlagen. Aus dem Himmel der Vögel führt der Weg weiter unter Tage.

„Die Erdfabrik“ von Georges Aperghis und Jean-Christophe Bailly folgt dem genius loci der Ruhrtriennale. Die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord diente bis 1985 der Erzeugung von Eisen. Von hier wurde Steinkohle in Hochöfen mit heißer Luft befeuert. Die vom Musiktheaterwerk geschilderte Reise in die finstere Tiefe spielt auf den Abbau des fossilen Brennstoffs an. Zugleich allegorisiert die Fahrt in die Mine einen Gang ins Innere des Menschen zu jahrtausendealten Urgefühlen und psychischen Archetypen wie Angst und Verlangen, Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Traum, Leben und Tod.

Ruhrtriennale 2023: Anlehnung an Bergleute und Werkzeug

In Anlehnung an Werkzeuge von Bergleuten hämmern zwei Schlagzeuger auf Steine, Metallplatten und Amboss. Zudem betätigen sie eine Alarmsirene und Drehvorrichtung mit rumpelnden Steinen wie beim Donnereffekt der Barockoper. Zwischen dem Arbeitslärm erstrecken sich ruhige Passen, in denen Trompeter und Kontrabassistin einen Gruben-Soundtrack mit leisen Tropfen und rieselndem Gestein spielen. Ganz in seinem Element ist der 1945 geborene Komponist, als er konsonantisch wirkendes Schaben mit analogen Vokalartikulationen der Sopranistin Donatienne Michel-Dansac kombiniert.

Baillys Libretto verarbeitet Auszüge aus Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht „Die Erzstufe“ von 1840, das onomatopoetische die Eindrücke eines Sommergewitters mit einem Grubenunglück parallelisiert. Der französische Schriftsteller und Philosoph nennt die Kohle ein „Kind des Lichts“, weil sie vor Jahrmillionen aus Wäldern entstand, die unter der Sonne wuchsen. Die daraus abgeleitete Verbindung von Himmel und Erdreich blieb jedoch verschwurbelt, gesucht, prätentiös, ohne greifbare Metaphern und Gedanken. Zudem wurden die Texte von den sonst ausgezeichneten Musikerinnen und Musikern zu wenig präsent vorgetragen.

Die Erdfabrik: Höhlen, Stollen, Schächte und Sedimente

Die fortwährend gezeigten Trickfilme von Jeanne Apergis und Jérôme Tuncer basierten auf analogen Zeichnungen und Collagen, die durch digitale Animation ständig überschrieben werden und dadurch auf Wachstums- und Abbauprozesse verweisen. Man sieht Höhlen, Stollen, Schächte, Sedimente, Flöze, Gneis und wucherndes Wurzelwerk. Durch Fugen und Risse zieht Wasser oder Magma.

Mal spuckt ein schwarzer Vogel Funken, mal ziehen kuriose Gnome und Kreaturen wie aus Frottagen von Max Ernst als dämonische Unterweltsparade vorüber. Die permanente Bildfabrikation wirkt jedoch aktionistisch und beliebig. Zu selten verdichten sich Videos, Klänge und Text zu poetisch eindrücklichen Anspielungen auf die Maloche im Revier und das Durchwühlen der Erde als Sinnbild des menschlichen Forschens, Vorstellungs- und Erinnerungsvermögens.

Gelungener sind manche Kippbilder. Die runden Maserungen eines versteinerten Baumstamms verwandeln sich zu einem Tunnel mit fernem Lichtpunkt, wie das absehbare Ende der fossilen Brennstoffe. Wuselnde Leuchtpunkte und Netzstrukturen erweisen sich in Vergrößerung plötzlich als hunderte Strichmännchen mit winzigen Grubenlampen.

Die Kombination von Ensemblemusik mit Video ist Musiktheater im weiteren Sinne, auch ohne Mimik, Gestik, Szene und Raum, die Aperghis sonst so luzide und ausdrucksstark zu gestalten weiß. Doch bleibt es defizitärer, dass sich Sicht- und Hörbares wenig kommentieren und die Akteure zu viel getrennt vor sich hin werkeln. So läuft alles distanziert und kalt ab, obwohl es auch um menschliche Urängste und Urbedürfnisse hätte gehen sollen.