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KHM Rundgang 2023Junge Kunst zwischen KI und Frauen, die Kaninchen gebären

Lesezeit 5 Minuten
Yve Oh in ihrer Installation beim Rundgang der Kölner Kunsthochschule für Medien.

Yve Oh in ihrer Installation beim Rundgang der Kölner Kunsthochschule für Medien.

Die Kölner Kunsthochschule für Medien zeigt Arbeiten von mehr als 100 Studenten. Wir stellen die Höhepunkte aus dem Rundgang vor.

Ein Buch mit Texten an Demenz erkrankter Frauen, ist nichts, was man unbedingt an einer Kunsthochschule für Medien erwarten würde. Und doch fügt sich Helene Brechts Arbeit, die nicht gebunden ist und einem beim Aufblättern unvermeidlich durcheinander gerät, sehr schön ins vielfältige Angebot der Kölner KHM. Beim aktuellen Rundgang, der das Sommersemester beschließt und bis Sonntag geöffnet ist, sind Werke von mehr als 100 Studenten zu sehen – darunter klassische Filmvorführungen oder auch Videos, die auf Moskitonetze projiziert werden und sich als leuchtender Baldachin über die Besucher spannen. Die Auswahl fällt nicht leicht, wir haben es trotzdem versucht.

Mutter und Tochter, immer eine gefährliche Paarung

Mit ihren Lehrern hat Anja ein stillschweigendes Abkommen geschlossen. Sie macht ihnen keinen Ärger, weil sie gar nicht erst zum Unterricht erscheint. Offenbar sind alle Beteiligten damit glücklich, denn Anja kann recht bestimmend werden, wenn ihr etwas nicht gefällt. Auch sonst hat sie alles im Griff: ihren besten Freund, ihren jüngeren Bruder und ihre Zukunft, die irgendwo in einem aus Filmschnipseln gezimmerten Amerika liegt. Aus den Fugen gerät diese beinahe perfekte Welt, als Anjas Mutter ihren Vater wieder zu sich holen will…

Eine junge Frau sitzt in der Dusche und wird nass.

Aus dem Kurzfilm „Wherever Paradise Is“ von Roman Wegera

Roman Wegera lässt seinen Kurzfilm „Wherever Paradise Is“ geschickt um den abwesenden Vater kreisen, gerade, weil man nur ahnen kann, was es mit diesem auf sich hat. Sein Teenagerdrama bekommt durch diese Leerstelle ein Gewicht, das selbst dann nicht über Gebühr dramatisiert wirkt, als plötzlich eine Waffe auftaucht.

Mutter und Tochter, das ist auch in Luka Lara Steffens „Piecht“ eine gefährliche Paarung. Johanna begleitet ihre Mutter in den Urlaub, der beide in den titelgebenden Ort auf dem Lande führt. Bald findet Johanna heraus, dass die gute Luft von Piecht eine Gemeinde von Nazis angezogen hat, die sich als gutbürgerliche Stadtflüchtlinge tarnen. Ganz allmählich kippt der Film ins Horrorgenre, und bald fragt sich nicht nur Johanna, auf wessen Seite ihre Mutter steht. (Filmforum im Museum Ludwig)

Mit künstlicher Intelligenz gegen die Sittenpolizei

Die Bilder, die KI-Programme erzeugen, werden nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung aus Millionen anderen Bildern zusammengesetzt. Im Grunde lässt Hanieh Bozorgnia die KI in ihrer Fotoserie „Dreamt of Growing up Queer in a Free Iran“ also von einer queeren Massenbewegung träumen. Die Bilder zeigen ein junges weibliches Liebespaar, meist unverschleiert, Arm in Arm oder eng umschlungen, in alltäglichen Szenen, die im Land der Sittenwächter eben alles andere als alltäglich sind. So wird die Künstliche Intelligenz zur schützenden Maske und zum Ausdruck einer unerfüllten Sehnsucht.

Weniger persönlich wird die KI im Labor für experimentelle Informatik erforscht. Hier hat Lisa Reutelsterz ein Programm Gedichte schreiben und diese dann von einem anderen Programm in laufende Bilder übersetzten lassen; zuletzt spielte sie diese Filme einer Kontrollgruppe menschlicher Lyriker vor. Deren Gedichte liegen nun über der Filmcollage, die in grauer Zeitraffermanier das Verhältnis von Mensch und Maschine neu zu definieren versucht. (Fotolabor, Ground Zero)

Mikrofiches und eine Frau, die Kaninchen gebärt

Mag die KHM auch für neue Medien stehen, so lassen sich die Studenten doch gelegentlich von alten faszinieren. Sayaka Kuramochi hat einen Mikrofiche-Projektor hervorgekramt, um auf dafür eigens bedruckten Mikrofilm verschiedenen Aufnahmen von Salzkristallen vorzuführen. Auf diese Weise wird der Mensch, der, wie Kuramochi versichert, zu nicht unerheblichen Teilen aus Salz besteht, auf einem Medium archiviert, das lange aufgehört hat, ein Wissensspeicher zu sein. Dafür bietet das Mikrofiche aber eine schräge Bildästhetik, an die zu erinnern lohnt.

Gleich daneben führt Alexandra Nikitina einen Illusionstrick aus dem 19. Jahrhundert vor: Pepper’s Geist, benannt nach einem gewissen John Henry Pepper. Dabei wird ein Bild so durch mehrere Gläser gespiegelt, dass es wie ein dreidimensionales Objekt im Raum zu schweben scheint. Bei Nikitina zeigt es einen Zwitter aus Mensch und Kaninchen, wobei es auch dafür eine englische Quelle gibt. 1726 wurde eine Dienstmagd namens Mary Toft berühmt, weil sie angeblich Kaninchen geboren hatte. Die Sache ging damals durch die Presse, etliche Gelehrte fielen offenbar auf den Betrug herein, und noch Jahrzehnte später machte man sich über die Sensationslüsternheit der Gefoppten lustig. (Flexzone)

Schöner Wohnen mit Schmutzrändern und Autoscooter

Die Platznot in Studentenwohnungen hat Maja Funke zu ihrer Performance-Reihe „1ZKB“ inspiriert. Sie spielt darin das Leben in beengten Verhältnissen nach, sucht mit den Armen fuchtelnd nach gutem WLan oder nach Möglichkeiten, wie man das eigene Zuhause in eine schöpferische Oase verwandeln kann. Das klingt ein wenig nach Ikea, aber die Bühne, die Funke eingerichtet hat, schafft doch eine ganz eigene Gemütlichkeit: Gescannte Schmutzränder als PVC-Bodenbelag, eine bemalte Scheibe Brot, die in Folie von der Decke hängt, zwei einsame Wandfliesen, an den Heizkörper gelehnte Sandalen und als Kunstkalauer eine Schimmelecke aus Pferdefiguren.

Friedrich Boell fand das Mobiliar seiner Schöner-Wohnen-Installation hingegen auf dem Sperrmüll und baute es in Fahrzeuge um. Zum Fuhrpark gehören ein Fernsehschrank, eine Anrichte, eine Heimorgel, die auch musiziert, Autositze, ein Landschaftsbild mit Loch, das von einem Bildschirmschonersee gefüllt wird, und manches andere mehr. Dieser Autoscooter aus dem Gelsenkirchener Barock hat einen etwas klapprigen Charme, spricht aber die kleinbürgerlichen Aufstiegsträume und Abstiegsängste auch in den Schubladen an. Hier findet sich venezolanisches Inflationsgeld, das viele Nullen, aber keinen Wert mehr hat – immerhin aber sehr schön aussieht. (Glasmoog, Studiofoyer)

Rundgang 2023, Kunsthochschule für Medien, Am Filzengraben (verschiedene Orte auf dem Universitätscampus), Köln, 20.-23. Juli, 14-20 Uhr. Eintritt frei