Von Köln aus hat Patrice seine Karriere gestartet, nun spielt er ein Konzert auf dem Roncalliplatz und erklärt, warum der für ihn früher die „große, weite Welt“ war.
Sänger Patrice vor Konzert auf dem Roncalliplatz„Köln war für uns fast schon Ausland, das war die weite Welt“
Patrice, am 18. August spielen Sie auf dem Roncalliplatz im Rahmen des NRW-Tages ein Konzert. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem besonderen Ort im Schatten des Doms?
Damit verbinde ich viel. Wir haben früher auf der Domplatte geskatet, beziehungsweise die coolen Skater waren auf der Domplatte. Wir kamen ja aus dem Dorf und haben uns daneben gesetzt und hin und wieder mal ein paar Tricks gemacht. Das war für uns fast schon Ausland, das war die weite Welt. Und ich weiß, welche Konzerte da schon stattgefunden haben. Irgendwann wollte ich da auch mal spielen, und jetzt ist es so weit.
Und welche Rolle spielt Köln ansonsten in Ihrem Leben?
Köln ist mir so vertraut wie keine andere Stadt. Hier kenne ich fast jede Ecke. Köln war auch in vielerlei Hinsicht der Anfang von allem. Die Reggae- und Hiphop-Kultur haben mich geprägt. Hier gab es tolle Soundsystems und Partys auf irgendwelchen Hügeln, die dann von der Polizei beendet wurden oder der Generator fiel aus. Wenn man auf Konzerte ging, war das ein eingeschworener Kreis an Menschen, die sich kannten und für den Sound brannten. Ich komme immer wieder nach Köln. Hier ist meine Schaltzentrale, also das Studio, ich werde hier am nächsten Album arbeiten und bereite gerade alles dafür vor. Ich bin gerne in meinem Elternhaus in Kerpen. Das ist für mich eine Oase, um mich zu sammeln nach den Reisen.
Aber als Jugendlicher gingen Sie irgendwann auf das Internat in Salem. Das war doch dann eine völlig andere Welt, oder?
Das war ein Hin und Her. Aber das war schon immer die Geschichte meines Lebens, dass Dinge, die vermeintlich nicht zusammenpassten, bei mir und meiner Familie irgendwie zusammenkamen. Und Salem war eine dieser Sachen. Ich war da unter Rich Kids im Schloss. Das war wirklich wie bei Harry Potter, man ist in einer Burg, viele Kinder im Wald - minus die Magie.
Ihr Vater starb, als Sie sehr jung waren. Wie hat es Sie geprägt, ihn so früh zu verlieren?
Ich habe mich früh mit Tod auseinandergesetzt, generell mit existenziellen Fragen, weil mir die Möglichkeit sehr viel Angst machte, dass Tod nichts bedeutet, Leere. Mein Vater starb und ich kam ins Internat, ohne meine Mutter und Schwester. Das war schon ziemlich hart. Aber durch diese Auseinandersetzung mit Tod und diesen philosophischen Fragen habe ich eine starke Liebe fürs Leben entwickelt, weil ich dachte, wie cool es ist, dass ich leben darf und dass ich morgens aufstehe. Ich habe nicht mehr gedacht, dass das selbstverständlich ist.
Ihr letztes Album heißt 9, „Become Who you are“ ist der erste Titel darauf. Sind Sie der geworden, der Sie werden wollten. Oder sind Sie noch auf der Suche?
Man muss die Frage anders stellen. Ich glaube, wir sind viel mehr Verben, als dass wir Nomen sind. Das liegt an unseren Zellen und der Tatsache, dass sich eigentlich in uns alles bewegt, neu sortiert und erneuert, auch wenn wir so aussehen, als wären wir feststehend. Deswegen ist die Frage, was uns ausmacht. Und das ist vielleicht so eine Art Geist. Den gilt es zu definieren. Was ist deine Haltung im Leben, was sind deine Prinzipien und Werte? Bleibst du denen treu in jeder dieser Lebensphasen? Das ist die Kunst für mich. Ich werde nie fertig sein oder sagen, jetzt bin ich angekommen. Aber das erwarte ich auch nicht.
In dem Pressetext zu Ihrem Album heißt es, das Streben nach Größe treibe uns als Menschheit voran und vereine uns. Ist das wirklich immer der Anspruch, den Sie an sich haben?
Wenn es um die Kunst geht, will ich schon dieses Lied machen, das ich noch nie geschafft habe zu machen. Und jedes Mal denke ich, dass ist jetzt mein bestes Album, bis ich dann am nächsten arbeite. Hätte ich das nicht, wär ich nicht so getrieben. Ich find das spannend. Ich bin nicht unzufrieden. Das Experimentieren, neue Visionen zu entwickeln, macht mir enorm Spaß. Dieser Vision gerecht werden, ist immer der Anspruch.
Wird es schwerer mit den Jahren, neue Songs zu schreiben? Hat sich das Songschreiben verändert für Sie?
Ja, man sieht mehr. Früher hatte ich starke Scheuklappen, das hilft. Heutzutage verliert man sich in den Optionen, die man hat. Man verliert sich oft als Künstler. Bei meinem ersten Album habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht, wie das ankommt. Ich hatte nie Feedback von außen, außer aus meiner kleinen Szene. Heutzutage geht es eher mehr darum, dass ich mir diesen Raum erkämpfe und Zeit nehme. Ich merke, dass ich mich gerade wieder in diese Phase reindenke, wo ich nicht mehr zurechnungsfähig bin. Das kommt der Kunst zugute. Ich verliere mich darin und vergesse alles andere.
Sie hatten nicht den einen großen Hit, den alle mit Ihnen verbinden. Ist das Segen oder Fluch?
Das ist ein großer Segen. Es gibt ja One Hit Wonder, aber das willst du auf keinen Fall sein. Ich bin übrigens ein One Hit Wonder in Italien. Da habe ich das auch mal am eigenen Leib kurz erfahren dürfen. „Sunshine“ war ein Monster-Hit in Italien. Ich wurde eingeflogen, um bei einem großen Festival ein Lied zu singen. Rechts steht Janet Jackson, links Pharrell. Jeder wartet auf seinen Einsatz. Ich habe mein Lied gesungen dann wurden wir zu einem Club gefahren. Da war ein Ring von Security, plötzlich kamen irgendwelche Frauen. Dann ging es zurück, und am nächsten Tag saß ich in einem Bus der KVB und fragte mich, welcher Film das gerade war. Ich konnte da keine Tour spielen, weil alle immer nur ein Lied hören wollten.
Sie haben gesagt, Musik und Kultur werden immer gleicher, weil die Diversität, von der wir glauben, dass sie da ist, nur scheinbar ist, weil sich alle in ihrer Diversität wieder ähnlich sind. Wie meinen Sie das?
Alle sind anders auf die gleiche Art und Weise. Es gibt eine gewisse Andersheit, die toleriert ist und eine andere Andersheit, die nicht toleriert ist. Und deswegen ist es eigentlich nicht anders.
Welche Andersheit wird nicht toleriert?
Man sieht es ja an diesen Camps, in denen wir gerade existieren. Wir haben das rechte Camp, wir haben das linke Camp. Das linke Camp ist enorm intolerant. Wenn sich da jemand auf die eine oder andere Weise nicht so klar äußert, wie man das gerne hätte, wird er zerrissen. Da ist da rechte Camp fast ein bisschen toleranter, und das ist ja komplett irrsinnig. Ich glaube, als Gesellschaft würde ein zivilerer Austausch helfen. Es gibt konkrete Probleme, da ist es egal, aus welchem Lager du kommst. Wir müssen die zusammen wuppen, Klimawandel oder KI etwa. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, bevor wir uns dann weiter streiten. In Lager abzudriften macht nicht so viel Sinn.
Erreichen Sie diese Debatten oder versuchen Sie, sich ihnen zu entziehen?
Meine Aufgabe ist eine andere. Ich setze mich mit jedem an einen Tisch, und ich spiele auch für jeden Musik, egal wie seine Einstellung ist. Wie du das dann am Ende für dich bewertest, ist zwischen dir und Gott.
Aber muss man sich als Künstler positionieren?
Man muss gar nichts, man kann auch einfach nur Entertainment machen, das verurteile ich nicht. Das mache ich auch teilweise. Aber ich bin halt, wo ich bin. Nehmen wir mal zum Beispiel Rassismus. Ich werde immer gefragt, ob ich Probleme mit Rassismus hatte. Nein, der Rassist hat das Problem mit Rassismus, ich nicht. Wir können die Debatte führen, man muss die Begriffe schärfen. Aber das Problem sehe ich nicht bei mir. Ich bin dadurch, dass ich so geboren bin, relativ weltoffen. Ich habe eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater. Ich habe beide Realitäten in mir und auch gelebt, das heißt, ich bin da vielleicht ein Schritt weiter als der Mensch, der diese Art von Vorurteil hat, deswegen ist es an diesem Menschen, das mit sich zu klären.
Nichts ist so konstant wie Veränderung. Vielen Menschen macht es Angst, Ihnen anscheinend nicht.
Ich hab eher Angst vor dem Gegenteil von Veränderungen. Aber diese Angst ist komplett natürlich, deswegen urteile ich nicht darüber. Das Tolle an uns Menschen ist aber doch, dass wir so adaptiv sind. Deswegen sind wir hier und das Top-Tier der Welt. Wer es schafft, sich schnell mitzuverändern, aber seinen Kern beizubehalten, tut gut daran.
Auch das Musikmachen hat sich extrem verändert seit Beginn Ihrer Karriere. Wie gehen Sie damit um?
Die Musik und wie wir Musik machen, hat sich immer der Technologie der Zeit angepasst. Wir haben von früher keine Aufzeichnungen, wie Musik damals klang. Wir haben Skulpturen, wir haben Bilder, wir haben alles Mögliche, aber Musik nicht. Irgendwann gab es die ersten Arten von Tonträgern. Und somit haben sich die Längen und die Art und Weise, wie man Musik macht, angepasst, je nachdem, was ideal fürs Medium ist. Jetzt sind wir im Medium Streaming angelangt und da muss es halt schnell gehen, weil auch unsere Aufmerksamkeitsspanne dementsprechend kurz geworden ist. Dem passt sich das Musikmachen jetzt gerade ein bisschen an. Aber so ungewöhnlich ist das gar nicht. Elvis Presley Songs zum Beispiel waren auch nur zwei Minuten lang. Grundsätzlich sehe ich die Superpower in der Kreativität, und da habe ich ganz neue Dinge zu entdecken. Ich bin auch Sportsmann, das ist doch eine sportliche Herausforderung. Ich habe daran sehr viel Spaß.
Patrice, Jahrgang 1979, mit vollem Namen Gaston Patrice Babatunde Bart-Williams, ist neben Gentleman Deutschlands bekanntester Reggae-Sänger. Aufgewachsen ist er in Kerpen-Brüggen. Musikalisch wurde Patrice in der Kölner Hip-Hop-Szene sozialisiert, doch er selbst ging einen anderen Weg: Mit „Ancient Spirit“ veröffentlichte er 2000 eines der ersten ernstzunehmenden deutschen Reggae-Alben. Ende vergangenen Jahres erschien sein zehntes Studioalbum „9“. Gerade hat er mit der Arbeit an einem neuen Album begonnen.
Patrice spielt am 18. August im Rahmen des NRW-Tages um 19.30 Uhr ein Konzert auf dem Roncalliplatz. Der Eintritt ist frei.