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Sat.1 streicht Scripted RealityDas Ende der fiktiven Wirklichkeit

Lesezeit 3 Minuten
Lenßen übernimmt

Ingo Lenßen ist ein Urgestein des Scripted-Reality-Genres.

Es gab Zeiten, da konnte man im Nachmittagsprogramm deutscher Privatsender den Eindruck gewinnen, die Deutschen seien ein Volk von Verrückten. Da pendelte eine Frau aus, wo sich die Backwaren hinter der Theke am wohlsten fühlen, eine andere sprühte der neuen Freundin ihres Ex’ Sahne aufs T-Shirt. Und eine gewisse Maria bekannte, auch mal Toilettenpapier zu verspeisen, wenn sie ansonsten alles Essbare verputzt hatte.

Es waren Sendungen, die in ihrer Menschenverachtung nur schwer zu ertragen sind. Schlichte Gemüter, die sich der Tragweite oft nicht bewusst waren, wurden vorgeführt. Wer sich Zusammenschnitte auf Youtube anschaut, findet darunter Kommentare wie: „Nach solchen Sendungen geht es mir immer gut, und ich denke mir: Du hast doch nicht alles falsch gemacht.“ Egal, wie mies dein Leben ist: Hauptsache, es gibt noch jemanden, auf den man herabschauen kann.

Schlecht bezahlte Laiendarsteller

In Formaten wie „Mitten im Leben“ gaben RTL, Sat.1 und Co. aber nur vor, das echte Leben abzubilden. In Wahrheit spielten schlecht bezahlte und meist leider auch ziemlich untalentierte Laiendarsteller schlechte Drehbücher nach.

Die allerschlimmsten Auswüchse des Genres Scripted Reality liegen zum Glück schon ein paar Jahre zurück, aber zum Beispiel Sat.1 füllt mit Reihen wie „Auf Streife – die Spezialisten“, „Klinik am Südring“ und „Lenßen übernimmt“ noch immer viele Stunden am Tag.

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Diesen vom Sender als Doku-Soap betitelten Formaten ist gemein, dass sie einen vermeintlich authentischen Blick in bestimmte Lebensbereiche gewähren. So ist Ingo Lenßen, ein Urgestein des Genres, tatsächlich Jurist, und in „Klinik am Südring“ kommen die meisten Darsteller aus dem medizinischen Bereich.

Sat. 1 macht Schluss

Doch damit soll nun Schluss sein, wie Sat.1 unlängst bekanntgab. „Scripted Realitys haben ja wirklich lange Sat.1 begleitet“, sagte Sat.1-Chef Daniel Rosemann bei den Screenforce Days im Juni. „Wir glauben aber nicht daran, dass es die Zukunft ist. Und deswegen gibt es einen radikalen Einschnitt, noch in diesem Jahr.“ Ein Sprecher bestätigte dem Medienmagazin DWDL, dass keine neuen Scripted-Reality-Serien für die Daytime mehr beauftragt werden.

Es wird eine Weile dauern, bis alle schon abgedrehten und bestellten Folgen gelaufen sind. Und auch danach wird das Genre nicht ganz aus dem deutschen Fernsehen verschwinden, dafür sind diese Formate einfach zu günstig zu produzieren, aber es ist eine Entwicklung in die richtige Richtung.

In Zeiten, in denen auch Privatsender ihr Image im News-Geschäft verbessern wollen und auf diesem Feld um Anerkennung buhlen, in denen in Castingshows ein eindeutiger Trend weg von der Abwertung und hin zur positiven Bestärkung zu erkennen ist und in denen Fake News zu einer echten Bedrohung geworden sind, sind Sendungen, die vorgeben, die Realität abzubilden, in Wahrheit jedoch fiktive Geschichten erzählen, nicht mehr zeitgemäß.

Auch wenn der Skandal um den Dokumentarfilm „Lovemobil“ letztes Jahr bewies, dass der Versuchung, der Realität ein bisschen nachzuhelfen, wenn sie gar zu langweilig ist, auch renommierte Filmemacher erliegen. In „Lovemobil“ wird das Schicksal von Prostituierten in der niedersächsischen Provinz erzählt. Der Film gewann zahlreiche Preise, bis sich herausstellte, dass die Regisseurin weite Teile inszeniert und mit Darstellerinnen gearbeitet hatte.

Barbara Salesch kehrt zurück

Und auch der Privatsender RTL, der vor drei Jahren ebenfalls die Abkehr von der Scripted Reality verkündete, vollzieht zumindest eine kleine Rolle rückwärts. Die Kölner legen zwei Gerichtsshows wieder auf, unter anderem kehrt darin Barbara Salesch zurück. Von 1999 bis 2012 war die Gerichtsshow mit der Juristin bei Sat. 1 eine der Vorreiterinnen eben jener Scripted-Reality-Welle.

Es wird sich zeigen, ob RTL versucht, reale Fälle abzubilden oder ob man doch wieder etwas nachhilft. Dem „wahren Leben“ ist möglicherweise auch weiterhin nicht so recht zu trauen.