Rafael Sanchez, Intendant des Schauspiels Köln, über sein Interim, leere Büros und Frustbewältigung auf der Bühne.
Schauspiel-Chef Sanchez„Die Strahlkraft von Köln ist immer noch ungebrochen“
Rafael Sanchez, Sie mussten die neue Spielzeit mit nur zehn Monaten Vorlauf stemmen. Wie schlimm war die Selbstausbeutung?
Rafael Sanchez: Die ganze Chefetage ist mit Stefan Bachmann nach Wien gegangen, der Chefdramaturg, die Chefdisponentin, der künstlerische Vertriebsdirektor, die halbe Marketingabteilung. Die Büros waren also leer, aber zum Glück waren der Stellvertreter, der Künstlerische Betriebsdirektor Arthur Soltan Hayrapetian, die Chefdisponentin Sabine Döring und die Chefdramaturgin Sybille Dudek schon am Haus. Wenn ich die jetzt alle hätte suchen müssen, ob es dann geklappt hätte, das wage ich zu bezweifeln. Dass das Haus unter Bachmann so gut aufgestellt war, hat uns gerettet. Deswegen sind da jetzt auch keine Notlösungen dabei.
Und sie sind bereits ein eingespieltes Team.
Sibylle Dudek und ich arbeiten zum Beispiel schon lange zusammen. Auf ihren Vorschlag haben wir auch noch Jan Stephan Schmieding mit in die Leitung der Dramaturgie genommen. Sie kennen ja die Diskussionen über Doppelintendanzen oder Teams. Ich finde, das ist in den Strukturen der Häuser eigentlich schon angelegt – wenn man die Dramaturgie als ernstzunehmendes Organ begreift und nicht als Dienstleister, die viele Stücke lesen und dann später die Programmhefte machen. Es ist bereichernd, die Dramaturgie von Anfang an verantwortlich in die Produktion miteinzubeziehen. Das ist ungenutztes Potenzial in vielen Häusern. Es gibt noch zu viele Intendanten, die in ihrem Wochenendhäuschen mit sich selbst in Klausur gehen und dann die gelben Zettelchen mit dem fertigen Programm verteilen. Als Chef muss mir nicht alles gefallen.
Sie haben vor Köln bereits ein Haus mitgeleitet, das Theater am Neumarkt Zürich. Wie war es wieder in die Verantwortung zurückzukehren?
Als ich in Zürich aufgehört habe, fühlte sich nur noch Hausregisseur zu sein an, wie Urlaub machen. Plötzlich war ich abends mal zu Hause. Ich habe damals bewusst eine Pause gemacht, trotz anderer Angebote. Das war ein Risiko. Aber gerade, weil es so ein Aufwand ist, muss eben auch alles stimmen. Das Haus muss genial sein, die Stadt muss gut sein und die Möglichkeiten, die man hat, müssen für mich stimmen. Jetzt war es schon sehr aufregend, allein dadurch, dass es so konzentriert war. Als Regisseur ist man nicht in der Politik drin, als Intendant ist man plötzlich mittendrin. Jetzt habe ich alle sechs Wochen eine Sitzung mit der Oberbürgermeisterin. Wenn man sieht, was diese Frau alles leistet, ist es natürlich auch nicht mehr so einfach mit dem Gemotze über diese Stadt und ihre Politik. Also ich bin froh, dass ich die Stadt noch einmal von dieser Seite her erleben darf.
Verstehen Sie Ihr Kölner Interimsjahr auch als eine Art Dry Run für Ihre neue Intendanz am Schauspielhaus Zürich, die Sie anschließend zusammen mit Pınar Karabulut antreten werden?
Nein, das Ensemble in Zürich wird sich erst nach dem Sommer bilden. Und als wir im Dezember Zürich bekommen haben, stand das Kölner Programm eigentlich schon. Dafür lerne ich jetzt schon ein bisschen, wie Zürich im Vergleich zu Köln gemanagt wird, falls die Volksabstimmung durchkommt, wird in fünf oder sechs Jahren die Hauptbühne Pfauen umgebaut. In der Findungskommission kam schon die Frage: Herr Sanchez, Sie kennen sich doch mit Interims aus?
O je. Bleiben wir lieber beim Ensemble. Das mussten Sie für Köln zum Teil neu zusammenstellen …
Wir haben 40 Vorsprechen abgehalten. Zuerst hatten wir befürchtet, dass niemand für ein Jahr die Zelte abbrechen will, aber es gab erstaunlich viele Leute, die als Freischaffende erfolgreich unterwegs sind, aber es explizit gut fanden, für ein Jahr nach Köln zu kommen.
Sie haben jetzt auch fast alle Regieassistenten aus den ersten Bachmann-Jahren wieder nach Köln eingeladen.
Pınar Karabulut, Charlotte Sprenger und Matthias Köhler haben ja auch wirklich tolle Karrieren gemacht. Dabei ist es eh schon ein Wunder, wenn man heutzutage den Sprung vom Regiestudium oder vom Assistieren ins Berufsleben schafft. Wir wollten die auf jeden Fall für diese Spielzeit wieder ranholen, dazu die Regie-Konstanten der vergangenen Jahre, zu denen auch ich gehöre oder Bastian Kraft. Jan Bonny wiederum war ein Wunsch des Ensembles, der arbeitet ja auch in seinen Filmen sehr theatralisch. Er lebt ja seit Jahren in Köln.
Sie haben einige Kölner Kräfte zum ersten Mal ans Schauspiel eingeladen.
Ja, zum Beispiel Poutiaire Lionel Somé, der aus Burkina Faso kommt, aber in Köln studiert hat und hier vor zwei Jahren die freie Produktion „Colonia on Ice“ über das koloniale Erbe von Köln und von Deutschland gemacht hat und bei uns die deutschsprachige Erstaufführung eines französischen Stückes über das Massaker der französischen Kolonialarmee an den sogenannten Senegalschützen inszenieren wird. Bei der Recherche kam heraus, dass Somés Großvater selbst zu den Senegalschützen gehörte – und sogar in Köln stationiert war!
Es gibt auch noch einige Namen, die man immer schon mal gerne in Köln gesehen hätte, wie Yael Ronen oder Antú Romero Nunes.
Das war auch nicht einfach. Antú Romero Nunes arbeitet sehr viel, der ist überall, am Thalia, am BE und in Basel. Und Yael Ronen macht immer nur zwei Produktionen pro Spielzeit. Das ist schon ein kleines Theaterwunder. Ich finde, beide Handschriften passen supergut zu Köln.
Lass uns noch mal über Ihre Auftaktpremiere „GRMPF“ sprechen, der Titel ist ein Frustausruf über die Dauerbaustelle am Offenbachplatz.
Tatsächlich hatten wir schon 2015, aus dem Frust über die gescheiterte Eröffnung am Offenbachplatz, die Idee, etwas in der Baustelle zu machen, aber das ist dann nicht zustande gekommen. Das wäre aber etwas ganz anderes geworden.
Hatten Sie den Traum, „GRMPF“ im alten, neuen Haus aufführen zu können?
Wir haben am Anfang die Bauprobe dort gemacht, aber das war so ein Aufwand, da stand die Technik drei Stunden vor dem Lift, der nicht fuhr. Jetzt ist das Bühnenbild eine Baustelle geblieben, aber wir haben das Stück so umgeschrieben, dass wir im für die Nachfolgenutzung umgebauten Depot spielen. Der Schlussgag ist eine Rede, die Wilhelm Riphahn zur Eröffnung der Oper zwölf Jahre nach dem Krieg gehalten hat: „Nach zwei Jahren Bauzeit bin ich glücklich, jetzt den Künstlern das Haus übergeben zu können.“ Es wird ein satirisch-musikalischer Abend, unser musikalischer Leiter, Cornelius Borgolte, ist ganz erstaunt, wie gut alle im Ensemble singen können. Es gibt zum Beispiel eine Liebesszene zwischen Elektro- und Trockenbau – das sind ja momentan die Schuldigen, derentwegen es nicht zu Ende geht. Die fühlen sich wohl auf der Baustelle und suchen schon nach der nächsten, auf der sie zusammenbleiben können, es gibt ja genug Langzeitbaustellen in Köln.
Gab es eigentlich Leute, die wieder abgesagt haben, als klar war, wir bleiben doch im Depot?
Nein, weil wir das von Anfang an sehr transparent gesagt haben: Leute, ihr müsst doppelgleisig fahren. Es hat niemand gemurrt, die Strahlkraft von Köln nach außen ist noch ungebrochen.
Rafael Sanchez, 1975 in Basel geboren, ist seit 2013 Hausregisseur am Schauspiel Köln, das er in dieser Spielzeit übergangsweise für ein Jahr leiten wird. Anschließend übernimmt er zusammen mit Pinar Karabulut die Intendanz am Schauspielhaus Zürich. Zum Auftakt der Saison am 14. September hat Sanchez „GRMPF - Eine musikalische Baustelle“ inszeniert.