Wilfried Schulz hat Düsseldorfer Schauspielhaus als Intendant zurück in die Erfolgsspur geführt. Auch für Köln hat er einige gute Ratschläge.
Schauspiel-Intendant Wilfried Schulz„Düsseldorfer und Kölner sind große Umarmer“
Herr Schulz, seit 2016 leiten sie das Düsseldorfer Schauspielhaus. Gucken Sie dabei auch auf die Nachbarhäuser in NRW, auf Bochum etwa, oder Köln?
Wilfried Schulz: Das ist Teil der Aufgabe, dass man weiß, was woanders passiert. Wir sind als Theater ja nicht nur unseren Städten und dem Publikum verpflichtet, wir sind auch ein Markt, der miteinander um Schauspieler und Regisseure konkurriert. Da guckt man auf gut geführte, künstlerisch interessante Theater der gleichen Größenordnung, da gehört Köln natürlich auch dazu. Aber es gibt keinen NRW-spezifischen Blick, unser Bezugsraum ist der ganze deutschsprachige Raum. Da sucht man seine eigene Spur, ist manchmal ein bisschen eifersüchtig und manchmal ein bisschen stolz.
Stolz können Sie auf Ihre Besucherzahlen sein. Sie haben es geschafft, die Düsseldorfer ins Theater zurückzubringen.
Das ist jetzt meine siebte Spielzeit in Düsseldorf. Das Düsseldorfer Schauspielhaus war damals nicht mehr im Zentrum, es wurde nicht mehr wahrgenommen und das hatte sich auch drastisch in den Zahlen niedergeschlagen. Die Linie eines Hauses zu ändern, das ist, wie einen Ozeandampfer umzusteuern. Das ist eine Arbeit, die Zeit braucht, Zuneigung, Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander – und ein paar neue Ideen. Ich glaube nicht, dass man ein Haus leiten kann, wenn man nicht für das Programm und für den Umgang mit dem Publikum einsteht.
Dabei hatten Sie zuerst noch nicht einmal ein Haus…
Das war ein heißer Kampf. Ich habe einen Milliardär getroffen, der das Gebäude kaufen wollte. Das war wirklich abenteuerlich. Deswegen haben wir das Schauspiel ja D’haus genannt und das Wort Haus mit ins Logo genommen. Und ich habe gesagt, wenn ihr hier schon die ganze Umgebung aufreißt, dann will ich nicht nach drei Jahren in ein sanierungsbedürftiges Haus zurückkommen.
Wie haben Sie sich durchgesetzt?
Ich musste eine Lobby in der Stadtgesellschaft finden. Dazu gehörte auch, die Architektur-Ikone Schauspielhaus ins Bewusstsein zu rücken und mit Menschen zu sprechen, denen das Theater und der Bau etwas wert waren. Mit sechs Millionen Euro haben sich Persönlichkeiten aus der Stadt an der Sanierung beteiligt. Das Land NRW, das ja zu 50 Prozent Gesellschafter des Schauspielhauses ist, hat uns sehr geholfen. Wir sind dann in dieses Interim am Bahnhof gezogen, das Central, das wir als Nächstes zur Spielstätte für das Jugendtheater und das Stadt:Kollektiv, unser partizipatives Theater, umbauen möchten. Nachdem wir einen Riesendruck gemacht hatten, um nach drei Jahren wieder ins Schauspielhaus reinzukommen, kam Corona. Eigentlich ist diese Spielzeit meine erste, in der wir nicht durch äußere Krisen geschüttelt werden. Und die läuft super, künstlerisch, aber wir werden auch weit mehr als 200.000 Besucher haben.
Dabei gilt das Düsseldorfer Publikum doch traditionell als schwierig?
Ich kann es nur loben. Wir hätten die ganzen baulichen Maßnahmen nicht durchgesetzt, wenn nicht gleichzeitig der Beweis dafür erbracht worden wäre, dass es sich lohnt. Ich fand es in der Interimszeit ein kleines Wunder, ein Haus zu füllen, ohne dass man ein Haus hat. Das kennen Sie in Köln ja auch. Die Düsseldorfer sind wie die Kölner große Umarmer, wenn sie etwas erst einmal lieben, dann lieben sie es auch richtig. Im Moment haben wir bei fast jeder Premiere Standing Ovations. Nicht, weil wir immer so großartig sind, - das sind wir natürlich auch - sondern weil die Leute ausdrücken wollen, dass mitten im Zentrum der Stadt ein Ort ist, den sie mögen, der ihnen intellektuell und emotional wichtig ist.
Was haben Sie denn anders gemacht als Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger?
Ich glaube, Stadttheater bedeutet, für eine Stadt da zu sein. Wir erklären viel und erzählen, warum wir etwas machen, was uns daran wichtig ist. Wir versuchen, uns mit den Bedürfnissen der Menschen in der Stadt zu verbinden. Wir leben zwar alle in irgendeiner Blase, aber man muss sie durchstoßen, wo es geht. Das Haus ist für alle da, es muss ganz viele verschiedene Türen haben, durch die man hindurchgehen kann. Das Ziel ist, dass die Besucherstruktur die Struktur der Stadt abbildet. Generationsmäßig kriegen wir das mittlerweile fast hin, aber was die verschiedenen Communities betrifft, da gibt es noch viel zu tun. Wir bemühen uns permanent, die Zugänglichkeit ins Theater zu erleichtern: durch Untertitelung auf Englisch und Ukrainisch, Gebärdendolmetscher und inklusive Inszenierungen, durch Angebote etwa für die iranischen und ukrainischen Communities.
Ist das Ziel eine Angebotserweiterung oder die Leute mit solchen Angeboten ins Kerngeschäft zu locken?
Das Ziel ist, die gesellschaftliche Realität widerzuspiegeln. Theater existiert nur in der Gegenwart von Menschen. Direkte Kommunikation, das ist der Sinn des Theaters. Wir machen „Cabaret“ nicht, weil damit endlich mal wieder das Haus voll ist, das ist es auch mit „Wilhelm Tell“. Wir machen „Cabaret“, weil es in Düsseldorf eine sehr starke queere Community gibt, mit der wir viel arbeiten. Wenn man dann ins Publikum guckt, sitzen da ältere Herrschaften, die sich an Liza Minelli erinnern, neben queeren Menschen, die sich geschminkt haben und Perücken tragen. Das ist mein Idealzustand, wenn sich das Publikum mischt, wenn die einen sich wundern, warum die anderen an dieser Stelle lachen. Das bewegt etwas.
Auf ein großes, übergeordnetes Thema im Spielplan verzichten Sie?
Dafür ist die Gesellschaft zu kompliziert. Ich glaube, das Publikum ist viel intelligenter und vielfältiger. Die Leitung des Theaters besteht aus acht bis zehn Leuten, die alle gesellschaftspolitisch extrem wach sind und das bildet sich im Spielplan ab. Wir nehmen kein Stück in den Spielplan, wenn wir nicht wissen, welches Thema man heute damit verhandeln kann.
Das Schauspielhaus Düsseldorf hat mit Stadt und Land gleich zwei Gesellschafter. Wirkt sich das positiv oder negativ im Arbeitsalltag aus? Und lassen die sich auch im Theater blicken?
Die Aufmerksamkeit von Land und Stadt auf dieses Theater ist groß. Vom Land, weil wir als einziges Theater in NRW zur Hälfte vom Land getragen werden, also ein Flaggschiff sind. Und auch der jetzige Oberbürgermeister pflegt einen sehr engen Kontakt zu diesem Theater und ist viel da. Ich glaube, im Moment, wo die gesellschaftlichen Krisen so offen daliegen, ist die Kultur ein Bereich, in dem man relativ friedlich, schiedlich und mit nicht allzu aufwendigen Mitteln vernünftige und notwendige Diskussionen führen kann. Deswegen fließen Fördergelder und werden derzeit wohl auch nicht infrage gestellt. In der Politik hat sich das Bewusstsein durchgesetzt, dass Kultur gebraucht wird. Und wir wollen gebraucht werden. Wir müssen Mechanismen dafür finden, wie wir Konflikte austragen, ohne sofort in Hasstiraden zu verfallen. Das Theater ist der Raum, wo das stattfindet. Auch wenn man „Hamlet“ sieht, wird man nach zehn Minuten über die Konflikte unserer Gesellschaft sprechen.
In Köln redet man natürlich vor allem über die enormen Baukosten der Dauerbaustelle am Offenbachplatz.
Es ist aber auch eine wahnsinnige Chance für eine neue Intendanz. Ich wünsche Köln eine super Entscheidung – und mit der Berufung von Rafael Sanchez ist ja ein erster, sehr konstruktiver Schritt getan. Und ich wünsche uns eine super Konkurrenz und Kooperation, so wie das bisher auch mit Stefan Bachmann war.
Was uns zu der Frage führt, wie viel Vorerfahrung man braucht, um ein Theater zu leiten?
Kann ich ein Haus mit 300 Mitarbeitern jemanden anvertrauen, der das noch nie gemacht hat? Es ist ein Abwägen von Risiko, Neugier und Erfahrung. Ich weiß, Karin Beier hatte es auch noch nie gemacht, aber sie hatte zuvor vielfältige andere Erfahrungen an großen Häusern gewonnen. Dass Diversitäts- und Gender-Gesichtspunkte eine Rolle spielen, ist uns allen klar. Auch in anderen Jurys wird kein abstraktes Suchbild aufgestellt, sondern es werden zuerst die Leute angeguckt und dann wird über Persönlichkeiten und Konzepte geredet. Ich kann Köln nur raten, der eigenen Jury zu vertrauen.
Immerhin gibt es diesmal eine Jury!
So blauäugig wie beim letzten Mal wird sich die Stadt nicht wieder verhalten. Jetzt steht eine Entscheidung an, die das Schauspiel fünf bis zehn Jahre tragen soll. Bei aller Wertschätzung für Stefan Bachmann, aber es wird nochmal eine andere Aufgabe sein, dieses Haus am Offenbachplatz neu in der Stadt zu positionieren. Dazu braucht man Zeit, Nerven und ein breit aufgestelltes Team.
Sucht man nach einem Kollektiv, hätte das den Charme, dass gleich ein Team antritt.
Da täuschen Sie sich. Niemand sagt derzeit, was er unter einem Kollektiv eigentlich versteht. Entweder könnte die Aufteilung der künstlerischen Verantwortung auf mehrere Personen gemeint sein und dazu käme dann noch ein Geschäftsführer. Oder es gibt das Modell einer gemeinsamen Leitung aus den Teilbereichen des Theaters. Politik, Stadt und Öffentlichkeit brauchen kenntliche und verantwortliche Menschen in der Leitung. Es geht natürlich auch um Macht, aber mich belastet das beispielsweise eher. Letztendlich geht es um Verantwortung.
Und die Verantwortung trägt ein Mensch allein?
Die kann auch geteilt werden. Aber die Bürger, die zig Millionen in die Theater reingeben und die Politik als Aufsichtsgremium, die müssen wissen, wer seinen Kopf für was hinhält. Da kann man nicht sagen, wir fangen mal zu zehnt an und am Ende übernimmt keiner die Verantwortung. Das weiß man spätestens seit der Kasseler documenta. Die Anforderung an die Politik wäre, dass sie genau beschreiben kann, was für ein Profil sie von der neuen Intendanz erwartet. Wo soll sie das Schauspiel Köln hinführen?
Sie müssen sich nicht mehr bewerben, Sie gehen 2026 in den Ruhestand. Was haben Sie dann vor?
Viel Tennis spielen. Und ich würde gerne über die Dinge schreiben, die wir heute direkt oder indirekt angesprochen haben, über die Transformationsprozesse nachdenken, in denen wir uns gesamtgesellschaftlich befinden. Das gilt für Sportvereine genauso wie für das Theater.
Wilfried Schulz wurde 1952 in Falkensee bei Berlin geboren. Seit der Spielzeit 2016/17 leitet er das Düsseldorfer Schauspielhaus und hat das lange kriselnde Theater wieder in die Erfolgsspur geführt.