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Schauspiel KölnDie Überraschung der Liebe

Lesezeit 4 Minuten

Ein Liebespaar: Kristin Steffen und Thomas Brandt

Kein Dolch soll in Julias Herzen rosten. Obwohl sie ihn, anders als in der Shakespeare'schen Vorlage, doch selbst mit ins Grab genommen hat. Stattdessen wandelt sie am Bühnenrand weg von der Leiche ihres Frischvermählten, dreht, mit anschwellender Musik, das Gesicht zum Publikum - und lächelt. Warum auch nicht? Ihre Liebe hat sich erfüllt, ihre Jugend - so sagte es Romeo, kurz bevor er Gift schluckte - hat sie erfolgreich zerschlagen.

So stand es - zumindest in Pinar Karabuluts Inszenierung der "Ausgezeichnetsten und bejammernswerten Tragödie von Romeo und Julia" - von Anfang an in ihren Sternen. Karabulut setzt mitten im ersten Akt ein, beim Maskenball der Capulets, hat auch sonst beherzt gekürzt, wo der Fokus nicht auf ihr Thema von der Unmöglichkeit der bedingungslosen, also romantischen Liebe fällt.

Die Veroneser tanzen in Zeitlupe, jeder für sich, in einer Art Glaslabyrinth. Nur einer lehnt still, mit gesenktem Kopf an einer Glaswand. Romeos Gesicht ist als mexikanische Totenmaske geschminkt, und auch die lange, aufgekratzte Rede seines Freundes Mercutio kann ihn nicht aufheitern. Doch dann, Romeo hat sich von der Party gestohlen, vorm Glaskasten dringt nur das dunkle Pulsen der Bässe zu ihm durch, passiert es: "Die Überraschung der Liebe", wie das Programmheft Alain Badiou zitiert. Das große Theater des Gefühls. Julia kommt von links, auch sie mit Totenschädelschminke. Ganz langsam schreiten sie aufeinander zu, wie im Spaghettiwestern, schon liegen sie sich in den Armen und verschmieren ihr Make-up.

Die ersten ungelenken Worte werden nachgereicht. Thomas Brandts Romeo ist ein hormongeschubster Hitzkopf, wenn er mit seinen Kumpels Benvolio und Mercutio auf Veronas Straßen unterwegs ist, belästigen sie Passantinnen, suchen Streit mit den Capulets. Doch jetzt, wo die Liebe eingeschlagen hat, zeigt er sich als liebenswerte Knalltüte, reißt sich Marlon-Brando-mäßig das Hemd auf, schreit "Julia", nur um sich zu schelten, "too much, too much". Und Kristin Steffens Julia begnügt sich nicht damit, passiv Liebesschwüre von der Balkonbrüstung entgegenzunehmen. Sie ist der aktivere Teil dieser blutjungen Beziehung, rennt hosenlos über die Bühne, ist sofort zu allem bereit und unterbricht ihr zuckersüßes Liebessäuseln nur, um ihre Mutter in der Art anzukeifen, die allein Teenager beherrschen, die zum gemeinsamen Essen oder zu Hausaufgaben gerufen werden. Das zahlt sich später aus, wenn die zweideutigen Antworten, die sie ihrer ahnungslosen Mutter gibt, klingen, als genösse sie gerade diesen todbringenden Aspekt ihres Liebesspiels.

Zusammen sind die beiden jungen Ensemblemitglieder jedenfalls eine Wucht, und jede "Romeo und Julia"-Inszenierung mit einem glaubwürdigen Paar in ihrem Zentrum hat bereits gewonnen.

Dennoch, es gibt Passagen, da vermisst man die aufbrausende Dynamik, mit der Karabulut auffiel, als sie, noch Regieassistentin, Jonas Hassen Khemiris "Invasion!" inszenierte. Das war in der winzigen Container-Grotte des Schauspiel Köln, jetzt gilt es, die gigantischen Ausmaße des Depot 1 zu durchmessen, und da hilft Bettina Pommers großer Glaskasten - wie soll man sich bloß heimlich lieben, wenn alle Wände durchsichtig sind? Aber er raubt dem Geschehen auch einiges von seiner Unmittelbarkeit. Die Wände des Labyrinths entpuppen sich als Drehtüren. Die bringen Wind in die starre Gesellschaftsordnung, aber die Protagonisten können sich in ihnen auch einklemmen und steckenbleiben. Doch das Bühnenbild erschwert rasche Auf- und Abgänge, und zu oft versperren Metallstreben die Sicht auf das, was man sehen will, die Gesichter der Schauspieler.

Die machen ihre Sache durchweg gut, Simon Kirsch als manisch versexter Mercutio und Nikolaus Benda als sein eiskalt-psychopathischer Widersacher Tybalt sind geradezu Idealbesetzungen. Gehen sie mit bloßen Händen aufeinander los wie im Fight Club gewinnt der Abend die Körperlichkeit, die ihm sonst abgeht. Die beste Szene ist Karabulut nicht mit dem jungen Liebespaar, sondern mit ihren erwachsenen Ermöglichern gelungen: Während Romeo verzweifelt am Boden kauert, flirten Benjamin Höppners Bruder Lorenzo und Sabine Waibels Amme hemmungs- und hilflos miteinander, reißen voreilig die Nachtigall-Lerche-Diskussion an sich ("Kennst du dich aus mit Vögeln", fragt die Amme den Mönch). So eine uferlose, alle Unterschiede negierende Liebe funktioniert eben nur bis zu einem gewissen Alter. Hat man seine Jugend nicht zerschlagen, ist es schon zu spät. Starker Beifall für Ensemble und Regie, Jubel fürs junge Liebespaar.

Stückbrief

Inzenierung: Pinar Karabulut (Regie), Bettina Pommer (Bühne), Teresa Vergho (Kostüme), Daniel Murena (Musik)

Mit: Thomas Brandt, Kristin Steffen, Simon Kirsch, Nicolas Lehni, Nikolaus Benda, Mohamed Achour, Yvon Jansen, Benjamin Höppner, Sabine Waibel

Termine: 22., 26. Oktober, 3., 4., 11., 12., 29. November, Depot 1, 140 Minuten