Schauspiel KölnStefan Bachmann inszeniert jetzt auch auf Arabisch
- Der Kölner Intendant eröffnet die Spielzeit mit "Vögel"
- Das Stück des Autors Wajdi Mouawad wird derzeit an 12 Bühnen gespielt
- Die Schauspieler mussten ihren Text in vier Sprachen lernen
Köln – Als „star-crossed“ beschreibt Shakespeare sein berühmtestes Liebespaar, Romeo und Julia. Auch die Liebe zwischen Eitan (Nikolay Sidorenko) und Wahida (Lola Klamroth) scheint den Lauf der Gestirne zu stören. Und ist doch seit der Geburt des Weltalls vorherbestimmt. So argumentiert der junge Biogenetiker, als er die Geisteswissenschaftlerin im Lesesaal einer New Yorker Bibliothek anspricht.
Seit zwei Jahren hätte er, egal welchen Platz zu welcher Zeit er eingenommen hätte, dasselbe Buch auf diesem vorgefunden: „Das Ableben bedeutender Persönlichkeiten und die Nachrichten über die Söhne der Zeit“ des Rechtsgelehrten Ibn Challikan. Nun endlich sieht er die Person, die dieses Werk studiert. Das könne kein Zufall sein. Sondern?, will Wahida wissen. Woraufhin Eitan den Big Bang ins Spiel bringt und die 13,8 Milliarden Jahre, die das Universum gebraucht habe, um sie, ihn und das Buch wieder zusammenzubringen.
Der Mörder seines Vaters?
Naturgemäß verfallen die beiden jungen Protagonisten in Wajdi Mouawads Stück „Vögel“ einander, biografische Details – dass er als Kind einer jüdischen Familie in Berlin geboren wurde, dass sie die Tochter arabischer Eltern ist – sind für sie nur das Salz in der Ursuppe ihrer Liebe.
Das sieht Eitans streng gläubiger Vater David (Bruno Cathomas) allerdings ganz anders: „Lebe dein Leben mit dieser Frau, und ich nenne dich den Mörder deines Vaters“, verkündet er seinem Sohn und hält ihm dramatisch ein Messer an die Kehle. Ungläubig sammelt Eitan nach dem Eklat das Besteck vom Tisch und unterzieht die Speichelspuren darauf seinen genetischen Tests. Er möchte nicht länger der Sohn dieses Vaters sein. Das ist er doch, nur stößt er durch dieses Tests auf ein anderes Familiengeheimnis, eine Lebenslüge alttestamentarischen Ausmaßes. Eine, die ihn und seine Verlobte Wahida nach Israel führen wird und zuletzt in ein Krankenbett, in dem er nach einem Selbstmordanschlag im Koma liegt. Von hier aus, von diesem Zustand zwischen Leben und Tod, wird die Geschichte in Rückblicken erzählt.
Das mag man alles ein bisschen viel finden, und es ist noch viel mehr, aber wir wollen ja nicht spoilern. Der libanesisch -kanadische Autor Wajdi Mouawad scheut jedenfalls weder die großen Themen, noch das Pathos antiker Tragödien. Fasste man Sophokles’ „Oidipus tyrannos“ in vier Sätzen zusammen, erntete man nicht auch ungläubiges Lachen? Den gewichtigen Text setzt Kölns Schauspiel-Chef Stefan Bachmann im Depot 1 in nüchternes Interieur: Tische aus Metall und Glas, Vorhänge aus halb durchsichtigem Plastik. Ein schwarzer Rahmen verleiht den Szenen Kinoformat, darauf projiziert die deutschen und englischen Übertitel.
Aufführung in vier Sprachen
Denn dem Konzept des Autors, der bei der Pariser Uraufführung selbst Regie führte, die handelnden Personen in ihrer jeweiligen Muttersprache oder in einer der Situation angemessenen Zunge reden zu lassen, unterwerfen sich Bachmann und sein Ensemble mit Lust. Die vertrauten Akteure wachsen mit ihren schier unlösbaren Aufgaben. Am Hellsten strahlt die Älteste unter ihnen: Margot Gödrös, als Eitans vorgeblich herzlose Großmutter Leah.
Hebräisch, Arabisch, Englisch, Deutsch: Die Sprache führt die Menschen, lässt sie Brücken zu den anderen, oder in die eigene Vergangenheit hinein schlagen; vereinzelt und verletzt sie aber auch: Einmal beschwert sich David bei seinem Vater Etgar (Martin Reinke), dass er es wagt, mit ihm in der Sprache der Mörder zu sprechen. Seine ostdeutsche Frau Norah wiederum hat erst als Jugendliche erfahren, dass sie Jüdin ist und hadert mit dem Hebräischen. Wahida wiederum entdeckt ihre arabischen Wurzeln, als sie ihren Namen in Palästina so gut ausgesprochen hört, wie es nur ihr Vater konnte.
Immer enger umkreist Mouawad die tödliche Spirale aus Juden, Muslimen und Christen, aus der Doppelhelix des genetischen und kulturellen Erbes, auch mit Hilfe einiger Nebenstränge, die seine Themen spiegeln, der von Eitans Mutter (Melanie Kretschmann) psychologisch betreute Künstler, der mit seinem Sperma malt; der muslimische Gelehrte Leo Africanus (Kais Setti), der entführt und Papst Leo X. zum Geschenk gemacht worden war und über den Wahida ihre Doktorarbeit schreibt.
Manche, wie Cathomas’ David, werden zwischen diesen Strängen zermalmt. Der Vater steht am Ende nackt und seiner Identität beraubt da, sein Sohn wird keinen Trost finden. Zu viel ist passiert zwischen Lessings Ringparabel und unserer vertrackten Gegenwart. Aber diese Inszenierung ist ein vielversprechender und auch viel einlösender Spielzeitauftakt.
STÜCKBRIEF
Regie: Stefan Bachmann Bühne und Kostüme: Jana
Findeklee, Joki Tewes Musik: Gajek Mit: Lola Klamroth, Nikolay
Sidorenko, Bruno Cathomas, Melanie Kretschmann, Martin Reinke, Margot Gödrös, Kais Setti, Lena Kalisch
Termine: 25. 09.; 6., 11., 15., 19., 20., 26., 31. 10.; 24., 28. 11., Depot 12, 180 Min., eine Pause