„Schön, Gesichter ohne Maske zu sehen“So waren die Konzerte auf der Kölner c/o-pop
Köln-Ehrenfeld – Gefühlvoller Soul, tanzbarer, in psychedelische Sphären abdriftender Beat und lärmender Punk: Diese musikalische Bandbreite auf engstem Raum bot am Freitag das Musikfestival c/o-pop. Am Abend wurde Ehrenfeld zur Konzertmeile, die Venloer Straße wurde eigens gesperrt und die Reaktionen der Menschen reichten von Ungläubigkeit angesichts des unerwarteten autofreien Kurzglücks bis hin zu Begeisterung darüber, das Kioskbier nicht eingequetscht zwischen abgestellten Fahrrädern und Fußgängern trinken zu müssen.
Soul mit der Sängerin May The Muse im Kölner Club Bahnhof Ehrenfeld
Der Rundgang beginnt im Club Bahnhof Ehrenfeld, den die in Berlin lebende Singer-Songwriterin May The Muse mit ihrer souligen Stimme füllt. Viel mehr bräuchte sie nicht, um ihre dringlichen Liebesbitten zu formulieren. „I need your love“, „Tell me I’m the only one for you“, „Did she hold you like I do?“ – diese flehentlichen Zeilen trägt Désiree Dorothy Mishoe mit durchgehend geschlossenen Augen vor. Wenn sie singt, verwandelt sich alles in Stimme und wenn im CBE der Beat fast schon zu stark wummert – streckenweise zu laut für die Konzertentwöhnten Ohren –, dann wünscht man sich eigentlich nur den puren Soul der Sängerin zurück, ohne elektronische Chorverstärkung im Hintergrund oder anderen Effekten.
Die Gesichter in den ersten Reihen blicken ihr verträumt entgegen. Das Publikum hat sie im Nu mit ihrer unprätentiösen Art gewonnen. „Ich freue mich, wieder in Gesichter ohne Maske zu blicken“, sagt die Sängerin. Und für ihren Song „Gold“, den sie, wie sie den Kölnern verrät, in Mülheim auf der Schäl Sick geschrieben hat, bezieht sie das Publikum als Chor mit ein – das sie anschließend mit Jubel belohnt. „Ihr seid sehr warm“, freut sich May The Muse.
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Zum Schluss schenkt sie den Gästen auch noch eine Weltpremiere. Ihren Song „Million“ habe sie noch nie zuvor auf der Bühne gespielt („Den habe ich gerade erst fertig geschrieben“). Dass sie nach den ersten Tönen abbricht und ihren Gitarristen anweist – „Let’s do it again“ – macht diese unaufgeregte Sängerin nur noch authentischer.
Tanzbare Sounds von L’éclair im Bumann & Sohn
Eher wortkarg und körperbetont geht es später am Abend im Bumann & Sohn zu, wo die instrumentale Schweizer Band „L’éclair“ aus Genf auf dem Programm steht. In dem Club mit wenig Beleuchtung bewegen sich wahlweise im pinken oder grünen Lichtstrahl auf der Bühne wuchtige Haarmähnen im 70er-Jahre Stil rhythmisch zum Beat. Das Sextett veröffentlicht 2017 ihr Debütalbum: Ihr Sound ist elektronisch, funkig, streckenweise psychedelisch, Krautrock-Einflüsse inklusive und entzieht sich einer genauen Zuordnung. Im Bumann ist das Publikum mit dem ersten Stück sofort tanzbereit, und das Highlight sind definitiv die Bongos. Der Keyboarder und Perkussionist Alain Sandri rotiert dafür. Wenn er in die Tasten haut, steht er mit dem Rücken zum Publikum, nur um dann in einer Halbdrehung zu den Bongos zu wechseln. Wenn die Trommelei ekstatisch wird, drückt sein ganzer Oberkörper sich gen Instrument. Ein bewegter Partyabend.
Von wahrlich anderem „Schlag“ ist das Konzert der Band „Gewalt“ im Bürgerzentrum Ehrenfeld. Zwar ist der Saal nicht berstend voll, doch das Rock-Trio besitzt ein effektives Mittel der Kompensation für Leerstellen: Lärm. Außerordentlicher, ohrenbetäubender Krach, für den zwei Gitarren und ein Bass gepaart mit den Schlägen eines Drumcomputers verantwortlich sind.
Berliner Punk-Band „Gewalt“ im Bürgerzentrum Ehrenfeld: Der Name ist Programm
Ihre ganze Musik ist so ganz konträr zum zeitgenössischen, verträumten Indie-Rock-Sound. Dafür war der 1970 geborene Frontsänger Patrick Wagner, von den Feuilletons zum gefallenen Helden der Independent-Szene und zur Antifigur von Tocotronic und ihren vielen Abbildern stilisiert, auch schon mit seiner Vorgänger-Band Surrogat bekannt. Nach gescheiterter Label-Arbeit und 12 Jahren kompletter Abwendung von der Musik gründete er 2015 nun also „Gewalt“.
Der Name ist Programm, wie auch die Show beweist, die wie ein apokalyptisches Gewitter daherkommt. Das Licht ist gleißend hell und Frontmann Wagner donnert einem bedeutungsschweren Hauptsätze in stoischer Wiederholung entgegen. „Was uns verbindet ist unsere Gier“ oder „Ich bin ein guter Junge / Du bist ein guter Junge / Wir sind gute Jungs / Ich arbeite / Du arbeitest / Wir arbeiten / Das ist gute Arbeit“. Und natürlich die (Selbst-)Anklage des Songs „Deutsch“, dessen Refrain „D-D-D-deutsch“ er so ausspricht, als sei die Eigenschaft, deutsch zu sein, ein widerwärtiger Makel („Bei Geburt ein Arschloch / bescheiden und redlich“). Wagner, schweißgebadet, nutzt immer wieder seine kurz frei werdende Hand für verstärkende Gestiken. Seine Halsschlagader schwillt an, während seine Bandkolleginnen Helen Henfling (Gitarre) und Jasmin Rilke (Bass) mit unverändertem Gesichtsausdruck und anmutigen Bewegungen völlig entrückt wirken.
Der individuelle und gesellschaftliche Untergang, das Dunkle, der Schmerz, der aus den Texten spricht: Zusammen mit der Bühnenshow entsteht so eine ganz eigene Ästhetik, von der manche schon behauptet haben, sie sei „lebensverändernd“.