Das neue Drama „September und July“ von Ariane Labed ist ein Film über Schwesternschaft, die menschliche Psyche und was es heißt, ausgegrenzt zu werden.
Schwesterndrama„September und July“ zeigt, was sonst kaum im Kino kommt

September (Pascale Kann, l.) und July (Mia Tharia) aus dem gleichnamigen Film
Copyright: Cáit Fahey/Sackville Film and Television Productions
„Nur langweiligen Menschen wird langweilig“, das bringt die Fotografin und alleinerziehende Mutter Sheela (Rakee Thakrar) ihren Töchtern September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia) bei, den Hauptdarstellerinnen des gleichnamigen Films. Es ist eine Botschaft, mit der Sheela ironisch an die Kreativität und Individualität der beiden Teenager appelliert. Die sind nämlich kein bisschen langweilig, sondern sehr vielseitig – inwiefern, das zeigt das von der Film- und Medienstiftung NRW geförderte Drama, indem es die Komplexität menschlicher Beziehungen und der Psyche offenlegt.
„September und July“ ist der abendfüllende Debutfilm der französischen Regisseurin Ariane Labed. Er basiert auf dem Buch „Sisters“ der britischen Autorin Daisy Johnson und handelt von zwei unzertrennlichen Schwestern, die eine enge Beziehung zueinander haben.
Die schüchterne July wird in der Schule gemobbt. Ihre einzige Rettung ist die nur 10 Monate ältere, draufgängerische September, die July aggressiv verteidigt und beschützt – ein Verhalten, weswegen September öfter nach Hause geschickt wird. Im Gegenzug für ihren Schutz muss July den teils absurden Forderungen ihrer Schwester nachkommen. Tanzen oder ein Glas Mayonnaise leer löffeln sind da noch harmlose Befehle im Vergleich zu jenen, die September July im Laufe des Films gibt.
Klaustrophobisches Schauermärchen und Coming-of- Age-Film
July scheint abhängig zu sein von der dominanten September, doch mit der Zeit wird klar: Auch September braucht Bestätigung und Unterstützung, vielleicht sogar mehr als July – vor allem, als diese beginnt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Spannung in der toxischen Beziehung intensiviert sich, nachdem September wegen einer mutmaßlich gewalttätigen Racheaktion von der Schule suspendiert wurde und die Schwestern mit ihrer Mutter in das Ferienhaus der Großeltern in Irland ziehen.
Was einerseits als klaustrophobisches Schauermärchen anmutet, ist auch ein Coming-of-Age-Film über die Entwicklung junger Frauen, Mobbing und mentale Gesundheit. So gibt die Szene einer Therapiesitzung der Mutter Sheela Hinweise auf eine traumatische Vergangenheit des sexuellen Missbrauchs, der, so scheint es, auch July betraf.
Den Vater bekommt das Publikum nicht zu sehen, aber September nennt ihn einen „Unruhestifter“. Als Sheela sich beklagt, dass September nun schon zum vierten Mal in diesem Jahr nach Hause geschickt wurde und fragt: „Wo hast du gelernt, so zu sein?“, antwortet September: „Ich komme wohl nach meinem Vater.“ Sie steht auf und geht, woraufhin Sheela July beruhigend zunickt.
Der Film behandelt Tabuthemen
Traumatische Erfahrungen und psychische Instabilität als Motiv auf die große Leinwand zu bringen, war der Regisseurin Ariane Labed ein Anliegen: „Viele Menschen haben psychische Probleme und leiden unter Traumata. Obwohl es einige Filme gibt, die sich damit beschäftigen, sind diese Themen immer noch ein Tabu.“
Labed ist als Schauspielerin bekannt geworden, Regie hat sie bisher bei insgesamt drei Filmen geführt. Ihre Filmografie zeigt, dass sie sich vor allem für Filme interessiert, die gesellschaftskritische, tiefgehende oder unkonventionelle Themen behandeln. Auch in „September und July“ habe sie zeigen wollen, was sonst nicht im Kino zu sehen sei: zum Beispiel eine Damenbinde, Mädchen, die sich die Beine rasieren und Sex ohne Penetration. Labed findet: „Sex im Kino als verführerisches Event sieht nicht so aus wie der Sex, den wir in unseren Schlafzimmern haben.“
Ein feministischer Ansatz war der Regisseurin wichtig
Die vorigen zwei Filme, die Labed als Regisseurin produziert hat, behandeln die Themen Gewalt an Frauen (Der Episodenfilm „H24“) und Gleichberechtigung (Der Kurzfilm „Olla“). Auch bei „September und July“ hat Labed, wie sie sagt, großen Wert auf einen feministischen Ansatz gelegt – so sollten die Hauptdarstellerinnen keine typische Frauenrolle einnehmen, sondern unkonventionell und schwerer durchschaubar sein.
Diese Eigenschaften seien Labed bei den Protagonistinnen des Romans „Sisters“ von Daisy Johnson positiv aufgefallen. Und so wollte sie das Buch verfilmen: „Es gibt selten weibliche Charaktere, die so komplex und ehrlich sind wie September und July in ‚Sisters‘“. Von Frauen werde normalerweise erwartet, Männern zu gefallen und attraktiv zu sein. Die Charaktere in „September und July“ hingegen haben Eigenschaften, die normalerweise Männer beschreiben.
So ist September zum Beispiel manchmal gewalttätig und manipulativ. Gleichzeitig erleben die Zuschauenden sie aber auch sehr liebevoll im Umgang mit July. Sie streicht ihrer Schwester über den Kopf, man sieht die beiden zusammen im Garten sitzen, gemeinsam lachen und mit ihrer Mutter vor dem Fernseher kuscheln. Denn „September und July“ zeigt: Menschen haben verschiedene Facetten, sind manchmal widersprüchlich und lassen sich nicht einfach so in Schubladen stecken. Sonst wären sie ja langweilig.
„September und July“ kommt am 6. März in die Kinos.