Nicht-Sänger H.P. Baxxter beschwört mit seiner Band Scooter noch einmal die wilden 1990er in Köln.
Scooter in der Lanxess-ArenaDer Untergang des Abendlandes, wiederaufgelegt
Vor einiger Zeit guckte ich mit meinen Schwiegereltern eine Arte-Dokumentation über die wilden 90er Jahre: Sven Väth, Westbam, Macht der Nacht, Mayday, Loveparade, Marushas grün gefärbte Augenbrauen und natürlich Scooter. O Gott, erregten sich meine Schwiegereltern, wie die alle aussehen! Und wie sich das anhört! Das soll Musik sein? Bumm, Bumm, Bumm, Stumpf, Stumpf, Stumpf – nicht zum Aushalten! Sie sahen gerade live dem Untergang des Abendlandes zu und ich versuchte vergeblich, ihnen zu vermitteln, dass es sich um ein historisches Programm handelt. Dass es dieses bunte, feierwütige, frisch vereinte Deutschland schon lange nicht mehr gibt.
Immerhin, es ist gut konserviert, in Gestalt von H.P. Baxxter. Der wirkt, als er in der Kölner Arena von Druckluft-Hupen-Fanfaren begleitet eine kleine Showtreppe hinuntersteigt, wie in Harz gegossen. Schlanke Linie, schwarzes T-Shirt mit Ed-Hardy-haften Glitzermotiv, ein Zeitreisender aus Ravehausen. „Hands up high, rave and shout“, befiehlt der Peroxidgebleichte sogleich.
Bretonische Volkslieder oder Peter-Maffay-Musicalnummern – für Scooter stammt das alles von der gleichen Müllhalde
Links und rechts von ihm wippen zwei ebenfalls schwarz gekleidete Männer hinter ihren Keyboardburgen, die Drum-Machine dreht frei, 130, 160, 190 beats per minute, vom Band säuselt eine hochgepitchte Hamsterstimme eine Auswahl geklauter Melodien, die man noch im Vollrausch nachgrölen kann. Bretonische Volkslieder, Rock- und Disco-Klassiker, Kindermusicals von Peter Maffay – für Scooter stammt das alles von der gleichen Müllhalde namens Populärkultur. Es sind nur die Haken, an denen sie ihre Stücke aufhängen, Technotracks, die sich als Radiosingles maskiert haben.
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Feuerstöße, dumpfes Geböller. Leicht bekleidete Tänzerinnen schwenken Flaggen mit dem bekannten Megafon-Logo der Band. „Döp, döp, döp, da da, döp, döp, döp“, skandiert das Publikum. „Wicked“, lobt der kulturblonde Hans Peter, „massive!“ Dann erlaubt er sich einen uncharakteristischen Augenblick der Sentimentalität. Seit dem letzten Scooter-Konzert in Köln seien schon einige Jahre vergangen: „Dass jetzt hier so viele sind, das rührt mich ein wenig.“
Wie kann man nur eine Band, die sich selbst „Scooter“nennt als Kirmestechno beschimpfen
Die Arena ist bis zur letzten Reihe im Oberrang gefüllt, mit 18.000 Menschen, die aussehen, wie die Mitte der Gesellschaft eben aussieht. Keine grünen Augenbrauen, höchstens T-Shirts mit offensiven Bekenntnissen zur früher oft verlachten Happy-Hardcore-Spielart der elektronischen Musik. Deppen- oder Kirmestechno schimpften damals solche, die sich für Besserhörende hielten. Als könnte man sich über eine Band erheben, die sich selbst den Namen „Scooter“ gegeben hat.
Weder das musikalische Schnöseltum noch dessen ironisch-distanzierter Weltzugang haben die Jahrtausendwende überlebt. Scooter schon. „Thirty, rough and dirty“ hat das Trio seine Tour in typischer Diktion getauft. 30 Jahre. Scooter sind zumindest dem Alter nach ein Oldies-Act. H.P. Baxxter hat im vergangenen März seinen 60. Geburtstag gefeiert – die Rave-Ära war schon seine zweite Jugend – und kann trotzdem noch im Brustton der Überzeugung „Hyper! Hyper!“ ins Mikrofon stoßen. Wie ein menschliches Nebelhorn, ohne dass irgendjemand den Sinn des Unterfangens hinterfragt. Der wird schlicht nicht gemacht, der Sinn. Was die Talking Heads nur gefordert haben, „stop making sense“, Scooter haben es umgesetzt. Sollen andere Bands mühsam von Thema zu Thema kurven, Scooter wagen die Abfahrt: „Faster, harder, Scooter.“
Inhalt vergeht, Form bleibt. Jeder Keyboardstoß in der Arena ist ein Weckruf, jeder Ausruf ein Diktat zum ungebremsten Spaß, jedes Stück der Soundtrack zum Ende der Geschichte. „Respect to the man in the ice cream van!“, „How much is the fish?“, „Which light switch is which?“ – Baxxters Aufputsch-Phrasen knüpfen an das grammatikalisch herausgeforderte Hardrock-Englisch des Scorpions-Sängers Klaus Meine an. Und sie schlagen auch einen weiten Bogen zur Dada-Lyrik eines dritten Hannoveraners, des Merz-Künstlers Kurt Schwitters. „Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee“, hebt dessen Ursonate an. Genauso klingt Scooter.
Der Maler Albert Oehlen, ein erklärter Bewunderer der Band, lobte schon vor Jahren deren „totale Sinnentlehrung“. Baxxters Slogans, so Oehlen, wirkten wie „Infantilisierungshebel“: „Der Verstand wird an der Kasse abgegeben und schon kann’s losgehen.“ In Köln ist die Gemütslage gleich mit dem ersten Bassdrumschlag auf dem Höhepunkt. Baxxter tanzt seitwärts ausschreitend die Bühnenrampe entlang, kehrt mit einer Flying-V-Gitarre zurück, aus deren Hals Funken sprühen, begrüßt den zur Formation zurückgekehrten Jay Frog (links am Keyboard) mit Hurra. Nur als er ein kleines Wellental in der Begeisterungsamplitude wahrnimmt, wird Baxxter kurz unleidlich: „Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn hier eine Stimmung ist wie auf dem Friedhof.“
Das ist glatt gelogen. Der Kölner Enthusiasmus kennt keine Grenzen, jeder Kanonenschlag, jede Geschwindigkeitssteigerung, jeder kühl kalkulierte Bass-Drop wird bejubelt, jeder Aufforderung zur kollektiven Urschreitherapie mit Feuereifer nachgegangen. Als könnte man sich die 90er zurückbrüllen, zurück zum letzten kollektiven Aufwärtsschwung des Landes. „The source is the power of the force“, orakelt Baxxter. Aber wo versteckt sich diese Kraftquelle? Und wie finden wir zu ihr zurück, bevor das Abendland endgültig untergeht?
Abseits der Bühne gönnt sich selbst der Scooter-Lautsprecher ein wenig Alterspessimismus. Der zeitgenössischen Musik fehle jeglicher Tiefgang, klagte der Nicht-Sänger vor ein paar Jahren in einem Interview. Das hätte alles so etwas Kaugummi-Mäßiges. Da kann sich Hans Peter ja mal mit meinen Schwiegereltern zusammentun.