Wir Kinder vom Bahnhof Zoo„Sex und Prostitution spielen sich eher im inneren Auge ab“
Der Regisseur Philipp Kadelbach hat die neue Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ inszeniert. Ein Gespräch über moralische Zeigefinger, die Gefahr von Drogenverherrlichung und das Drehen mit unerfahrenen jugendlichen Schauspielern.
Sie haben sich mit der Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ die Neuinszenierung eines Klassikers vorgenommen. Dabei kann man sich leicht verheben. Wie sind Sie als Regisseur vorgegangen?
Gibt es einen triftigen Grund eine Geschichte nochmal neu zu verfilmen? Das ist die allererste Frage, die man sich als Regisseur stellen muss. Uli Edel hat in seinem Film von 1981 das graue, triste Berlin in Szene gesetzt. Er hat eine etwas voyeuristische Ansicht, vor allem aber hat er sich stark perspektiviert auf Christiane F. Als ich in Vorbereitung auf die Serie den Roman gelesen habe, ist mir klar geworden, wie viel noch nicht erzählt worden ist. Mir war wichtig, auch die Freundschaften um Christiane F. herum ins Licht zu rücken, wofür eine Serie natürlich auch viel mehr Zeit hat. Mir ging es darum, zu zeigen, wie es passieren kann, dass Jugendliche in dem Alter abrutschen und Drogen nehmen. Dass es keinen kausalen Grund dafür gibt. Wir konnten zurückgreifen auf die Audiokassetten des Interviews, dass die Stern-Reporter damals mit Christiane F. geführt haben. Das waren über 300 Stunden Material mit vielen unbekannten Aspekten.Ist die von Edel damals inszenierte Tristesse ein erhobener Zeigefinger, während Ihre auffallend opulente Inszenierung darauf setzt, die Kraft der Verführung zu zeigen?
Auf jeden Fall. Irgendetwas muss ja am Drogen nehmen toll sein, sonst würde es keiner machen. Das ist eine große Verführung und darin liegt die Gefahr. Ich habe darum auch das Motiv des Bahnhof's Zoo zum Beispiel bewusst nicht als nur einen Ort des Transits dargestellt, der total versifft ist und wo man schnell wieder weg will. Aus der Perspektive der Kids ist das ja ein Ort, an dem man gerne abhängt. Das gilt auch für den Club „Sound“, in dem sich die Jugendlichen treffen. In Wirklichkeit ging es eine Treppe nach unten, in einen zwei Meter hohen, engen Keller und wirkte alles andere als glamourös. In den 70er-Jahren war das aber der modernste Club Europas. Ich wollte das bewusst visuell überhöhen, damit jeder versteht, warum es die Kids dorthin treibt.
Wie viele Gedanken haben Sie sich beim Drehen gemacht über die Gratwanderung zwischen Drogenverherrlichung und guter Unterhaltung?
Die ganze Zeit. Das ist ein ständiges Spiel auf dem Drahtseil. Es ist ein Acht-Stunden-Film und ich hoffe, dass sich jeder die Serie bis zum Ende anguckt, wo sich dann schon sehr deutlich zeigt, dass Drogen nehmen furchtbar ist. Wir wollten aber unbedingt das Gute wie das Schlechte zeigen und nicht moralisieren. Die schreckliche Konsequenz ist durch die berühmten Vorlagen ja ohnehin in allen Köpfen verankert.
In welchen Entscheidungen hat sich die Verantwortung, die Sie als Regisseur haben, widergespiegelt?
Die Serie war von Anfang an so konzipiert, dass man uns keinen Voyeurismus vorwerfen kann: Sex, Prostitution, Vergewaltigung spielen sich eher im inneren Auge ab, als dass wir es auf die Leinwand malen. Und es gibt wirklich nicht eine drogenverherrlichende Szene, weshalb ich auch nicht verstehe, dass einige Kritiker uns das gerade vorwerfen. Es gibt so viele Filme, in denen sich Leute Drogen einwerfen und dann visuell erzählt tolle Trips erleben. Wir haben uns sehr bewusst dagegen entschieden, Drogenkonsum in Szene zu setzen. Wir überhöhen zwar immer wieder Szenen, in denen merkwürdige Dinge passieren: Da schweben die Jugendlichen in einer Disco-Szene durch den Raum, als wären sie im Rausch. Das sind aber alles Momente, in denen die Kids gerade nicht auf Drogen sind, sondern einen besonderen Gefühlszustand oder ein besonderes Wir-Gefühl in ihrer Gruppe erleben.Die echte Christiane F. hat sich 2014 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Konnten Sie in Vorbereitung auf die Dreharbeiten mit ihr sprechen?
Leider nicht. Sie weiß natürlich von dem Projekt, allein auch wegen der Persönlichkeitsrechte. Wir haben aber respektiert, dass sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat.
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Die Geschichte von Christiane F. spielt in den 70-er Jahren. Ihre Serie liegt zwar eindeutig in der Vergangenheit, ist zeitlich aber nicht eindeutig zuzuordnen. Auch die Musik wechselt stilistisch zwischen den Jahrzehnten. Eine Entscheidung, um die Universalität der Geschichte herauszustellen?
Auf jeden Fall. Mit der Zeitlosigkeit stellen wir automatisch einen aktuellen Bezug her. Wenn man sich mit Drogen inhaltlich auseinandersetzt und sie aber nur in den Mantel der 70er-Jahre packt, schaut man sich das ja ein Stück weit geschützt an, weil es damals passiert ist. Uns hat die Zeitlichkeit der Geschichte nicht so sehr interessiert, sondern mehr die Emotionen der Figuren und die Gründe, warum sie Drogen nehmen. Heute nimmt man statistisch gesehen übrigens noch mehr Drogen als damals.
Hatten Sie überlegt, die Serie in die Gegenwart zu verlegen?
Ja, aber auch das wäre natürlich eine feste Einordnung gewesen. Und in der Jetzt-Zeit hätte man viele dramaturgische Dinge nicht machen können, was ich schade gefunden hätte. Ganz banal: Allein, dass die Protagonisten eben kein Mobiltelefon oder keine Whats-App-Gruppe benutzen, ist super praktisch, weil sie die ganze Zeit Treffpunkte ausmachen müssen, Figuren gesucht werden müssen. Das macht es ja auch spannend. Hätten wir es eindeutig in die 70er-Jahre verlegt, hätte ich viel Wert auf eine authentische Darstellung legen müssen, was wiederum einengt. Das Spielen zwischen den Zeiten hat mich sehr gereizt.
Die Darsteller der Serie sind alle unbekannt, was ungewöhnlich ist. War das in diesem Fall möglich, weil die Geschichte der Star ist?
Das kann man so nicht sagen. Wir wollten von Anfang an ungesehene Gesichter. Das ist natürlich viel einfacher bei jungen Schauspielern, weil die schlicht und ergreifend noch nicht so viel gedreht haben. Wir haben in einer großen Altersspanne gecastet, von 13 bis 19 Jahren, weil wir anfangs noch nicht wussten, wie die Kids in welchem Alter vor der Kamera in bestimmen Szenen wirken. Wir haben dann aber gemerkt: Es gibt in der Serie Szenen, die möchtest du als Regisseur nicht mit 12- oder 13-Jährigen inszenieren müssen. Wir haben in jeder großen Stadt Deutschlands gecastet und viele Hundert Jugendliche vor der Kamera gehabt. Christiane F. haben wir übrigens als Letzte erst kurz vor dem Drehstart gefunden. Als sie zum Casting kam, wussten wir sofort: Die ist es.
Welchen Unterschied macht es für einen Regisseur, fast nur mit jungen Schauspielern zu arbeiten, die wenig Erfahrung haben?
Jeder Schauspieler ist anders, egal ob alt oder jung, erfahren oder unerfahren. Man muss sich als Regisseur immer nullen und komplett neu auf seine Schauspieler einlassen. Natürlich haben professionelle Schauspieler mehr Erfahrung, was einige Dinge leichter macht, aber manchmal auch hinderlich sein kann. Der einzige echte Unterschied ist vielleicht, dass erfahrene Schauspieler morgens am Set etwas wacher wirken als die Teenager. Die sind das ganz frühe Aufstehen nicht gewohnt.
Zur Serie und Person
Die achtteilige Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist derzeit auf Amazon Prime zu sehen.
Philipp Kadelbach, 46 Jahre alt, ist als Regisseur bekannt für große Fernsehproduktionen wie „Hindenburg“, „Unsere Mütter, unsere Väter“ und „Die Pilgerin“. aber auch die Serie nach dem Buchklassiker „Das Parfüm“. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist seine zweite große Serie.
Sie haben viele Filme für ARD und ZDF gedreht wie „Auf kurze Distanz“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist bei Amazon zu sehen, die Serie „Parfüm“ davor haben Sie ebenfalls für einen Streaming-Anbieter gedreht. Spielt für Sie die Musik jetzt nur noch da?
Nein. Es gibt gute und weniger gute budgetierte Stoffe bei den Streamern wie bei den Öffentlich-Rechtlichen. Das Budget ist auch nicht Entscheidungsgrund. Man kann auch nicht sagen, dass ein 90-Minuten-Film leichter wäre oder eine Serie schwerer und herausfordernder. Die Entscheidung trifft bei mir immer das Drehbuch.
Das Gespräch führte Sarah Brasack