Der Leverkusener Schauspieler Serkan Kaya über die deutsche Lust an Fernsehkrimis und seine Erfahrungen mit dem „Migrationshintergrund“.
Serkan Kaya im Interview„Hallo Köln, warum erwiderst du meine Liebe nicht?“
Herr Kaya, in Deutschland herrscht wahrlich kein Mangel an Krimis. Haben Sie sich da nicht gefragt, ob es wirklich noch einen braucht, als das Angebot für die RTL-Serie „Die Neue und der Bulle“ kam?
Serkan Kaya: Nein. Ich bin nicht mit Krimis sozialisiert worden. Dementsprechend haben sie für mich in meiner Kindheit keine große Rolle gespielt. Ich war ihrer nie überdrüssig. Im Gegenteil, ich fand diese alten Krimis – Schimanski, „Der Alte“ oder „Derrick“ - sehr faszinierend.
Haben Sie eine Erklärung, warum gerade in Deutschland Krimis so geliebt werden?
Es ist schon faszinierend, wie erfolgreich sie sind. Auch wenn man auf True-Crime-Podcasts schaut, die stehen immer ganz oben bei den Abruflisten. Ich kann es mir nur damit erklären, dass die Leute erst mal gerne mitraten. Das finde ich auch selbst toll, bei einer gut erzählten Geschichte mitzugehen und herauszufinden, ob man vielleicht nicht selbst darauf kommt, wer der Täter war. Aber ich glaube, es gibt noch einen anderen Grund.
Welchen?
Es geht auch darum, in der für uns sicheren Welt, in der wir leben, in der wir nicht direkt bedroht sind, diese Geschichten zu durchleben und sich zu fragen, wie man damit umgehen würde, wenn einem so etwas passieren würde. Die Kriminalitätsstatistik besagt eindeutig, dass Kriminalität seit 50 Jahren rapide zurückgegangen ist bei uns. Diese Lehrstelle von drohender Gefahr lebt man über Krimis aus. Ganz ehrlich, wenn wir in der Ukraine wären, würden wir uns keine Krimis anschauen, weil wir das Grauen vor der Tür hätten.
„Die Neue und der Bulle“ spielt in Duisburg. Wie ist Ihre Beziehung zum Ruhrgebiet?
Auch wenn das ein bisschen im Überschwang war, aber ich habe mal gesagt, dass ich im Rheinland geboren bin, mein Herz bekam sozusagen, und es im Ruhrgebiet verloren habe. Ich mag das Ruhrgebiet, weil die Menschen so ehrlich und offen sind, das Herz auf der Zunge haben und keinen Schnickschnack mögen. Das gefällt mir.
Sie sind in Leverkusen aufgewachsen, als Kind türkischer Einwanderer. Sie haben mal gesagt, Ihre Eltern dachten, das mit dem künstlerischen Beruf sei nur eine Phase, bis sie etwas Vernünftiges machen. Wie weit war der Weg für Sie auf die Bühne und in diesen Beruf?
Der Weg war sehr weit, weil es keine Vorbilder für mich als Gastarbeiterkind gab. Weder im deutschen Film und Fernsehen noch in meinem Umfeld gab es Menschen wie mich, die diesen Beruf ausgeübt haben. Etwas Künstlerisches zu machen, stand gar nicht zur Debatte. Diesen Raum für mich zu entdecken und zu glauben, dass ich darin einen Platz finden könnte, war ein langer Prozess.
Wer oder was hat Ihnen dabei geholfen?
Es hat nur funktioniert mit städtischen Einrichtungen, die ein Kulturangebot hatten. In Leverkusen war das zum Beispiel das Junge Theater, da konnte man einfach so mitmachen. Plötzlich habe ich Theater gespielt. Die haben keine Einverständniserklärung von meinen Eltern eingeholt. Dieser Drang auf die Bühne zu gehen, zu spielen, Geschichten zu erzählen, bei Menschen Emotionen auszulösen und vor allem ein Wir-Gefühl zu erzeugen, das war immer schon mein ganz großes Anliegen.
Warum ist Ihnen das wichtig?
Wenn wir ins Theater oder Kino gehen, verbindet uns das. Jeder erlebt es zwar anders, aber es ist eine Gemeinsamkeit, die wir in diesem Moment spüren. Das ist sehr selten geworden durch die ständige Verfügbarkeit von allem überall. Das erlebt jeder individuell, und dann ist es auch schon gleich vergessen. Aber in einem Gemeinschaftsraum ein Wir-Gefühl zu entwickeln, ist phänomenal.
Wie schwer war es, aus der Schublade „Mensch mit Migrationshintergrund“ herauszukommen und auch Figuren zu spielen, die Björn oder Oliver heißen?
Ich musste da gar keine große Überzeugungsarbeit leisten. Ich glaube, das hat einfach damit zu tun, dass ich große Lust habe, mich emotional für eine Rolle zu verkleiden. Und es waren Begegnungen mit Regisseuren und Produzenten, die in mir mehr gesehen haben als nur das Klischee des Dönerverkäufers.
Hat sich da also in den vergangenen Jahren in Ihrer Branche etwas nachhaltig verändert?
Es hat sich definitiv etwas getan. Es bleibt aber nach wie vor an wichtigen neuralgischen Punkten unterbesetzt. Es gibt genug schauspielende Menschen in Deutschland unterschiedlicher Couleur, die man alle besetzen kann. Es gibt nur die Geschichten nicht, die sie einbinden. Autor:innen, Produzent:innen, Regisseur:innen und vor allem Redakteur:innen könnten daran viel ändern. Mir kommt es so vor, als fehle das Bedürfnis, diversere Geschichten zu erzählen. Und damit meine ich gar nicht, von einem Türken oder einem Griechen zu erzählen, sondern einfach die Realität abzubilden. Es gibt bei der Polizei Menschen mit Migrationshintergrund, es gibt sie überall.
Das muss gar nicht thematisiert werden?
Genau. Man muss nichts erklären, gar nichts. Da kann auch eine Person of Color den Vater einer blonden Tochter spielen. Was wir tun, ist doch sowieso alles Behauptung, Theater ist Behauptung, Schauspiel ist Behauptung. Das Publikum wird die Transferleistung erbringen. Wenn wir da weiter wären, würde ich es sehr begrüßen. Aber ich will nicht missmutig sein, wir haben schon viele Schritte gemacht und nun ein viel größeres Bewusstsein für diese Themen.
Sie haben recht, es hat sich viel getan, gleichzeitig erleben wir das Erstarken der AfD, die mit ihren Plänen zur sogenannten „Remigration“ von Millionen Menschen vielen Angst macht. Wie erleben Sie das, wie erleben es Ihre Eltern?
Vielen Menschen mit Migrationshintergrund geht es vermutlich ähnlich wie meinem Umfeld. Es herrschen ein großes Unverständnis und das starke Gefühl, unfair behandelt zu werden. Unsere Eltern kamen nach Deutschland, um sich selbst zu helfen, aber auch, um diesem Land zu helfen. Meine Eltern haben mit purer Muskelkraft und sehr, sehr viel Arbeit dieses Land mit dahin gebracht, wo es bis vor kurzem noch war - im Reichtum schwelgend. Und jetzt plötzlich sind sie das Problem. Das kann nicht sein, da merkt man auch, wie kurz gedacht das ist. Ich glaube, die meisten Menschen wissen das auch in Deutschland. Wir waren gerade erst auf der Demonstration in Düsseldorf, wo über 100 000 Menschen zusammenkamen. Es war ein Gänsehautmoment. Aber jetzt sage ich etwas, das auch für Wirbel sorgen könnte.
Was denn?
Es kam gerade eine Statistik raus, Duisburg betreffend. Die Befragten sollten die fünf größten Probleme benennen, die diese Stadt hat. Und unter den Top-3-Antworten war Einwanderung. Da muss man genauer hinschauen. Was genau meinen sie mit Einwanderung? Welche Ängste haben sie? Wenn das ernst genommen wird, kann man es sachlich und objektiv angehen. Wenn wir das nicht tun, überlassen wir diese Themen den Rechten. Es ist unsere Aufgabe, genau das nicht zu tun. Wir haben sie lange genug aus Angst nicht angefasst, aber wir müssen es angehen. Wir müssen einen offenen Diskurs führen. Wenn wir diese Menschen nicht verlieren wollen, müssen wir sie ernst nehmen.
Wir haben viel über das Ruhrgebiet gesprochen, auch über Leverkusen. Aber wie ist denn eigentlich Ihre Beziehung zu Köln? Immerhin haben Sie sich in der Satire „Der König von Köln“ ziemlich über die Stadt lustig gemacht.
Man kennt das doch, wenn die Liebe so stark ist, herrscht auch das große Bedürfnis nach Necken und Anerkennung. Wahrscheinlich mache ich solche Filme als Hilferuf: Hallo Köln! Ich rufe die ganze Zeit nach dir und liebe dich so sehr, warum erwiderst du meine Liebe nicht? Ich versuche, den großen Bruder zu triezen, damit er mich endlich wahrnimmt. (lacht) Aber im Ernst: Ich habe null Probleme mit Köln, mit keiner Stadt. Diesen neuen Trend, schlecht gelaunt zu sein, der gerade anhält, mache ich nicht mit. Ich bin voller Liebe für jede Stadt und für alles und jeden.
Serkan Kaya wurde 1977 in Leverkusen geboren. Er studierte an er Folkwang-Hochschule in Essen Schauspiel und Musical. Er war in zahlreichen Musicals zu sehen, unter anderem in Köln in einer Hauptrolle in „We Will Rock You“. Er war Ensemblemitglied am Düsseldorfer Schauspieler und war in zahlreichen Fernsehproduktionen zu sehen.
„Die Neue und der Bulle“, Krimiserie, Regie: Marc Rensing, mit Caroline Peters, Serkan Kaya, Merlin Rose, Sarah Bauerett u.a. Die erste Folge „Plötzlich Bulle“ läuft am 13. Februar um 20.15 Uhr auf RTL.