Eine Kleinstadt zerreißt sich selbstSo war der „Tatort“ aus dem Schwarzwald
Der Fall
Sandra Vogt (Lisa Hagmeister) sitzt seelenruhig in einem Café. Sie hat eine turbulente Nacht hinter sich, Firmenfeier im Bürgermeisteramt, spät nach Hause und früh wieder raus. Turbulent wird es wieder, als Ermittlerduo Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) zu ihr kommen. Sie soll ihnen verraten, wo ihr Mann Gerd und ihr jüngerer Sohn Noah sind, doch sie weiß es nicht. Obwohl sie noch frühmorgens Zuhause war, hat sie weder das blutige Laken in ihrem Schlafzimmer noch das Verschwinden zwei der wichtigsten Menschen in ihrem Leben bemerkt, bevor sie wieder davonfuhr.
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
So ist es ihre Schwiegermutter Edeltraut, die das blutige Laken als Erste fand und die Polizei alarmierte. Auch der ältere Sohn Lukas kommt erst nach Hause, als die Polizei bereits sein Zuhause abgesperrt hat. Da er seine Eltern nicht erreichen kann, sucht er Zuflucht bei seiner Großmutter.
Sandra Vogt verhält sich nicht kooperativ, was Ermittler Friedemann Berg auf die Palme bringt. Er ist überzeugt, dass sie ein Alibi verschweigt, stößt jedoch bei weiteren Bohrungen nur auf Granit. Mögliche Gründe für das Ableben Gerds finden sich zuhauf. Die Ehe lief nicht gut, er wird als jähzornig beschrieben und er hatte gegen seine alte Firma geklagt. Er ist aus dem Start-Up ausgestiegen, kurz bevor Investoren den Geldhahn aufgedreht hatten. Aus der Klage hatte er sich eine Entschädigung von 3 Millionen Euro erhofft.
Die Auflösung
Am Ende ist es nicht mal der Liebhaber und Chef Sebastian Kirchner, den Sandra die ganze Zeit mit ihrem Schweigen geschützt hatte, sondern seine Frau Julia, die alles in Gang brachte. Gerd hat ihr durch seine aggressive und laute Art so zugesetzt, dass sie ihn mit einem Messer zum Schweigen brachte. Als sie sich hilfesuchend an ihren Mann Sebastian wandte, erledigte der auch noch den kleinen Noah, um den letzten Zeugen loszuwerden.
Der Film zeigt eine provinziale Welt, in der man als Außenstehender eigentlich nur verlieren kann. Der Vorwurf „Zandra isch halt Zandra“, der „sagt eigentlich alles“. Mehr gibt es ihr nicht vorzuwerfen, denn selbst die Affäre mit einem anderen Mann ist als Problem kleiner als ihre Herkunft. In einer Themenwoche der ARD zum Thema „Wir gesucht! - Was hält uns zusammen?“ wirkt die Folge umso härter, scheint doch eine so hermetisch abgeschlossene Gesellschaft ihre Solidarität nur erhalten zu können, indem sie Außenseiter ausschließt. Zum Schluss zeigt sich, wie fragil eine solche Gesellschaft ist, alle ihre Bindungen scheinen ohne Beteiligung der Außenseiterin aufgelöst.
Fazit
Am Ende ist der Umstand, dass Sandra trotz ihrer Anwesenheit im Haus das blutige Laken nicht bemerkte, ein genialer Kniff. Sie ist sozial so isoliert, dass sie sich nicht traut nachts nach ihrem eigenem Sohn zu sehen, weil sie ihn im Bett ihres Mannes vermutet. So isoliert, dass sie möglichst früh von Zuhause verschwindet, um nicht ihrer Schwiegermutter zu begegnen, und aus dem gleichen Grund auch die allergrößte Überwindung braucht, um zu ihrem verbliebenen älteren Sohn zu fahren. Schon zu Beginn der Folge wird das deutlich, während sie einsam in der Raststätte sieht und davon träumt, alles hinter sich zu lassen.
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Die Stärke der Szenen ist auch Lisa Hagmeister (Sandra Vogt) zu verdanken. Die Rückblenden puzzeln im Nachhinein wichtige Szenen wie das Familienleben oder Sandras Verbleib in der Mordnacht und verdichten so die Handlung auf geschickte Weise.
Die Auflösung des Mordfalls dagegen ist schwach. Die Figuren, die am Mord beteiligt sind, sind nur Randerscheinungen der letzten Viertelstunde des „Tatort“. Ohne ein ausführliches Charakterprofil oder eine stärkere Motivation wirkt es, als hätten die Kirchners Vater und Sohn nur aus einer plötzlichen Laune heraus getötet. Der Fall „Die Blicke der Anderen“ lohnt sich trotzdem, aber nicht für das klassische Krimi.