So war der „Tatort“Im Blindflug ohne Spannung
Der Fall
Die klassische Frage an Zeugen eines Verbrechens, was sie von der Tat gesehen haben, scheidet bei diesem Mainz-Tatort schon mal aus: Jura-Studentin Rosa Münch (Henriette Nagel) ist blind. Dennoch kann sie den Kommissaren Ellen Berlinger (Heike Makatsch) und Martin Rascher (Sebastian Blomberg) Hinweise geben im Raubmord an einem Verkäufer in einer Mainzer Tankstellen. Sie spürt die Tritte eines Täters und kann sagen, dass er Sneaker trug. Sie fühlt die Wärme des Flucht-Motorrads und kann sagen, dass es eine Geländemaschine war, weil deren Motoren höher montiert sind. Sie erkennt den aufgelegten teuren Duft einer Täterin wieder, als sie mit Berlinger in eine Parfümerie geht. Doch Rosa bleibt sonderbar und verschließt sich immer mehr. Besonders als die sie schließlich ausfindig macht und ihr jene Freundschaft vorgaukelt, die die blinde Frau nie hatte. Zumal ihr überbehütender Vater der Studentin auf Schritt und Tritt folgt. Als Konsequenz aus der emotionalen Abhängigkeit mit der Täterin gibt Rosa vor, sie bei einem Stimm-Test im Präsidium nicht identifizieren zu können. Jedoch merkt das Ermittler-Duo sofort, dass das gelogen war. Aber die Zeugin bleibt bei ihrer Aussagen. Derweil kreuzt der britische Vater von Berlingers Tochter auf und hat eine schier unerhörte Forderung: Der Ex-Partner möchte das gemeinsame Kind mit zu seiner neuen Familie nach Liverpool nehmen, weil sich die Kommissarin nicht genug um das Kind kümmere. Und Berlinger stimmt zu, das Mädchen begleitet seinen Vater nach England – was die wohl überraschendste Volte in einem an Überraschungen armen Tatort ist. Derweil versuchen die Ermittler weiter, Rosa zur Kooperation zu gewinnen. Das misslingt, bis es schließlich dort zu einem zum blutigen Showdown kommt, wo der Krimi begann. In einer Tankstelle. Einer der Täter stirbt – diesmal schoss der Tankwart.
Der Dialog
Rascher: „Vielleicht haben sie was zu verbergen.“ Berlinger: „Und was?“ Rascher: „Wenn wir das wüssten, müssten sie es nicht mehr verbergen.“
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
Das Hip-Hop-Fachgespräch
Berlingers britischer Ex-Freund Dave: „Bushido, ist der berühmt hier?“ Kommissarin Berlinger: „Ja, ziemlich. Ich steh‘ ja mehr auf Haftbefehl.“
Der Song
Die blinde Rose macht in ihrem Zimmer Gymnastik zu „Baby’s on fire“ der südafrikanischen Krawall-Techno-Rap-Band Die Antwoord. Die reichlich schräge Band mit millionenfach Youtube-Klicks singt auf afrikaans und englisch mit starkem Akzent zu 90er-Jahre-Rave-Sounds. Zuschauerinnen und Zuschauer, die etwas weggedöst sein sollten, sind jetzt wieder wach.
Die Auflösung
Sophie Hansen (Anica Happich) und Moritz Boldt (Jan Bülow), zwei wohlstandsverwahrloste Kinder reicher Eltern, überfallen Tankstellen aus Langeweile. Über das Fluchtmotorrad kommen die Kommissare den beiden früh auf die Spur, doch Zeugin Rosa mag Hansen nicht belasten, die sich mit Aufmerksamkeit, Komplimenten und Sex die Zuneigung der blinden Frau erschleicht. Immer mehr verfällt Rosa ihrer neuen Freundin, auch wenn diese Freundschaft nur heuchelt, um sie unter Kontrolle“ zu halten. Schließlich bittet Rosa das Räuber-Pärchen darum, beim nächsten Tankstellen-Überfall dabei zu sein. Moritz‘ Ableben können die Kommissare nicht verhindern, auch wenn sie kurz nach dem tödlichen Schuss die Tankstelle erreichen.
Das Fazit
„Blind Date“ ist ein besonderer Tatort, denn er ist einer fast ohne jede Spannung. Vieles ist vorhersehbar, und was nicht vorhersehbar ist, wird den Zuschauerinnen und Zuschauern frühzeitig unter die Nase gerieben. Und vielleicht soll es das auch, denn der Mordfall an sich tritt schnell völlig in den Hintergrund, zumal ein Raubüberfall mit Todesfolge in einer Tankstelle ohne tieferen Grund im TV schon so banal ist, dass man die Tat ohnehin schnell vergisst. Vielmehr ist zu beobachten, wie eine junge blinde Frau auf der Suche nach Selbstbestimmung, ständig heimlich verfolgt von ihrem überbehütendem Vater, durch die Welt irrlichtert. Und als sie glaubt, endlich vorbehaltlose Wertschätzung zu erfahren, wieder enttäuscht wird. Im dritten Makatsch-Tatort plumpst zwischendurch noch der britische Vater in die Handlung. Es der obligatorische Nebenplot mit persönlichen Problemen von Ermittlern, ohne den kaum ein Tatort auskommt. Regisseurin Ute Wieland versucht den Zuschauern die Welt der Blinden nahezubringen. Mit welchen Fähigkeiten sie ihre Leben bewältigen, welche existenziellen Fragen sie sich stellen, woran sie scheitern, was sie sich wünschen und nicht erreichen können. Das gelingt durchaus, ohne allzu große Mitleidsheischerei. Die Kriminalistik spielt dabei allerdings eine fast schon zu vernachlässigende Nebenrolle, was einigermaßen erstaunlich ist für einen Tatort.