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So war der Tatort#MeToo im Land der Weißwurst

Lesezeit 6 Minuten
Die Königinnen sitzen, hinter ihnen thront Josef Gehrling als ihr Patriarch. Rechts und links neben ihnen Stroh und ein Milchkübel, im Hintergrund eine bayrische Landschaft. Das Bild ist bewusst überzeichnet und spielt mit bayrischen Klischees.

Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) und die bayrischen Königinnen

Im neuesten Tatort „Königinnen“ geht es um einen #MeToo-Fall im bayerischen Landleben. Es ist ein gelungener Gesellschaftskrimi, der vor allem wegen starker Frauenfiguren funktioniert.

Ist das eigentlich sexistisch? Da schmeißen sich junge bayerische Frauen in Trachten, um als „Königinnen“ irgendwelche Produkte zu bewerben und zu hoffen, dass ein bayerischer Patriarch sie für seinen Kalender auswählt. Sie richten ihre Krönchen, verteilen Autogrammkarten und sind dabei ständig den Blicken von Männern ausgesetzt. Oder ihren Kommentaren.

Im neuesten BR-Tatort mit dem Titel „Königinnen“ geht es raus aufs Land. Auch die beiden Münchner Ermittler fremdeln etwas mit der Tradition um die Produktköniginnen, die aber sogar den Ministerpräsidenten mal treffen durften. Also doch ein Stück Ermächtigung? Aber für wen?

„Tatort: Königinnen“ zeigt einen #MeToo-Fall in Bayern

Tot ist eigentlich noch niemand. Es hat den Event-Patriarchen aber böse erwischt. Der Präsident des Bavaria-Bunds Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) hat ein Bolzenschussgerät an die Stirn bekommen, mit dem sonst Rinder für die Schlachtung betäubt werden. Und wurde als Allergiker auch von einer Biene gestochen, wobei jemand ihm noch - wie in Tarantinos „Pulp Fiction“ - seinen Injektor in die Brust gerammt hat.

Die Zuschauer erfahren schnell, dass eine der Königinnen am Tatort war - die bayerische Weißwurstkönigin Sina (Bernadette Leopold). Die scheut sich aber, mit den Ermittlern zu reden. Das Reden übernehmen ihre Freundinnen, vor allem die Kemptener Honigkönigin Toni (Lilly Wiedemann), aber auch Spargelkönigin Luise (Phenix Kühnert), die als Transfrau beweist, dass zumindest ihre Heimatstadt Aichach im 21. Jahrhundert angekommen ist.

Und dann wäre da noch Sylvia (Veronica Ferres), eine ehemalige Königin, die die Veranstaltung eigentlich im Alleingang leitet. Einen Nachnamen hat trotzdem keine der weiblichen Figuren, den haben hier nur die Männer. Das Opfer, wenn man es so nennen kann, erweist sich als schwerwiegender #MeToo-Fall. Während Gehrling im Krankenhaus im Koma liegt, sehen die Zuschauer seine Erinnerungen, etwa wenn er bei einem der „Mädels“ aufschlägt und vor ihr masturbiert.

Leitmayr und Batic als „fishes out of water“

Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) sind mit dem exotischen Bayern etwas überfordert, bekommen aber unfreiwillige Hilfe von der Nördlinger Zwiebelkönigin Annelie (Daria Vivien Wolf). Erst zwingt sie sich der Ermittlung auf, indem sie sich in die Spurensicherung einschleust und dabei sogar die Mordwaffe berührt. Dann ignorieren Leitmayr und Batic dieses doch sehr verdächtige Verhalten und ziehen sie zunehmend als Dolmetscherin und Fremdenführerin hinzu.

Aber war Gehrling wirklich übergriffig? Was heißt das denn heutzutage? Leiterin Sylvia relativiert diese ganze #MeToo-Sache stark. Sie selbst zeige sehr bewusst ihren Busen, ja, Leitmayr solle ruhig nochmal schauen, sie wisse ja, was sie da tue. Und diese roten Linien würden ja ohnehin dauernd verschoben.

Die Honigkönigin sieht das anders. Wie sich herausstellt, hat Toni sogar die Übergriffe protokolliert. Sie selbst hatte Sex mit Gehrling, wurde schwanger, trieb das Baby ab, um alles geheimzuhalten. Wurde depressiv. Hörte dann von den Erfahrungen der anderen Königinnen. Toni und Luisa haben Gehrling konfrontiert, doch der habe ihnen klargemacht, dass die Affäre publik zu machen auch ihnen schaden werde. Wer würde schon weiter eine Honigkönigin haben wollen, die mit dem Präsidenten ins Bett gestiegen und ihr Baby abgetrieben hat? Ohne Zweifel hatten die Monarchinnen ein Motiv.

Der Fernsehfilm leiht sich ein Element aus Cinderella

Oder könnte es ein Selbstmordversuch gewesen sein, um seinem Schicksal zu entgehen? Ausgeschlossen, meint der Agrar-Zentral-Chef Clemens Raupach (Max Rothbart), der Gehrling das Bolzenschussgerät verkaufte. Aus einer anderen Erinnerung erfahren wir, dass er Gehrling mit Futter für seine Rinder belieferte. Der habe dann im Futter einen krebserregenden Stoff gefunden und ihn damit erpresst, um es günstiger zu bekommen.

Am Ende ist ein entscheidender Hinweis aus Cinderella entlehnt - Sina hatte bei ihrer Flucht des Tatortes ihren Schuh zurückgelassen, der wieder aufgetaucht ist. Und als die Ermittler, allen voran Kalli (Ferdinand Hofer), den Frauen den Schuh anziehen, gibt eine schließlich Auskunft über seine Besitzerin. So können sie Sina stellen. Diese erzählt ihnen, dass sie mit Gehrlings Schlüsselkarte in sein Zimmer gelangt sei - mit dem Gift im Futtermittel war ja auch die familieneigene „Wurschd“ in Gefahr, sie wollte also intervenieren. Sie habe ihn dann vor dem anaphylaktischen Schock gerettet, danach habe er sie hinausgeworfen. Also doch ein Selbstmord, Fall gelöst?

Die Auflösung zum Krimi am Sonntag

Bei der großen Kalenderverleihung werden 12 Königinnen gekürt, die in den Kalender kommen. Darunter auch die fleißige Helferin der Ermittler, Zwiebelkönigin Annelie. Doch als sie Leitmayr und Batic im Hintergrund sieht, weiß sie schon, dass sie nicht viel Zeit zum Feiern haben wird. Denn sie ist die wahre Täterin.

Anhand ihres eigenen Hinweises, dass in der Hotelrezeption die Ein- und Ausgänge der Gäste per Karte überprüfbar sind, können sie Sinas Geschichte als Lüge entlarven. Es war Annelie, die als erste in Gehrlings Zimmer kam, um ihn wegen seiner Übergriffe zum Rücktritt aufzufordern. Sie fürchtete, dass Tonis Enthüllung sonst viel Schaden für den Wettbewerb anrichten würde. Als dieser es verweigert und er wegen des Bienenstichs zu sterben droht, will Annelie ihn sterben lassen. Beim Herausgehen trifft sie aber auf Sina, die auf dem Weg in Gehrlings Zimmer war, und verabreicht ihm sein Epipen.

Produktkönigin hält sich ein Hintertürchen offen

Der ist nun aber so wütend über Annelie, dass er ihre ganze Zukunft - sowohl als Zwiebelkönigin ihres Heimatdorfes, als auch an der Polizeischule - ruinieren will. Schon ihre Mutter habe ihm gesagt, dass sie nichts tauge. Selbst als Annelie ihm das Bolzenschussgerät vor die Stirn hält, provoziert er sie weiter und sie drückt ab.

Im Krankenhaus erliegt Gehrling schließlich seinen Verletzungen. Honigkönigin Toni gibt Sylvia ihr Protokoll mit Gehrlings Übergriffen. Annelie gesteht den Ermittlern zwar, dass sie ihn getötet hat, hält sich aber noch ein Hintertürchen fest. Es sei ja vielleicht Notwehr gewesen, er habe sich vielleicht auch an sie vergriffen, und sein Ruf sei als Täter ohnehin ruiniert. Warum also auf diesem Hügel sterben?

Fazit zum Tatort der Königinnen

Man möchte fast schimpfen, dass hinter Kamera (Michael Hammon) Buch (Robert Löhr) und Regie (Rudi Gaul) nur Männer stecken. Das Bild relativiert sich, wenn man etwas weiter im Staub schaut, wo Frauen in der Produktion (Claudia Schneider, Berit Hille), im Schnitt (Carmen Kirchweger), beim Kostümbild (Caroline Sattler), und vielen weiteren Rollen mitwirken.

Denn eins muss man dieser Folge lassen: Sie hat sehr starke Frauenfiguren, die oft als Siegerinnen aus Szenen gehen, auch die Ermittler abwatschen („Sagt der Mann, der erwachsene Frauen als Mädels bezeichnet“) und auch unter sich aushandeln, was eigentlich Sexismus ist. Auch wenn da in vielerlei Hinsicht Klarheit herrscht, der Verhandlungsprozess ist trotzdem wichtig. So wird dieser Tatort zu einem spannenden Gesellschaftskrimi, für den sich trotz kleiner Schwächen das Einschalten gelohnt hat.