Sofi Oksanens zweiter Roman „Baby Jane“ ist in deutscher Übersetzung erschienen. Sie erzählt die Liebesgeschichte zweier Frauen in Helsinki in den späten 90er Jahren
„Baby Jane“ von Sofi OksanenWas geschah wirklich mit Piki?
Himmelhochjauchzend stürzt sich die namenlose Ich-Erzählerin in die Beziehung mit Piki, „der coolsten Lesbe der Stadt“. Die zarten, verträumten Anfänge der Liebelei lesen sich so luftig und leicht wie die Zuckerwatte, die die beiden im Freizeitpark in Helsinki zusammen essen wollen. „Stundenlang hingen wir am Telefon und träumten so heftig, dass die Hörer ganz zuckrig waren.“
Doch diese in der ersten Euphorie gefassten Plänen zerplatzen. Denn in die kurzfristig scheinbar heile Welt der lesbischen Beziehung dringen handfeste Probleme ein. Wer Sofi Oksanens Bücher kennt, ahnt, dass die Stimmung noch kippen muss. Was sich da einschleicht ist ein toxisches Gebräu aus gegenseitiger Abhängigkeit, Eifersucht, Alkoholismus, Depressionen und sozialer Isolation.
Der zweite Roman der preisgekrönten finnisch-estnischen Autorin
„Baby Jane“ – aus dem Jahr 2005 und jetzt in der deutschen Übersetzung erschienen - ist der zweite Roman der finnisch-estnischen Autorin, Jahrgang 1977, die in der Zwischenzeit mit „Fegefeuer“ und „Hundepark“ große Erfolge feierte. Wie im namensgebenden Psycho-Krimi von 1962 dringt man in „Baby Jane“ ein in den Mikrokosmos zweier Frauen – dort sind es Schwestern, hier Partnerinnen – die von der Welt gänzlich unbeachtet unter einander und unter ihren psychischen Krankheiten leiden.
Oksanen beschreibt ein ungleiches Paar, zunehmend gefangen in einer Beziehung mit viel körperlicher Nähe, aber wenig Gleichklang und Vertrauen. Der Leser rutscht mit der gleichen Sogwirkung in diese Szenen hinein wie die Ich-Erzählerin in die Beziehung zu Piki, die sich später als fragiles Dreieck mit Pikis omnipräsenter Exfreundin Bossa herausstellt. Von Kapitel zu Kapitel scheint die Protagonistin ein Stück mehr zu resignieren ob der unbefriedigenden Gesamtsituation, der Lebensuntüchtigkeit der schönen, charismatischen Piki und der chronischen Geldsorgen des unglücklichen Pärchens.
Mit Songs von The Cure und Courtney Love
Warum man das lesen sollte? Sofi Oksanen findet eine starke, manchmal schroffe und gleichzeitig sezierende Sprache für die beklemmende Atmosphäre dieser Lebensgemeinschaft zweier Frauen. Es passt gut, dass der Roman kammerspielartig über 224 Seiten fast ausschließlich in der Wohnung und bei den Protagonistinnen bleibt, die selbst kein Stück Welt in ihr Leben hineinlassen und nur um sich kreisen.
Damit geht einher, dass vieles unergründet bleibt - die Beziehung zwischen Piki und Bossa, genau wie familiäre oder freundschaftliche Verbindungen zur Außenwelt. Das ist aber nicht schlimm, denn der Roman lebt von Andeutungen und Auslassungen, die der Leser mit eigenen Einschätzungen füllen wird. Oksanen reichert ihren Text außerdem mit vielen originellen Zitaten aus Songs von The Cure oder Courtney Love an.
So wird aus „Baby Jane“ nicht wirklich ein detailreich gezeichnetes Bild, aber dafür eine schrille Collage einer in Romanen bislang wenig erzählten toxischen lesbischen Beziehungsgeschichte. Einige der großen Themen, die Oksanen in ihren späteren Büchern verhandelt klingen hier in ihrem Frühwerk schon an. So zum Beispiel gesellschaftliche und zwischenmenschliche Machtverhältnisse und die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers.
In „Baby Jane“ geht es Sofi Oksanen aber eben nicht darum, zu moralisieren oder etwa über psychische Krankheiten aufzuklären. Die Autorin bleibt nah dran an ihren beiden originellen Protagonistinnen und treibt die Handlung rasant auf tragisches Finale zu, wo sich die kontinuierlich gewachsene, unerträglich gewordene Spannung dann schlagartig entlädt.