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Neues Buch von Sophie PassmannBesser sich selbst widersprechen, bevor es andere tun

Lesezeit 5 Minuten
Sophie Passmann

Sophie Passmann

Es gibt kaum ein Medium, in dem Sophie Passmann nicht erfolgreich aktiv ist. Jetzt hat die 29-Jährige ein neues Buch veröffentlicht.

Sie hat über „alte weiße Männer“ geschrieben und in „Komplett Gänsehaut“ mit ihrer Generation abgerechnet – den urbanen Millenials. Und nun erscheint „Pick me Girls“, das mit ziemlicher Sicherheit auch wieder auf den Bestsellerlisten stehen wird. Beide Lesungen im Kölner Gloria Mitte Oktober waren auf jeden Fall schon lange vor Erscheinen ausverkauft.

Sophie Passmann hat mit 29 nicht nur Bestseller geschrieben. Sie ist und war Hörfunk und Fernseh-Moderatorin, Schauspielerin, Gag-Autorin, Slam-Poetin, Kolumnistin, hat einen Podcast mit Joko Winterscheidt, 345.000 Follower*innen bei Instagram und moderiert ab September eine Talkshow bei ZDFneo.

Wer von ihr tatsächlich erfahren möchte, was ein „Pick me Girl“ ist und ob es nun gut oder schlecht oder egal ist, wenn man eins ist, bleibt nach mehr als 200 Seiten allerdings etwas ratlos zurück. Denn „Pick me Girl“, das schreibt Sophie Passmann selbst, ist ein durch die Sozialen Medien total ausgeleierter Gummibegriff. „Das macht dieses Überurteil im Grunde auch so irrelevant, vor allem, wenn es mit der Behauptung feministischer Schlagkraft einhergeht“.

Mutig, groß „Pick me Girls“ auf den Titel zu schreiben und irgendwann im Laufe des Buches darauf hinzuweisen, dass es mit der Relevanz dieses Begriffes eigentlich gar nicht so weit her ist.

So viel immerhin lässt sich nach der Lektüre sagen: Ein „pick me Girl“ ist ein Mädchen oder eine Frau (der Begriff „pick me Woman“ ist nicht so gängig), die bewusst keine Weiblichkeits-Klischees erfüllt. Und zwar deswegen, weil sie sich damit Punkte bei Männern erhofft, weil sie anders ist als all die anderen Frauen. Nicht so stressig, dramatisch, oberflächlich – oder was man dem weiblichen Geschlecht sonst noch so unterstellt.

Vor der Erfindung der Sozialen Medien hieß das „pick me Girl“ Kumpeltyp

Vor der Erfindung der Sozialen Medien hieß so etwas „Kumpeltyp“. Oder noch früher: „Eine Frau zum Pferde stehlen“. In dem Fall aber eine mit strategischen Hintergedanken. Und klar: Es ist unsympathisch, wenn Frauen nur deswegen Deutschrap hören, Bier aus Flaschen trinken, Hoodies tragen und große Portionen Frittiertes verdrücken, um sich damit auf Kosten des eigenen Geschlechts aufzuwerten. In Sophie Passmanns Welt ist das aber auch der einzige denkbare Grund, solche Männlichkeits-Klischees zu bedienen.

Die Möglichkeit, dass eine Frau schlicht und einfach Spaß daran haben könnte, steht überhaupt nicht zur Debatte. Höchstens noch die Möglichkeit, als letzte Rettung bei Minderwertigkeitskomplexen ein „pick me girl“ zu werden. Wie bei ihr selbst: „Ich hielt es für den einzigen Ausweg aus meiner mir sehr offensichtlich erscheinenden Misere, dass ich nicht schön, nicht charmant, nicht weiblich genug war, um eine von diesen Frauen zu sein, die männliche Anerkennung nur durch Repräsentation ihres Geschlechts erhalten konnte.“

Bei Sophie Passmann sind die meisten Frauen „absolut und ständig auf Männer konzentriert“. Und die Frage, wie einfach und glücklich der Alltag von Frauen verläuft, hat ihrer Meinung nach „unendlich viel damit zu tun, als wie sexuell verwertbar Männer sie einschätzen.“

Ist das wirklich so? Von sich auf andere schließen - das funktioniert eben nicht immer. Ist aber das Prinzip des „Memoirs“ - der Form, die sie für ihr neues Buch gewählt hat. Irgendwas zwischen Autobiographie, gesellschaftspolitischem Sachbuch und Erzählung. Das eigene Erleben auf eine Metaebene zu heben kann im besten Fall die Augen für soziologische Phänomene öffnen – im schlechtesten Fall liest man aber eben einfach nur gefühlte Fakten.

Immerhin hat die Form des Memoirs den Vorteil, dass wir der Autorin sehr nahekommen - oder es sich zumindest so anfühlt. Wenn sie von ihrer Kindheit als psychisch krankes, hochintelligentes und pummeliges Mädchen erzählt, zum Beispiel.

Und vieles aus ihrer Biographie kennen ja tatsächlich viele Frauen: Vor allem die Probleme mit dem eigenen Körper. Und die Unsicherheiten im Umgang mit dem anderen, bisweilen übergriffigen, Geschlecht. Auch wenn es sich so anfühlt: Du bist nicht allein – das ist eine von Sophie Passmanns Kernbotschaften an ihre junge Zielgruppe. Ihre Gedanken sind schlau, lustig und pointiert. Aber sie mäandern auch ziellos durchs Buch, wiederholen und widersprechen sich.

Ganz eigene Mischung aus Widersprüchlichkeit und Stilsicherheit

Erst lesen wir seitenlang darüber, dass „sexistische Teenie-Filme" und Serien mit Schuld daran waren, dass die Autorin zum “pick me girl“ wurde: „Junge, beeinflussbare Frauen wollten natürlich sein wie mindestens eine der Heldinnen aus einem dieser Filme. Und die Heldinnen dieser Filme waren eben vor allem dadurch einzigartig, dass sie anders als andere Frauen waren.“ Knapp hundert Seiten später lesen wir dann jedoch: „Ich bin immer wieder ganz erstaunt, wenn die schlauesten Frauen so tun, als würde all der weibliche Selbsthass tatsächlich von der Entertainment- und Filmbranche erfunden (…)“.

„Ein großes richtungsloses anything goes“ urteilt Passmann über den Popfeminismus, der Satz liest sich aber fast wie Inhaltsangabe des Buches. Mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Widersprüchlichkeit und Stilsicherheit führt sie uns vor, wie wir uns eigentlich jeden beliebigen Gedanken schönreden beziehungsweise schreiben können. Vielleicht ist das ja so, wenn man zu Gast in Sophie Passmanns Kopf ist. Ihre innere Kritikerin weiß, dass es sich für jedes Argument ein gutes Gegenargument finden lässt. Warum sich also nicht selber widersprechen, bevor andere es tun?

Ambivalenz ist völlig unterschätzt
Sophie Passmann im Spiegel

„Ambivalenz ist völlig unterschätzt“, sagte sie gerade im „Spiegel“-Interview. So gesehen ist ihr Text also eine Art ideeller Selbstbedienungsladen mit sehr breitem Angebot, das niemanden meint, aber alle abholt. Ein Text, der klare Positionen, Schubladen verweigert. Der sich dagegen sperrt „unkompliziert“ zu sein – ein Attribut, das von Frauen gerne eingefordert wird.

"Pick me girl" ist komplex, ist ambivalent und oft auch widersprüchlich. So wie es eben ist, Frau zu sein.


Sophie Passmann, 1994 geboren, ist Autorin, Satirikerin und Moderatorin. Ihr Buch „Alte weiße Männer“ stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste, „Komplett Gänsehaut“ war dort auf Platz 1. Sie schreibt unter anderem für das Feuilleton der Zeit, ist im Ensemble von Late Night Berlin und unterhält mehr als 300.000 Follower:innen auf Instagram.

"Pick me Girls", Kiepenheuer&Witsch, 224 Seiten, 22 Euro, E-Book 18,99 Euro.