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Live-Aid-JubiläumMit Queen, Jagger und Turner auf dem Gipfel der 80er Jahre

Lesezeit 5 Minuten

Einer der Momente, die in Erinnerung geblieben sind: Tina Turner lässt sich gleich von Mick Jagger den Rock wegreissen.

Köln – „Es ist zwölf Uhr Mittags in London, sieben Uhr morgens in Philadelphia, und auf der ganzen Welt ist es an der Zeit für Live Aid“, rief der BBC-Moderator Richard ins Mikrofon, und die ganze Welt hörte zu. Fast zwei Milliarden Menschen in 150 Ländern sollen mitverfolgt haben, was sich in den folgenden 16 Stunden dies- und jenseits des Atlantiks zutrug.

Live Aid markierte vor genau 30 Jahren, am 13. Juli 1985, den Gipfelpunkt der 80er Jahre, die größte Live-Fernsehübertragung, das größte Rock-Konzert aller Zeiten. Zumindest in Zahlen. Was „Live Aid“ bedeutet, wer am Ende des Tages von Bob Geldofs gigantischer Spendengala profitiert hat, darüber wird bis heute gestritten.

Queen war überragend (siehe Bericht) – aber diese drei Auftritte waren auch stark:

U2 Nach ihrem Auftritt war die Band deprimiert. Nachdem er ein Mädchen, das vorne gegen die Absperrung gepresst wurde, aus der Menge gezogen hatte, um mit ihr zu tanzen, hatte der Bono Mühe, wieder auf die Bühne zu kommen. Die Band spielte eine endlos lange Version von „Bad“, zitierte Rockklassiker – und musste ihren Hit, „Pride (In the Name of Love)“ der Zeitbeschränkung opfern. Im Fernsehen jedoch wirkten die notorisch uncoolen U2 plötzlich wie die größte Band der Welt.

Teddy Pendergrass Der Ladies' Man aus Philadelphia war nach einem Autounfall im Jahr 1982 querschnittsgelähmt. Das Live-Aid-Konzert in seiner Heimatstadt bedeutete für ihn die hochemotionale Rückkehr auf die Bühne. Das spürte man selbst vorm Bildschirm.

Elvis Costello Ob sie ihm helfen könnten, ein altes, nordenglisches Volkslied zu singen, fragte Elvis Costello die Massen in Wembley. Dann stimmte er, solo zur Gitarre, „All You Need Is Love“ an, und alle Herzen flogen ihm zu. (cbo)

Unstrittig ist eigentlich nur, dass Queen ihre 20 Minuten nutzten, um die anderen Großkopferten des Rockbusiness in ihrem Windschatten zurückzulassen. Freddy Mercury und Kollegen verzichteten bewusst auf einen prominenten Platz am Anfang oder am Ende des britischen Konzerts im Wembley Stadium, sie traten gegen 18.30 Uhr englischer Zeit auf, zur frühen Primetime, doch noch bevor das Überangebot an Superstars die Zuschauer abgestumpft hatte.

Und während etwa Led Zeppelin ihre Wiedervereinigung in Philadelphia gründlich vergeigten – Robert Plant war nicht bei Stimme, Jimmy Page nudelte schlecht gelaunt vor sich hin und Phil Collins wusste als Ersatzdrummer nicht wirklich, welchen Takt er schlagen sollte – hatten Queen eigens ein Londoner Theater angemietet, um in den Tagen vor dem großen Ereignis rigoros ihren Kurzauftritt zu proben, in den sie sechs ihrer bekanntesten Songs schrumpfverpackten. Anschließend soll Elton John in die schäbige Umkleidekabine gestürmt sein und, nur halb im Scherz, Mercury beschuldigt haben, allen die Schau zu stehlen.

Die fetten Jahre

Das Jahr 1985 markierte auch den Siegeszug der CD. „Brothers in Arms“ von den Dire Straits war im Mai erschienen und war das erste Album, das mehr Exemplare auf CD als auf Vinyl verkaufte. „Money for Nothing“ hatte Mark Knopfler zusammen mit Sting just vorm Queen-Auftritt gesungen.

Nach dem Wembley-Triumph verkaufte sich der umfangreiche Backkatalog der Band wie nie zuvor, wer das Vinyl bereits besaß, legte sich die CD-Version zu. Im geringeren Maße ging es fast allen Rock-Veteranen so, die Bob Geldof zum Auftritt überredet hatte.

Es waren die fetten Jahre der Musikindustrie. Live Aid soll rund 150 Millionen Pfund an Spenden für Äthiopien generiert haben, aber die wahren Profiteure – selbst wenn sie das an diesem Punkt noch nicht absehen konnten – waren die etablierten Stars, The Who und Paul McCartney, Bryan Adams und Black Sabbath, Mick Jagger, Tina Turner und Phil Collins, der per Hubschrauber und Concorde vom Wembley zum John F. Kennedy Stadium düste. Indes hatte man vergessen, Künstler aus Äthiopien oder dem restlichen Afrika einzuladen. Und Bob Geldofs Vorwärtsverteidigung, dass er die größten Stars brauchte, um die größtmögliche Menge an Spenden zu gewinnen, klingt doch allzu sehr nach Rudyard Kiplings berüchtigter Imperialismus-Verteidigung von der „Bürde des weißen Mannes“.

Im Glanz der Mildtätigkeit sonnen

Schon „Do They Know It’s Christmas“, die von Geldof und Midge Ure komponierte Charity-Single, die Live Aid voranging, hatte einen fragwürdigen Graben zwischen „uns“ und „denen“ (die noch nicht einmal wissen, dass Weihnachten ist) aufgemacht.

Nun waren es keine Kolonialherren mehr, sondern stadionfüllende Superstars, die sich im Glanz ihrer Mildtätigkeit sonnten. Vielleicht muss man Live Aid auch schlicht als Urknall unserer heutigen, selbstgenügsamen Celebrity-Kultur verstehen.

Immerhin: David Bowie, der den schwierigen Auftritt direkt nach Queen souverän meisterte, verzichtete auf einen Song, um ein Video von hungernden Kindern in Äthiopien zu zeigen – übrigens gegen den Willen Bob Geldofs – und die Veranstaltung, an ihren eigentlichen Zweck zu erinnern.

Die edle Geste zeitigte Wirkung: Anschließend schossen die Spenden in die Höhe. Aber waren es nicht gerade diese Bilder, schreibt der konservative britische Journalist Ian Birrell, die im Sieg billiger Emotionalisierung und Promi-Politik gegen ein tieferes Verständnis komplexer Probleme resultierten? Die wahre Hinterlassenschaft von Band Aid und Live Aid, so Birrell, bestünde in der Zerstörung des Images des gesamten afrikanischen Kontinents.

Ein Paradox

Das klingt allzu harsch. Doch Live Aid ist ein Paradox: Just in dem Moment, in dem das Musikgeschäft ein Gewissen entwickelt, wurde es zum ungleich lukrativeren Geschäft. Queen hatten das instinktiv verstanden. Auch Mick Jagger und Tina Turner, die – unbekümmert vom Anlass – die sexuelle aufgeladendste Performance des langen, langen Konzertes hinlegten (Jagger zieht sein T-Shirt aus, reißt Turner den Leder-Minirock vom Leib). Deren Spielchen kann man sich, ironischerweise, heute mit besserem Gewissen ansehen als die ernst gemeinten Appelle an das Gute im Rock Business.