Anlässlich der Spionage-Affäre um AFD-Politiker Maximilian Krah wird eine hitzige Debatte geführt. Demokraten sollten ihre Feinde aber klar benennen.
Spionageaffäre um AfD-Politiker KrahDeswegen sollten Demokraten ihre Feinde klar benennen
„Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“ Es war der der Zentrumspartei angehörige Reichskanzler Joseph Wirth, der am 25. Juni 1922 diese Sätze der extremen Rechten des Berliner Reichstags entgegenschleuderte, jener Rechten, zu der damals noch nicht die Nationalsozialisten gehörten, wohl aber deren Wegbereiter und Vorläufer. Anlass für diese innerstaatliche Feinderklärung war die vorangegangene Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau durch eine Terrororganisation, deren Verbündete im Geiste Wirth zu Recht dort sah, wohin in besagter Reichstagsdebatte anklagend sein Zeigefinger wies.
Tempi passati, mag man sagen, die Szene gehört den Krisenjahren der Weimarer Republik zu, also einer latenten Bürgerkriegssituation; in der stabilisierten und saturierten Demokratie der Bundesrepublik sei sie kaum denkbar. Politische Feindschaft sei dort zu Gegnerschaft herabgestimmt worden, die Vertreter unterschiedlicher parteipolitischer Lager stritten dort auf der Basis konsentierter Grundüberzeugungen.
Spionage-Affäre um AfD-Politiker Krah und Bystron sorgt für Debatten
Wer sich die Bundestagsdebatte über die vermutete Spionagetätigkeit der prominenten AfD-Politiker Maximilian Krah und Petr Bystron für Russland und/oder China am 25. April vergegenwärtigt, kann, ja muss allerdings stark bezweifeln, dass es diese gemeinsamen Grundüberzeugungen auch nur in Ansätzen noch gibt. In den Debattenbeiträgen der Vertreter des parlamentarischen „Verfassungsbogens“ von der Linken bis zur CDU/CSU war in Begriffswahl und Polemik ein „Ausschließungsfuror“ am Werk, eine Intensität erbittert-unversöhnlicher Ablehnung, die über die übliche parteipolitische Gegnerschaft durchaus hinausreicht.
Von „Putins Hofschranzen“, „Landesverrat“ und der „Alternative für Despoten“ war da die Rede; es fehlte nur noch, lag sozusagen in der Luft, dass ein Redner als Zitat den Satz des seinerzeitigen Reichskanzlers in den Saal geschleudert hätte: „Der Feind steht rechts.“ Der „Feind“ wohlgemerkt, nicht der „Gegner“. Die AfD beklagte sich während und nach der Debatte über deren „diffamierenden“ Stil, übrigens zu Unrecht: Da wurde nur in jener Münze zurückgezahlt, die die AfD selbst seit Jahren in Umlauf hält.
Die Debatte erinnert an einen bekannten Text von Carl Schmitt
Wichtiger ist eh etwas anderes: Das Framing der Situation ruft unweigerlich den Namen eines politischen Denkers auf den Plan, der pikanterweise gerade in rechtsintellektuellen Kreisen in diesen Tagen ein bemerkenswertes Revival erlebt: den des Staatsrechtlers Carl Schmitt, der bekanntermaßen als juristischer Totengräber der Weimarer Republik, Steigbügelhalter Adolf Hitlers und Instanz der Rechtfertigung hinsichtlich der mörderischen Ausschaltung der SA-Elite im Juni 1934 in die Geschichte eingegangen ist. Was indes seinen Nachruhm nicht verhindert hat – und dies eben nicht nur in Rechtskreisen.
Als Ausgangspunkt der Erörterung sei hier eine berühmte Stelle aus Schmitts 1932 (!) veröffentlichter Studie „Über den Begriff des Politischen“ zitiert: „Die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. […] Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird.“ Das mag in den Ohren derjenigen, die ein Interesse an einer gepflegten und regelbasierten politischen Auseinandersetzung haben, monströs klingen.
Was Schmitt meint, ist indes die genauere Analyse durchaus wert: Die Stunde der politischen Feinderklärung – und damit des Politischen überhaupt in seiner nicht mehr reduzierbaren Gestalt – schlägt bei Schmitt erst dann, aber auch unweigerlich dann, wenn die beschriebenen konsentierten Grundlagen des Gemeinwesens erodiert sind und eine Rückkehr zur „normalen“ parlamentarischen Prozedur nicht mehr möglich ist – ganz gleich, ob man dies nun gutheißt oder beklagt. In der Demokratie: wenn deren angebliche Grundvoraussetzung, die Gemeinsamkeit der Demokraten, nicht mehr gegeben ist. Niemand wird behaupten wollen, dass es solche Situationen nicht gibt. Die Frage, ob diese „besonders“ politisch oder eigentlich unpolitisch (im Sinne eines Versagens der und an der Politik) ist, sei hier dahingestellt, sie bezeichnet letztlich ein Definitionsproblem.
Erweisen sich alle Parteien von den Grünen bis zur CDU als Schmittianer?
Im Sinne des Staatsrechtlers jedenfalls müsste die AfD-Debatte des Bundestages als Schmitt'scher Kairos gewertet und gewürdigt werden, als politischer Höhepunkt, als „Augenblick“, in dem „der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird“. Ist das verstörend? Tatsächlich muss auf Anhieb befremden, dass sich da ausgewiesene Demokraten, von den Grünen über die SPD bis zur Union, als in der Wolle gefärbte Schmittianer erwiesen, als Adepten eines Mannes, dessen völkischer Nationalismus, Antisemitismus und autoritäre Demokratiefeindschaft notorisch waren. Weniger paradox wird das allerdings, wenn man sich das Design der Schmitt´schen Grundbegriffe und ihre richtungspolitische Anschlussfähigkeit vergegenwärtigt.
Es klang bereits an: Schmitt wurde nicht nur auf der Rechten (der er sich selbst zweifellos zurechnete), sondern auch auf der Linken und in der demokratischen Mitte zustimmend rezipiert (ein Beispiel für letzteres ist der frühe, der SPD angehörende Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde). In einzelnen staatsrechtlichen Begriffen wie dem des „Verfassungsfeindes“ und generell im Konzept der wehrhaften Demokratie, wie es nach 1945 in lernender Reaktion auf den Untergang der Weimarer Republik entwickelt wurde; einer Demokratie, die sich ihrer Feinde erwehrt und im Interesse ihres Selbsterhalts auch erwehren muss – in diesem Konzept also steckt mehr Carl Schmitt, als es sogar manchen seiner Befürworter lieb sein mag.
Eine Feinderklärung sollte kein Privileg der Demokratiefeinde sein
Wie auch immer, ein demokratisch umcodierter Schmitt konnte in der Tat zu einem brauchbaren Patron der bundesdeutschen Nachkriegsordnung werden. Demnach war der „Feind“ dann nicht mehr die liberale parlamentarische Demokratie, sondern eben umgekehrt derjenige, der diese bekämpft. Genau das zu tun, steht die AfD, die der Verfassungsschutz gut begründet als in Teilen rechtsextrem einstuft, in dringendem Verdacht.
Tatsächlich sollte die innerstaatliche Feinderklärung kein Privileg von Feinden der Demokratie sein. Auch das liberale Gemeinwesen muss über Mittel verfügen, seine Feinde zu benennen und zu bekämpfen. Bei Schmitt wird es freilich schnell „heiß“: Auch die physische Vernichtung von „Feinden“ steht bei ihm stets als Option im Raum. So weit kann und dürfen die Organe des demokratischen Staates nicht gehen, sie haben sich auch bei der Bekämpfung seiner „Feinde“ an die Verfassung und die Gesetze zu halten, kurz: an die in diese eingelassenen normativen Prinzipien. Wirksame Instrumente der Bekämpfung sind das Parteienrecht (inklusive Parteienverbot) und das Strafrecht. Noch wirkungsvoller freilich ist allemal die unreglementierte öffentliche Debatte, die die demokratische Blöße der AfD aufdeckt. Sie vor allem vermag die Hoffnung zu nähren, dass der Wahlbürger eine antidemokratische Partei irgendwann wieder aus einem demokratischen Parlament verschwinden lässt.