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„Squid Game“ Staffel 2Die geheimen Strategien hinter dem Mega-Hype

Lesezeit 7 Minuten
Die pinken Wächter posieren bei der „Squid Game Experience“ im Berliner Kraftwerk. Sebastian Reuter

Die pinken Wächter posieren bei der „Squid Game Experience“ im Berliner Kraftwerk. Sebastian Reuter

„Squid Game“ ist nicht nur die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten, sondern auch abseits der Bildschirme fast omnipräsent. Am 26. Dezember ist die zweite Staffel gestartet.

„Du wurdest ausgewählt zu spielen“, heißt es auf der Einladung, von der drei Wächter mit pinkfarbenen Ganzkörperanzügen blicken. Und: „Play or die, the choice is yours.“

Am Ende stirbt beim „Squid Game”-Event in Berlin natürlich keiner: Verliert man beim Tauziehen, stürzt man nicht in die tödliche Tiefe wie in der Netflix-Serie, sondern tritt auf eine Glasscheibe, die den Abgrund symbolisiert. Bricht den Mitspielern beim Auskratzen von Dalgona-Keksen eine Ecke der Form ab, kommt kein pinker Wächter und erschießt den Kandidaten. Auch wenn hier eine Menge Komparsen in der typisch pinken Verkleidung mit der schwarzen Maske herumlaufen und man über Lautsprecher aufgefordert wird, den Anweisungen der Wächter zu folgen.

Statt Gi-hun oder Sang-woo treten Influencer an

Statt um Leben und Tod auf einer versteckten Insel irgendwo in Südkorea wie in der Serie, die 2021 bei Netflix nach nur zwölf Tagen zur erfolgreichsten aller Zeiten wurde, geht es im Berliner Kraftwerk im Zentrum der Hauptstadt an diesem Dezemberabend vor allem um Aufmerksamkeit für die zweite Staffel „Squid Game”. Die wird am 26. Dezember veröffentlicht, neue Rekorde sind erwünscht.

Kein Wunder also, dass die geladenen Gäste vor allem aus Influencern, Promis und Pressevertretern bestehen. Statt Gi-hun oder Sang-woo, den Hauptcharakteren der ersten Staffel, spielen hier Influencer wie Raafey (722.000 Youtube-Abonnenten) gegen mehr oder weniger bekannte TV-Gesichter wie die „Germany’s Next Topmodel“-Gewinnerin von 2021, Alex Mariah Peter, die gekleidet im Stil der Psycho-Puppe Younghee erscheint.

Wer nicht selbst schon verkleidet auftaucht, wird für die Spiele mit den typischen grünen Jogginganzügen aus der Serie ausgestattet – die es, na klar, auch zu kaufen gibt. Eine Kooperation mit Puma macht es möglich. Auch anderes „Squid Game”-Merchandise wird kurz vor Staffelstart auf den Markt gebracht, vom Whisky bis zu Crocs. Während der koreanische Regisseur Hwang Donk-hyuk mit der Serie Kritik an der kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft üben wollte, werden für die Vermarktung der Serie alle kommerziellen Möglichkeiten genutzt. Scheint erst mal widersprüchlich, aber Netflix ist eben ein börsennotiertes Unternehmen, das auf Profit ausgelegt ist.

Weltweit tauchen die pinken „Squid Game“-Wächter auf

„Squid Game“ ist kein Einzelfall. Längst haben die großen Streaminganbieter von Netflix über Amazon Prime bis zu Wow (dem Sky-Streamingdienst) Events und Aktionen zu Erfolgsserien oder solchen, die es potenziell werden könnten, für sich entdeckt. Disney praktiziert dieses Prinzip mit seinen Disneylands oder dem passenden Spielzeug seit Jahrzehnten schon.

Netflix hat dieses Jahr zahlreiche solcher Veranstaltungen weltweit auf die Beine gestellt, in Deutschland etwa zu „Kaulitz & Kaulitz“, der dritten „Bridgerton“-Staffel oder der Dramaserie „Griselda“. Im Vorfeld der zweiten „Squid Game“-Staffel reiht sich das Event in Berlin in eine Serie von weltweiten Veranstaltungen ein.

Parallel zur Berliner „Squid Game Experience“ gab es etwa in Los Angeles ein Event mit den Stars der Serie. Ob an Stränden oder auf einem Schiff vor der Oper in Sydney – immer wieder tauchen auch die pinken Wächter aus der Serie oder die übergroße Puppe irgendwo auf. In Seoul hat es bereits eine große Weltpremiere mit den Darstellern gegeben, in Paris wurde das bekannte Serienspiel „Rotes Licht, grünes Licht“ medienwirksam auf der ikonischen Einkaufsstraße Champs-��lysées nachgespielt.

„Squid Game“ längst mehr als ein reiner Streamingerfolg

Man freue sich darauf, „mit rund 600 Gästen den Erfolg der Show zu feiern und tiefer in die ‚Squid Game‘-Welt einzutauchen”, teilte eine Netflix-Sprecherin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vor dem Event in Berlin mit. Die Zielsetzungen solcher Events seien unterschiedlich, unter anderem gehe es um Fan-Aktivierung.

„Squid Game“ ist dabei längst mehr als ein reiner Streamingerfolg, die Serie hat den Sprung vom Bildschirm ins echte Leben vollzogen. Die Spiele wurden 2021 auf Schulhöfen nachgespielt, teilweise mit Ohrfeigen statt dem Tod als Strafe, was zu Kritik von Elternräten und Co. führte. An Halloween laufen seit der ersten Staffel alljährlich Menschen verkleidet als pinke Wächter oder als Puppe Younghee herum, und überall auf der Welt wurden die Dalgona-Kekse nachgebacken. Dazu passt das Berliner Event, bei dem Netflix offensichtlich keine Kosten und Mühen scheut, um die Fortsetzung der Serie zu feiern und bewerben.

„Unbezahlte Werbung“: Influencer feiern die Serie

Neben nachgestellten Kulissen und rund 200 Komparsen gibt es koreanisches Catering und Cocktails mit den Namen „The 456″ (nach der Nummer des überlebenden Spielers Gi-hun) oder „Red Light / Green Light“. Zumeist noch am selben Abend sind die Social-Media-Storys der Anwesenden voll mit Fotos und Videos von dem Event.

Im besten Fall empfehlen die Influencer noch die neue Staffel, von der sie die erste Folge bei dem Event vorab zu sehen bekommen. Bezahlt werden sie dafür angeblich nicht – „unbezahlte Werbung“ steht etwa neben den Posts von „GNTM“-Model Alex Mariah Peter, die von einem „der krassesten Events des Jahres“ spricht.

Auch Influencer Mohi (2,3 Millionen Follower auf Tiktok) lobt die Vorabfolge gegenüber dem RND. Er sei zuvor auch schon nach Korea an das echte Set eingeladen worden. In seiner Instagram-Story nennt er das Event in der deutschen Hauptstadt „crazy“ und bewirbt den Staffelstart: „Ich habe die erste Folge angeschaut, vertraut mir einfach.“ Mehr Follower gewinne er durch den Besuch solcher Serien- und Filmpremieren nicht, sagt er dem RND, „aber ich biete meinen Followern damit etwas Cooles“.

Die Netflix-Konkurrenz macht es ähnlich. Wenige Tage vor Veröffentlichung der zweiten Staffel „House of the Dragon“ auf Sky und Wow etwa gab es im Sommer dieses Jahres bei einem Event mit rund 500 Gästen „nicht nur ein Screening der ersten Episode, sondern ein Fantasy-Spektakel mit Rittern, Drachenreitern, feuerspuckenden Walking Acts, XXL-Drachenschädel und eine mittelalterliche Erlebniswelt“, wie Sky es selbst beschrieb. Zu Gast waren neben Teilen des Casts auch deutsche Influencer und Promis wie Natascha und Wilson Gonzales Ochsenknecht oder Riccardo Simonetti.

„Berlin wurde für einen Abend zu Mittelerde“

Etwa einen Monat vor Veröffentlichung der damals von vielen erwarteten „Herr der Ringe“-Serie „Die Ringe der Macht“ veranstaltete auch Amazon Prime ein exklusives Event. „Berlin wurde für einen Abend zu Mittelerde“, titelte der Streamingdienst danach. Cast, Showrunner und Regisseurin waren zu Gast, es war nur ein Stopp von vielen, mit denen sie in zahlreichen Städten die Werbetrommel für die Serie rührten.

Das Konzept ist so einfach wie raffiniert: Influencern, Promis und Presse wird ein schöner Abend mit vielen Fotomotiven geboten ‒ und die wiederum verbreiten das in den sozialen Medien. Eine effektive Strategie ist das auch deshalb, weil Influencer eine Verbindung zu ihren Followern aufbauen und bestimmte Zielgruppen authentischer ansprechen können, als wenn der Streamingdienst über die eigenen Kanäle wirbt (was natürlich parallel passiert).

Joachim Trebbe, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, sieht dahinter das gleiche Ziel wie bei jeder anderen Produktbewerbung: „Bekanntheit, Markenimage und gleichzeitige Ansprache der Kernzielgruppen (‚Kult‘) und potenziell neuer Nutzer“, führt er gegenüber dem RND aus. Dazu komme der sogenannte „Bandwagon“-Effekt, auch als Mitläufereffekt bezeichnet: „Wenn es eine Marke mal gemacht hat und erfolgreich ist, dann müssen die anderen nachziehen“, meint der Wissenschaftler. Netflix macht es, Amazon Prime macht es, Wow macht es. Es funktioniert offenbar.

Events dieser Art ziehen Journalisten und Multiplikatoren an, so Trebbe weiter. Berichterstattung werde initialisiert und der Staffelstart noch bekannter gemacht, als es nur durch Eigenwerbung von Netflix möglich sei. „Ein Trailer oder Teaser ist an die Mediengattung gebunden – ein Film wirbt für einen Film“, erklärt er. „Ein Event erzeugt Aufmerksamkeit außerhalb der Mediengattung und überspringt Medientyp- und Genregrenzen.“

„Squid Game“ ist erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten

Der Wissenschaftler bezeichnet so eine Veranstaltung mit Blick auf den Nachrichtenfaktor als „inszeniertes Pseudoereignis“. Ereignisse erhöhten den Nachrichtenwert und Berichterstattung der Presse, die Wahrscheinlichkeit von Social-Media-Posts etwa von Influencern über das Event, aber auch das Produkt – also die neue Serie – steige.

Für Netflix scheint das mit Blick auf „Squid Game“ zu funktionieren. Drei Wochen vor der Fortsetzung des Welterfolgs hat der Streamingdienst mitgeteilt, dass die erste Staffel der Serie bis dahin 330 Millionen Mal aufgerufen und mehr als 2,8 Milliarden Stunden gestreamt wurde. Auch neue Anreize spielen offenbar eine Rolle: Nachdem der Trailer für Staffel zwei Ende Oktober veröffentlicht wurde, stiegen die wöchentlichen Abrufzahlen von Staffel eins demzufolge um 60 Prozent.

Schneller, höher, weiter: Das ist in Zeiten, in denen viele Streaminganbieter um dieselben Abonnenten und Abonnentinnen konkurrieren, die Devise. Immer größere und aufwendigere Events und Aktionen generieren mehr Aufmerksamkeit, mehr Interaktion, mehr „Fandom“, wie es heißt – und am Ende im besten Fall auch mehr Abos und Streams. Wie weit sich das noch ausdehnen lässt, wird sich zeigen. Im Fall von „Squid Game“ lautet die Frage wohl: Kann Staffel zwei den Rekord von Staffel eins brechen? Netflix jedenfalls tut viel dafür.