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„Squid Game: The Challenge“In Netflix-Show ist jeder Kandidat nur tot etwas wert

Lesezeit 4 Minuten
Teilnehmer von „Squid Game: The Challenge“ gehen durch ein labyrinthisches Treppenhaus in bunten Pastellfarben.

Eine Szene aus „Squid Game: The Challenge“

„Squid Game“ war ein Überraschungshit. Jetzt hat Netflix aus der bösen Kapitalismus-Parabel ein zynisches Gewinnspiel gemacht.

Für ihn, spricht ein Kandidat in die Kamera, sei jeder hier einfach nur Geld. Wie viel Geld, das lässt sich genau bemessen: Jeder Kandidat, der in der neuen Reality-Show „Squid Game: The Challenge“ eliminiert wird, entspricht der Summe von 10.000 Dollar, die prompt in eine Plexiglaskugel im Schlafsaal plumpsen. Lebend sind die Mitspieler freilich nichts wert. Sie stehen nur im Weg zwischen den einzelnen Glücksrittern und dem riesigen Bargeldhaufen, 4,56 Millionen Dollar, der am Ende auf den erfolgreichsten, beziehungsweise rücksichtslosesten Einzelkämpfer wartet.

Aber das wissen sie bereits, wenn sie Hwang Dong-hyuks Kapitalismus-Parabel „Squid Game“ gesehen haben. Die südkoreanische Serie war 2021 der große Überraschungshit auf Netflix: 456 arme Schlucker, die für einen Millionenbetrag, der eine oder einen von ihnen aller Sorgen entheben würde, ihr Leben verwetten. Der verschuldeten Masse werden Aufstiegschancen vorgegaukelt, dabei haben sie nur ihr nacktes Leben einzusetzen, ihre schutzlose Existenz. Und die dient zur Unterhaltung einer Handvoll Superreicher, die sich an den blutigen Bildern weiden, wenn sich harmlose Kinderspiele als Zurichtungen zum Existenzkampf entpuppen und Träume in Maschinengewehrsalven enden.

„Squid Game“, das war Brecht’sches Aufklärungstheater im Splatter-Modus. Mit dem schlauen Twist, dass sich die Netflix-Zuschauer mit den sich abmühenden Armen identifizierten, obwohl sie sich doch eigentlich in der Position der reichen Gaffer befanden.

Warum führte „Squid Game“ nicht zum Aufstand, sondern nur zur Fortsetzung?

Weil der Kapitalismus aber nun mal kein Außen duldet, führte der Erfolg „Squid Game“ nicht zum Aufstand der 99 Prozent, sondern nur zu sozialdarwinistischen Spielen auf den Schulhöfen und Fortsetzungsplänen des hochzufriedenen Streamingdienstes. Fiktion braucht Zeit, weshalb Netflix, während Hwang Dong-hyuk noch an der zweiten Staffel schreibt, eine Reality-TV-Version des makabren Spiels in Auftrag gegeben hat, in der 456 Teilnehmer in den Kostümen und in der Nähe von London liebevoll nachgebauten Kulissen des Dramas um die Summe von 4,56 Millionen Dollar konkurrieren. Das ist erheblich weniger, als es im fiktiven „Squid Game“ zu gewinnen gab (ungefähr 35 Millionen Dollar), aber es reicht völlig aus, um etwaige Anfälle von moralischen Handeln zu unterbinden.

Das ist ein wenig, als würde man einen Antikriegsfilm als Kriegsspiel nachstellen. Oder als hätte man auf die Kinokassenergebnisse von „Der weiße Hai“ reagiert, in dem man einen hungrigen Hai in Strandnähe aussetzt und Verzweifelten, die sich ins Wasser trauen, einen Batzen Geld in Aussicht stellt. Oder zeigt uns „Squid Game: The Challenge“ die Wahrheit über das Leben unter Wettbewerbsbedingungen einfach noch ein wenig schonungsloser? Angeblich gab es mehr als 80.000 Menschen, die sich für das Spiel beworben hatten. Die 456, die hier übrig geblieben sind, wurden also sorgfältig gecastet. Nach Ruchlosigkeit.

HANDOUT - 30.01.2023, ---, --: Episode 105 von Netflix  "Squid Game: The Challenge" (zu dpa: «Netflix startet Gameshow «Squid Game: The Challenge»») Foto: Pete Dadds/Netflix © 2023/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Sendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Szene aus der fünften Episode von „Squid Game: The Challenge“

Weswegen sie nun Statements wie die Folgenden abgeben: „Wenn du nicht betrügst, willst du gar nicht gewinnen“; „Empathie in eine Schwäche, ich liebe mich selbst“; „Jedes Mal, wenn jemand eliminiert wird, erhöhen sich meine Gewinnchancen, also freue ich mich“.

Ach ja, die Sache mit dem Eliminieren. Die Teilnehmer werden hier von kleinen Zündkapseln niedergestreckt, die schwarze Tinte auf ihre weißen T-Shirts verteilen, woraufhin manche mehr, manche weniger überzeugend zu Boden sinken. Außer ein paar Blutergüssen kommt niemand körperlich zu Schaden, im Bild wirkt das gnadenlose Aussortieren von Menschenmaterial allerdings nicht weniger schockierend als in der Serie.

Die Challenge-Produzenten haben sich allerdings noch einige zusätzliche Gemeinheiten ausgedacht. Es folgt ein kleiner Spoiler. So wird zwei zum Küchendienst eingeteilten Teilnehmern das Angebot gemacht, entweder einem ihrer Mitbewerber einen Vorteil zu verschaffen, oder einen Konkurrenten zu eliminieren. Sie entscheiden sich für letzteres, nicht ahnend, dass ihre Wahl anschließend der gesamten Gruppe im Schlafaal mitgeteilt wird. Sadistisch langsam klappen die Zahlenreihen um, das Opfer versteht die Welt nicht mehr: „Warum haben sie mich ausgewählt“, fragt es die Kamera: „Ich habe mir doch nur ein besseres Leben für meine Tochter gewünscht.“

So setzt die Show auch das berüchtigte Stanford-Gefängnis-Experiment fort, aber das gilt in unterschiedlichen Graden für beinahe jede Reality-Show in der Nachfolge von „Big Brother“: In der fortschreitenden Dehumanisierung unter verschärften Bedingungen zeigt sich erst der wahre Mensch. „Squid Game: The Challenge“ ist dramaturgisch exzellent verfertigt und so hochwertig ausgestattet, dass sich der Trash-Faktor im pastellig bunten M.C. Escher-Treppenlabyrinth verliert.

Es verärgert, berührt, frustriert und fasziniert im gleichen Maße. Sie möchte nur einmal wissen, wie sich das anfühlt, sagt eine Kandidatin, sein auf Kredit erworbenes Auto abbezahlen zu können. Sie ist die Erste, die eliminiert wird. Es ist der letzte Schrei in Sachen Zynismus. Wir können es ihnen nur wärmstens ans Herz legen und möchten sie dringend davor warnen.