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Interview

Stefan Charles
„Ich würde das nicht mehr so machen“

Lesezeit 10 Minuten
Stefan Charles gestikuliert beim Sprechen.

Kölns Kulturdezernent Stefan Charles

Kölns Kulturdezernent über den Haushaltsstreit, schlaflose Nächte, Abwanderungsgerüchte und das nahe Happy End der Bühnensanierung.  

Herr Charles, hinter Ihnen liegen bewegte Wochen und Monate. Wie haben Sie als Kulturdezernent die Debatte um die Haushaltskürzungen erlebt?

Stefan Charles: Wie Sie richtig sagen, liegt eine bewegte und auch schwierige Zeit hinter uns. Ich bin sehr erleichtert, dass der Großteil der angedachten Kürzungen jetzt weitgehend abgewendet werden konnte. Das war eine gemeinschaftliche Anstrengung, dabei haben sehr viele geholfen in der Politik und unter den Kulturschaffenden. Dafür bin ich sehr dankbar. Es gab Kritik am Prozess, und diese Kritik nehme ich sehr ernst. Die kam und kommt vor allem aus der freien Szene, die in meiner Wahrnehmung vor allem gesagt hat, dass der Prozess, diesen Haushalt aufzustellen, stärker im Austausch hätte stattfinden sollen.

War die Kritik berechtigt?

Wenn ich mir überlege, wie wir sonst in der Kultur miteinander umgehen, eben auf Augenhöhe, war es ein Fehler, den Haushalt als reine Verwaltungsangelegenheit zu begreifen. Ich würde das nicht mehr so machen und stärker den Austausch suchen mit den Protagonist*innen in der Kultur und auch der Politik. Das tue ich bereits. Ich führe jetzt regelmäßig Gespräche mit den Spartenvertreter*innen, um gemeinsam eine Antwort auf die Frage zu finden, wie wir mit möglichen zukünftigen Veränderungen im Haushalt umgehen wollen.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis der Haushaltsdebatte?

Bei der Förderung der freien Szene liegen wir für 2025 bei 13,6 Millionen Euro, eine Kürzung von real 2,8 Prozent. Im Jahr 2026 gibt es schon wieder einen Zuwachs gegenüber 2024, das heißt, es ist eine leichte Delle im Kulturhaushalt. Ich finde, das ist ein gutes Ergebnis. Anders liegt es bei den Eigenbetrieben, die vom Haushalt her nicht dem Kulturdezernat zugeordnet sind, wie die Bühnen, die Philharmonie und unsere beiden Sorgenkinder, die Akademie der Künste der Welt und das Acht-Brücken-Festival. Da kann ich die Entwicklung nur als Aufsichtsratsmitglied beeinflussen. Wenn die Politik wünscht, dass ich diese Eigenbetriebe auch finanziell steuern soll, müsste sie mich dazu legitimieren.

Es war ein Fehler, den Haushalt als reine Verwaltungsangelegenheit zu begreifen
Stefan Charles

Sie haben die „Sorgenkinder“ schon angesprochen. Wie schätzen Sie die Aussichten ein, dass Akademie und Acht-Brücken aus eigener Kraft weiterleben können?

Haushälterisch ist das, wie gesagt, nicht dem Kulturdezernat zugeordnet. Aber inhaltlich fühle ich mich natürlich trotzdem verantwortlich. Wenn wir uns den Musikbereich anschauen, gibt es dort vier wesentliche Bereiche: die Popmusik, die neue Musik, die alte Musik und den Jazz. Ich bin überzeugt, dass es in jedem Bereich ein eigenes Festival braucht, also auch eines für die neue Musik wie Acht-Brücken. Meine Anstrengung geht in die Richtung, aus diesen vier Bereichen die international bedeutenden Festivals zu identifizieren und zu einer starken Festivalgesellschaft zu verbinden. Dann fiele die Verletzlichkeit in Haushaltsprozessen weg, weil der Gesamtverbund mit größerer Schlagkraft aufgestellt ist.

Zurück zur freien Szene. Dort hört man den Vorwurf, es gebe im Kulturdezernat kein richtiges Konzept und keine Planungssicherheit. Können Sie verstehen, dass der Unmut auch jenseits der Kommunikation bei den Leuten in der freien Szene groß ist?

Ich bin überzeugt, dass die freie Szene in dieser Vielfalt unglaublich wichtig ist. Sie muss als solche weiter gefördert werden. Ich sehe keinen erkennbaren, finanziellen Nutzen darin, diese Förderung weiter kürzen, gemessen am Gesamthaushalt von 6,5 Milliarden Euro. Damit ist niemand geholfen. Wir müssen daher ein Wirkungsmodell in Köln entwickeln, um den gesellschaftlichen Nutzen oder die gesellschaftliche Wirkung der Kultur besser darlegen zu können. Ich bin im Moment daran, mit Unterstützung des British Art Council und mit der Pro Helvetia ein solches Modell zu erarbeiten. Das wird sicher für den nächsten Haushalt entscheidend.

Es gab auch harsche Kritik aus der Politik. Wie gehen Sie damit um?

So etwas ist nie angenehm, und es gab natürlich auch mal eine Nacht, wo ich nicht so gut geschlafen habe. Das gehört zum Job in einer derart schwierigen Situation. Aber ich muss auch sagen, dass wir derzeit in ganz Deutschland massive Haushaltskürzungen haben. Es ist offenbar auch meinen Kolleginnen und Kollegen auf Landes- und Bundesebene und in anderen Kommunen nicht viel besser ergangen – mit der Ausnahme Hamburg, wo in der Kultur nicht gekürzt wurde. Insofern nehme ich das nicht zu persönlich. Aber ich lerne aus so einer Situation. Ich habe gemerkt, wie verletzlich unsere Kultur und die Förderung der Kultur ist. Das müssen wir dringend verbessern und der Gesellschaft und der Politik erklären, warum es diese vielen Kulturakteur*innen braucht, und was diese Künstler und Künstlerinnen für Köln bedeuten.

Sind Sie zufrieden mit dem Rückhalt für die Kultur in der Politik und auch in der Kölner Bürgerschaft?

Es gibt einen unfassbar großen Rückhalt. Das schätze ich an Köln sehr und daher rührt meine Dankbarkeit an alle, die mitziehen. Dies ist eine wichtige Basis, denn es gibt in der Stadt noch großes Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft wird. Aus meiner Sicht könnte man die kulturelle Pulsfrequenz in Köln noch ein Stück erhöhen. Das ist mein Job und dafür bin ich da.

Die Bühnen am Offenbachplatz werden in der Gesamtwahrnehmung der Kultur ein Wendepunkt sein
Stefan Charles

Welche Auswirkungen hat das Operndesaster auf diesen Job?

Die Baustelle der Bühnen begegnet mir täglich, in fast allen Gesprächen in Köln und auch außerhalb Kölns. Außerhalb Kölns höre ich dann aber auch, dass sie ähnliche Probleme mit ihren Bauprojekten haben. Was ich heute sagen kann: Wir werden diese Opernbaustelle jetzt zu einem Happy End führen. Die Bühnen werden an den Offenbachplatz umziehen, und dann haben wir dort einen großartigen Ort. Das ist eine große Bühne, die für große Kulturabende gemacht ist. Das wird in der Gesamtwahrnehmung der Kultur ein Wendepunkt sein.

Es gibt viele Menschen, die an dieses Happy End nicht mehr glauben.

Ich verstehe die Skeptiker. Aber ich arbeite eng mit Projektsteuerer Jürgen Marc Volm und Baudezernent Markus Greitemann zusammen, ich bin mehrmals pro Woche auf der Baustelle, kenne den aktuellen Stand des Bauverlaufs und gehe daher fest davon aus, dass der Zeitplan hält.

Die Oper ist nur die prominenteste Baustelle in Köln. Auch viele Museen sind renovierungsbedürftig.

Von den neun städtischen Museen sind derzeit fünf in Bauprojekten. Aber in drei bis fünf Jahren werden alle Kulturbaustellen entlang der Via Culturalis fertig gebaut sein, das heißt, bis zum Ende meiner Amtszeit wird die Via Culturalis bespielt werden. Das ist ein wunderbares Ziel, und wir sind jetzt schon dran, alles so vorzubereiten, dass diese Häuser mit Erfolg betrieben werden. Ab 2029 wollen wir jährlich zwei Millionen Besucher und Besucherinnen in den städtischen Museen (inklusive MiQua). Mit den Museumsdirektionen und dem Beratungsunternehmen Actori arbeiten wir an einer Strategie, wie wir dieses Ziel erreichen. Spoiler Alert: Actori hat uns schon gesagt: Das ist möglich, das könnt ihr schaffen. Wir haben eine Roadmap, die wir konsequent verfolgen.

Bis zum Ende meiner Amtszeit wird die Via Culturalis bespielt werden
Stefan Charles

Es gibt einen aktuellen Auftrag aus dem Rat, Synergieeffekte bei den Museen zu prüfen.

Ich habe schon vor dem Ratsbeschluss begonnen, zu schauen, wo die Herausforderungen der Museumsarbeit liegen. Wir haben zum Beispiel mit Anne Fischer eine Co-Direktorin für das Rautenstrauch-Joest-Museum und das Museum für Ostasiatische Kunst engagiert, die die künstlerische Direktion in Managementfragen und beim Marketing unterstützt. Wir brauchen solche Kooperation, auch in anderen Bereichen müssen wir als Museumsfamilie agieren.

Im Auftrag ist von der Zusammenlegung einzelner Museen die Rede. Ist das für Sie eine Möglichkeit?

Nein.

Sie haben die Via Culturalis angesprochen. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass die Kulturbauten rechtzeitig fertig werden? Aktuell ist das eine große Dauerbaustelle.

Es gibt immer Risiken bei solch großen Bauprojekten, das ist klar. Es sind teilweise auch Zeitpuffer drin, die nicht allzu groß sind. Aber wir kennen die Risiken und gehen damit um. Ich sitze bei all diesen Bauprojekten in den Lenkungskreisen und werde wöchentlich aufdatiert, was auf der Baustelle funktioniert und was nicht. Wir haben mit Markus Greitemann zusammen alle Baustellen entlang der Via Culturalis im Plan. Es gibt da keine Verzögerungen mehr. Wir sind auf Kurs.

Nach der Baustelle ist vor der Baustelle.

Natürlich gibt es Häuser, die sich über 2030 hinaus mit Bauprojekten oder Sanierungsprojekten beschäftigen müssen, das Museum Ludwig etwa und die Philharmonie. Diese Häuser wurden vor Jahrzehnten gebaut und kommen jetzt in die Sanierungsphase. Das ist einfach der Zyklus und da stecken wir jetzt drin. Die Gleichzeitigkeit der Bauprojekte zwingt uns dazu, genau zu überlegen, wie das Zusammenwirken der Häuser eigentlich funktionieren soll. Wir schaffen jetzt in Köln die Grundlage für eine Museumsfamilie, die zukunftsfähig und zukunftsgerichtet ist, wie in kaum einer anderen Stadt in Deutschland. Das ist unsere Chance und die müssen wir ergreifen.

Es ist auch eine Leistung, solche funktionierenden Interims wie beim Stadtmuseum zu schaffen
Stefan Charles

Wird das Stadtmuseum ewig in seinem Interim bleiben?

Nein, auch da bin ich optimistisch. Wir bereiten rechtzeitig eine Beschlussvorlage für einen langfristigen Standort vor. Das machen wir auch mit der Kunst- und Museumsbibliothek. Und Sie dürfen nicht vergessen: Es ist auch eine Leistung, solche funktionierenden Interims wie beim Stadtmuseum zu schaffen. Grundsätzlich finde ich es aber falsch, eine so reiche Historie wie die kölnische auf 700 Quadratmeter erzählen zu müssen. Das kann nicht die Zukunft sein.

Wie steht es um die Zukunft des weiterhin heimatlosen Studios für elektronische Musik?

Ich kann hier vermelden, dass wir für das Zamus und das Studio eine Lösung gefunden haben und wir die Verträge gerade vorbereiten. Das läuft.

Eine weiterhin offene Frage ist die Tanzsparte.

Der Tanz liegt mir sehr am Herzen. Im letzten Quartal 2024 hatte diese Sparte eine Auslastung von 100 Prozent. Das sind unfassbar tolle Abende, ein junges und diverses Publikum strömt nach Mülheim zu den Tanzgastspielen. Die Kölner sind tanzverrückt, ich kann es nicht anders sagen. In Köln leben die meisten Tänzerinnen und Tänzer aus ganz NRW, und wir haben zwei renommierte Tanzausbildungen hier in Köln. Wenn Sie die Budgets vergleichen von Oper, Schauspiel und Tanz, fällt für den Tanz nur ein Bruchteil an. Auch deswegen muss die Stadt Köln auf den Tanz setzen. Es gibt dafür gerade ein Momentum. Bei unserem Open Call habe sich über 60 Teams gemeldet mit Konzepten, etliche davon waren hochkarätig.

Die Kölner sind tanzverrückt, ich kann es nicht anders sagen
Stefan Charles

Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass 2027 Geld für den Tanz da ist?

Ich werde klarmachen, wie wichtig das für Köln ist. Der Tanz wird ein Anziehungspunkt für Künstler und Künstlerinnen aus der ganzen Welt sein. Wir werden damit viel bewegen können, und ich werde dafür kämpfen, dass wir diese Mittel kriegen. Aber vielleicht brauchen wir auch noch mehr Partner. Wir haben gemerkt, dass uns in schwierigen Zeiten starke Partner fehlen. Viele, die infrage kamen, etwa der Bund und das Land NRW, haben selbst über Kürzungen nachgedacht. In der Zukunft müssen wir mehr EU-Mittel generieren.

Die Stadtkämmerin schließt Partnerschaften, bei denen sich die Stadt mit 50 Prozent beteiligen muss, aber aktuell aus.

Deswegen sind wir im Gespräch mit privaten Stiftungen. Wir brauchen diesen Beteiligungstopf. Und wenn der nicht aus städtischen Mitteln finanziert werden kann, dann werde ich versuchen, andere dafür zu gewinnen. Jetzt erst recht, muss unser Motto sein. Die Haushaltskürzungen waren für mich sehr schwierig, weil ich festgestellt habe: Das nimmt nochmal überall Tempo raus. Aber der Spirit, die Kultur voranzubringen, ist da. Und Kultur ist ein wichtiger Treiber in Köln, ein wichtiger Teil der Stadt. Neben dem Karneval natürlich.

Man hört, dass die Stadt die Abba-Show „Voyage“ nach Köln holen wollte. Ist das auch ein Weg, den Puls in der Stadt hochzutreiben?

Ich kann dazu nichts Konkretes sagen, weil ich nicht in die Gespräche involviert war. Aber ein breiter Kulturbegriff tut uns allen gut. Wenn sich Menschen für Kultur in irgendeiner Form begeistern, dann freue ich mich darüber.

Es heißt, viele Mitarbeiter haben das Kulturamt verlassen. Haben Sie ein Führungsproblem?

An der Spitze des Kulturamts hat es einen Wechsel gegeben, und wir haben mit Juana von Stein so schnell, wie es eben in diesen Verwaltungsprozessen geht, eine Nachfolgerin finden können. Die beiden anderen Stellen waren reguläre Pensionierung, die wir auch ziemlich schnell nachbesetzen konnten. Also: Business as usual. Aber wenn das in eine Zeit fällt, in der der Kommunikationsbedarf erhöht ist, ist es schmerzhaft und unglücklich.

Es kursieren Gerüchte, dass Sie sich auf andere Posten beworben hätten.

Meine Frau und ich fühlen uns wahnsinnig wohl hier in Köln, also Entwarnung an dieser Stelle. Der Job, da habe ich mir nie etwas vorgemacht, wird nicht immer einfach sein, das ist ja völlig klar. Aber um die Kulturschaffenden aus dieser schwierigen Lage zu führen, braucht es meinen vollen Einsatz. Und den werde ich bringen.