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Streit der WocheSind „alte, weiße Männer“ ein Problem?

Lesezeit 5 Minuten
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Uncle Sam – auch ein alter weißer Mann. Sind die an allem Schuld?

  1. Das Klischee vom „alten, weißen Mann“, der seine eigenen Privilegien nicht versteht, ist zum Kampfbegriff geworden. Aber macht das die Debatte wirklich besser? Oder wird die Spaltung nur noch größer?
  2. Anne Burgmer (39), stellvertretende Leiterin der Kulturredaktion, findet: Kein weißer heterosexueller Mann ist je in Deutschland diskriminiert worden. Stattdessen sitzen sie an den Schalthebeln der Macht.
  3. Jonah Lemm (23), Redakteur im Ressort NRW/Story, meint: Wer Rassisten und Sexisten als „alter, weißer Mann“ bezeichnet, hilft ihnen nur, sich in eine Opferrolle flüchten zu dürfen.

Unser Streit der Woche: Sind „alte, weiße Männer“ ein Problem?

Pro: Alte, weiße Männer sind die nie hinterfragte Norm

von Anne Burgmer

Ich hatte mein Leben lang nie Probleme mit den Knien. Nichts am Kreuzband oder Meniskus, keine Verletzungen. Wandern, Skifahren, Yoga – auch wenn sie ständig im Einsatz waren, kamen sie in meinen Gedanken nicht vor. Sie waren einfach da. Seit ein paar Monaten schmerzt mein rechtes Knie. Und plötzlich stelle ich fest, wie wichtig so ein funktionierendes Knie ist. Aufstehen, Treppensteigen, Knien, Hocken – alles problematisch. Nun fragen Sie zu Recht, was mein Knie mit alten weißen Männern zu tun hat. Die nahe liegende Antwort: Nichts.

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Anne Burgmer (39) ist stellvertretende Leiterin der Kulturredaktion. Sie besuchte kürzlich einen Auftritt von Mario Barth, der ihr verdeutlichte, dass sich die meisten alten weißen Männer weiterhin ziemlich gut finden.

Und dann doch wieder sehr viel: So wie ich mein Knie jahrzehntelang ignoriert und als selbstverständlich betrachtet habe, dass es funktioniert, geht es vielen Männern in diesem Land mit ihren Privilegien. Wer noch nie mit einem bestimmten Problem konfrontiert war, nimmt die Möglichkeit, dass andere Menschen damit zu kämpfen haben, oft gar nicht wahr. Unser eigenes Erleben zeigt uns die Grenzen auf. Das ist menschlich und nicht verwerflich. Aber es engt unsere Sicht ein und macht es schwer, Empathie zu entwickeln.

Weiße, heterosexuelle Männer sind in Deutschland die nie hinterfragte Norm. Haben sie Ausbildung oder Studium abgeschlossen, geben sie den Ton an in der Wirtschaft, in Wissenschaft und Politik. Sie sitzen an den Schalthebeln der Macht. Dabei wurden sie über Jahrhunderte aber nie als Teil einer Gruppe mit klar definierten Eigenschaften und Verhaltensmustern wahrgenommen. Wenn ein Mann etwas tat, wurde das nicht genutzt, um alle Männer zu beschreiben. Die Norm braucht keine Zuschreibung.

Das hat sich in den vergangenen Jahren verändert. In vielen Debatten über gesellschaftliche Missstände sind die „alten, weißen Männer“ zum Schlagwort geworden. Sie gelten als konservativ, aus der Zeit gefallen, oft als sexistisch oder homophob. Das ist ungerecht und undifferenziert. Ich verstehe, dass Männer sich angegriffen fühlen, wenn sie „alte, weiße Männer“ genannt werden. Es tut weh, nicht als Individuum betrachtet, sondern als Teil einer Gruppe wahrgenommen zu werden.

Aber liebe Männer, entspannt euch mal! Kein weißer heterosexueller Mann ist je in Deutschland diskriminiert worden. Im Gegenteil. Die Generation, die sich von dieser Zuschreibung nun angesprochen fühlt, wuchs in einer Zeit auf, in der Jungen suggeriert wurde, dass sie alles werden können – und Mädchen kochen lernen sollten.

Es gibt viele großartige, schlaue alte weiße Männer. Und ich bin mir sicher, dass diese es aushalten können, so bezeichnet zu werden – und sogar die Chance erkennen, die es eröffnet. Weil es heilsam und lehrreich für sie ist zu erleben, dass es wütend macht und frustriert, ungefragt in eine Schublade gesteckt zu werden.

Und vielleicht gelingt es uns dann irgendwann als Gesellschaft, all die Schubladen, die wir ständig aufziehen – Schwuler, Lesbe, Geflüchteter, Muslim, Jude, Mensch mit Migrationshintergrund, Mensch mit Behinderung, Frau – leer zu räumen. Wenn es soweit ist, werden wir auch nie wieder von alten weißen Männern sprechen. Versprochen!

Contra: Dass solche Männer alt und weiß sind, ist das geringste Problem an ihnen

von Jonah Lemm

Es muss hart sein zu lernen, dass man anderen die Welt nicht mehr erklären kann, weil man sie plötzlich selbst nicht mehr versteht. So viel für die Demokratie, für dieses Land, ja diese Welt getan – und dann kommt eine 16-Jährige und wirft einem vor, man hätte ihre Kindheit zerstört. Im Internet lachen immer alle, wenn man vorschlägt, den Markt das einfach von selbst regeln zu lassen. Und die Sekretärin darf man auch nicht mehr in den Arm nehmen.

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Jonah Lemm (23), Redakteur im Ressort NRW/Story, wurde kürzlich von einem Leser als „pubertierender Kiffer“ verurteilt. Wenn das kein Klischee ist! Er möchte klarstellen: Drogen lehnt er strikt ab, auf mehr Bartwuchs hofft er aber tatsächlich noch immer. 

Auch das ein Privileg des „alten, weißen Mannes“: Das Gefühl haben, dass die angeborene gesellschaftliche Vormachtstellung in Frage gestellt wird. Das dann aber als Diskriminierung auszulegen. Mit der Benachteiligung von tatsächlich marginalisierten Gruppen gleichzusetzen. Und sich darüber auch noch öffentlich beklagen zu dürfen.

Nervt. Aber diese Bühne haben wir ihnen ja selbst gezimmert.

Wir reden hier – kurze Blaupause des „alten, weißen Mannes“ – über Menschen mit Macht, die das Recht, mit 200 km/h auf der linken Spur zu brettern, über das Klima, ihre Triebe über das Wohlbefinden von Frauen stellen. Die andere Geschlechter weniger respektieren als ihr eigenes. Teilweise auch über Menschen, die Unsinn faseln wie etwa, dass es „Rassismus gegen Weiße“ gäbe und sich gleichzeitig weigern, ihren eigenen Alltagsrassismus abzulegen, weil als sie klein waren, nannte man das ja noch „Mohrenkopf“!!!

Solche Menschen nennen wir dann total ironisch „alter, weißer Mann“. Fühlen uns moralisch überlegen. Und merken nicht, dass wir ihnen genau damit die Möglichkeit geben, sich in eine Opferrolle zu flüchten, die ihnen nicht zusteht. Weil Rassisten und Sexisten nun so tun können, als würden ihre Aussagen wegen ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts kritisiert. Und nicht, weil sie sich wie Vollidioten benehmen.

Das Problem an solchen Männern ist ausdrücklich nicht, dass sie alt und weiß sind. Das Problem ist, dass sie Ansichten vertreten, die nicht mit unserer freien Gesellschaft vereinbar sind. Mir wäre lieb, wir würden diese Positionen nicht als „alter, weißer Mann“ verharmlosen, was irgendwie süß und knuffig klingt, sondern sie ausländer-, frauen-, trans*-feindlich und homophob nennen.

Auch, weil es ziemlich faul ist, Menschen kategorisch den Mund zu verbieten, nur weil sie alt und weiß und männlich sind. Viele alte, weiße Männer passen nicht in das obenbeschriebene Feindbild. Sie sind nicht einflussreich, sondern Normalos. Sie tragen eher Verwirrung denn Hass in sich, weil die Gesellschaft nicht mehr so funktioniert, wie sie es einst gelernt haben. Nur weil einige von ihnen immer noch stigmatisieren, muss man das aber nicht auch mit ihnen machen.

Vorschlag: Trifft man auf einen alten, weißen Mann, die Debatte doch noch mal mit Argumenten statt mit Kampfbegriffen probieren. Nachsichtig sein, so lange, wie es geht. Erklären. Wenn er trotzdem entscheidet, sich wie ein Vollidiot zu benehmen (Typologie siehe oben), kann man wirklich guten Gewissens das Gespräch abbrechen. Er aber einem dann nicht vorhalten, man täte das nur, weil er alt und weiß und männlich ist.