Rapper Kendrick Lamar versetzte seinem Konkurrenten Drake vor 200 Millionen Zuschauern den Todesstoß. Im Juli kommt er zusammen mit SZA nach Köln.
Super-Bowl-HalbzeitshowKendrick Lamars skandalöser Auftritt
![US rapper Kendrick Lamar performs during Super Bowl LIX Chiefs vs Eagles Apple Music Halftime Show at Caesars Superdome in New Orleans, Louisiana, February 9, 2025. (Photo by TIMOTHY A. CLARY / AFP)](https://static.ksta.de/__images/2025/02/10/3468f92e-424a-41a2-81bd-361d7a33ecc7.jpeg?q=75&q=70&rect=0,405,4000,2250&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=fd4585e0f08ac65ead38a16b3465548a)
Rapper Kendrick Lamar tritt beim Super Bowl LIX in New Orleans auf.
Copyright: Timothy A. Clary/AFP
Die Revolution, verspricht Kendrick Lamar im Superdome von New Orleans, wird gleich im Fernsehen übertragen. Ein Spiel mit dem vielzitierten Slogan des Dichters und Proto-Rappers Gil Scott-Heron („the revolution will not be televised“). Vielleicht auch nur simple Prahlerei. Aber der 37-Jährige ist nicht nur der erste Rapper, der im Alleingang die Halbzeitshow des amerikanischen Super Bowl bestreitet – vor drei Jahren übernahm ein Hip-Hop-Allstar-Team aus Dr. Dre, Snoop Dog, Eminem, Mary J. Blige und Lamar selbst die Pausenunterhaltung. Er ist auch der erste Pop-Künstler, der mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Nichts ist hier simpel.
„Sie haben sich den richtigen Zeitpunkt“, lautet Lamars nächste Zeile, „aber den falschen Mann ausgesucht.“ Ist er selbst der falsche Mann für mediale Riesenereignis? Die National Football League rechnet mit mehr als 200 Millionen Live-Zuschauern für das Endspiel zwischen den Kansas City Chiefs und den Philadelphia Eagles. Noch ein paar Millionen mehr werden sich die Aufzeichnung seines 13-Minuten-Auftritts anschauen.
Viele halten Kendrick Lamar für eine Fehlbesetzung
Was für eine Plattform! Tatsächlich gibt es nicht wenige, die den Westküsten-Rapper aus Compton für eine Fehlbesetzung halten, sich nach den spektakulären Galavorstellungen weiblicher Popstars sehnen: Lady Gaga, die vom Stadiondach springt, Diana Ross, die per Hubschrauber vom Spielfeld abgeholt wird. Oder nach Livemusik mit „richtigen“ Instrumenten, wie bei den Auftritten von Bruce Springsteen, U2 oder Prince. Letztere finden sich vor allem in den Kommentarspalten der großen US-Zeitungen. Auf Plattformen mit tendenziell jüngeren Nutzern wie Reddit oder Insta wird Lamars Show dagegen als Nonplusultra der TV-Geschichte gefeiert. Warum das so ist, dazu gleich mehr.
Zuerst noch ein wenig Interpretation, denn zu der lädt der wortgewaltige Rapper eigentlich immer ein. Eventuell meint er mit dem falschen Mann zur richtigen Revolution Donald Trump. Der aufmerksamkeitssüchtige Präsident der Vereinigten Staaten sitzt in New Orleans im Publikum.
Kendrick Lamar aber hat sich von einer alternativen Autoritätsfigur ausrufen lassen: Der Schauspieler Samuel L. Jackson ist ins Kostüm des Uncle Sam geschlüpft, der allegorischen Nationalfigur. „Dies hier ist das große amerikanische Spiel“, verkündet Jackson mit hörbarem Gusto. Ob es hier noch um Football, um das Rap-Game oder die Seele Landes geht, bleibt offen. Der Star steht auf dem Dach eines schwarzen Buick GNX, der Lieblingsoldtimer, nach dem er sein aktuelles Album benannt hat. Aber dieses Modell ist nicht fahrtüchtig, sondern das, was man im Englischen ein Clown Car nennt, ein ausgehöhlter Wagen, aus dem mehr Zirkusperformer steigen, als nach den Gesetzen der Physik hineinpassen dürften. Hier sind es Tänzerinnen und Tänzer in roten, blauen, weißen und schwarzen Trainingsanzügen. Rot wie die Bloods, blau wie die Crips, die Straßengangs, die sich während Lamars Kindheit in Los Angeles tödliche Bandenkriege lieferten. Oder sind sie rot wie die Republikaner und blau wie die Demokraten?
Die amerikanische Flagge, gebaut aus schwarzen Menschen
Plötzlich bilden sie zum Song „Humble“ („bescheiden“) das Star-Spangled Banner, so viel Fahnenpatriotismus muss beim Super Bowl sein. Aber es sind ausschließlich Schwarze, die sich hier in Position bringen: Die USA, gebaut von den Nachfahren versklavter Menschen. Es ist ein erstaunlich kompromissloser Auftritt. Lamar beginnt mit einem unveröffentlichten Track, stützt sich anschließend vor allem auf Songs aus dem neuen Album. Auf seine älteren Hits wie „Bitch, Don't Kill My Vibe“ oder „Alright“, immerhin die inoffizielle Hymne der Black-Lives-Matter-Bewegung, verzichtet er. Und nachdem er zusammen mit der Singer-Songwriterin SZA „All the Stars“, ihr Duett aus dem „Black Panther“-Film, angestimmt hat, lässt er Samuel L. Jackson als sein künstlerisches Gewissen kommentieren: „Das ist es, was Amerika will, nett und ruhig.“
Aber Amerika will heute Abend etwas ganz anderes – und dies zu beweisen, ist Lamars gar nicht mal so geheime Mission. Mit ein paar angespielten Takten von „Not Like Us“ fährt er die stärksten Reaktionen des Publikums vor Ort ein. Erst vor wenigen Tagen war das skandalöse Stück mit fünf Grammys ausgezeichnet worden. Skandalös, weil es der K.O.-Schlag in einem mehrmonatigen Zweikampf mit dem ungeliebten Kollegen Drake war, dem erfolgreichsten Rapper der zehner Jahre. Skandalös, weil Lamar darin den Konkurrenten einen Pädophilen schimpft, nach deutschem Recht würde er damit unmöglich durchkommen.
Sollte er das am wichtigsten US-Fernsehabend vor 200 Millionen Zuschauern wiederholen? Das P-Wort wird in der Halbzeitshow von einem Schrei übertönt, doch die beste Zeile des Diss-Tracks, „tryna strike a chord and it's problably a minor“ – der angeschlagene a-Moll-Akkord ist ein Homophon für „minderjähriges Mädchen“ – muss Lamar gar nicht erst zu Ende rappen: Sie schallt ihm von den Rängen des Superdomes entgegen. Noch besser ist nur, wie diebisch Lamar in die Kamera grinst, als er „sag mal, Drake, ich hörte, du magst sie jung“ rappt. Und am allerbesten ist ein Schwenk auf die dazu feiernde Serena Williams. Die Tennis-Gigantin soll zu Drakes besten Zeiten seine On-Off-Freundin gewesen sein, jetzt tanzt sie den Crip-Walk auf seinem Grab.
Missbraucht der angeblich doch so introspektive Rapper die Halbzeitshow für eine Privatfehde? Oder führt er gerade Amerika vor, dass er exakt so kontrovers ist, wie es ihm gefällt? Auf seine perverse Weise ist dieser Machtbeweis so politisch wie das zum Black-Lives-Matter-Protest gebeugte Knie des Quarterbacks Colin Kaepernick.
Am 2. Juli 2025 treten Kendrick Lamar und SZA im Rahmen ihrer „Grand National Tour“ im Rhein-Energie-Stadion auf. Am 4. Juli kommen sie nach Frankfurt. Der Vorverkauf für Köln beginnt ab dem 14. Februar, 9 Uhr Ticket-Hotline: 01806 – 57 00 70, weitere Informationen finden Sie hier.