Virtuos grooven Jazz-Pianist Martin Sasse und sein Trio durch Weihnachtslieder – viel zu schade als Hintergrundmusik für die Feiertage.
„Swinging Christmas“Weihnachtslieder wie eine glanzvolle Schlittenfahrt
Martin Sasse ist bekennender Weihnachtsfan. Der Kölner Jazz-Pianist schätzt die festliche Atmosphäre, mag die Adventszeit, vor allem aber liebt er Weihnachtslieder. Kirchenklassiker wie „Engel auf dem Felde“ oder „Heiligste Nacht“ zählen seit Kindertagen zu seinen persönlichen Favoriten. Während viele vertraute Melodien heute vorrangig für gefühlstrunken-kitschige Werbespots oder zur Beschallung von Weihnachtsmärkten herhalten müssen, startet Sasse eine musikalische Gegenrede. Leidenschaftlich widmen sich er und sein Trio auf ihrem neuen Album sowohl amerikanischen Christmas Songs als auch dem deutschen Erbe weihnachtlicher Volks- und Kirchenlieder.
Mit „Swinging Christmas“ macht Martin Sasse das weihnachtliche Lieder-Repertoire dem Jazz zugänglich. So elegant wie intelligent flanieren er, Bassist Martin Gjakonovski und Schlagzeuger Joost van Schaik durch Stimmungen, Sounds und Situationen, lassen sich mit spür- und hörbarer Freude von den vertrauten Melodien leiten, zelebrieren sie mal mit ansteckender Fröhlichkeit, mal mit erhabener Festlichkeit. Dank feinfühliger Arrangements und temperamentvoll groovender Improvisationen erstrahlen die immer noch anrührenden Weihnachtslieder in ihrer natürlichen Schönheit.
Sternstunde zeitgenössischer Trio-Jazzkunst
Nach dem ebenfalls in diesem Jahr veröffentlichten Album „Longing“ glückt dem Trio damit eine weitere Sternstunde zeitgenössischer Trio-Jazzkunst. „Swinging Christmas“ lädt ein zur munteren Klangreise fernab smoother Easy-Listening-Pfade. Als jazzige Replik aufs überstrapazierte „Driving Home for Christmas“ geht es hier im Schlitten durch pulvrigen Neuschnee, wobei die Fahrt nicht erst im finalen „Sleigh Ride“ dank der heiter swingenden Blockflöte Olaf Weidens wahre Luftsprünge vollzieht.
Seit mehr als 25 Jahren besteht das Martin Sasse Trio, die aktuelle Besetzung Sasse, Gjakonovski und van Schaik spielt ebenfalls lange zusammen. Eindrucksvoll zeigte „Longing“, wie homogen das Trio spielt, wie vertrauensvoll und freundschaftlich die drei Musiker miteinander umgehen. Alles groovt und swingt so frisch, als hätten sie eben erst ihre Freude an melodischen und rhythmischen Ausdrucksformen, Variationen, Stimmungen, Atmosphären und Emotionen entdeckt, wenn sie mit stupender Leichtigkeit Melodien und Harmonien zum Swingen bringen.
„Swinging Christmas“ führt durch zwei musikalische Welten
Als Pianist, Komponist und fabulierfreudiger Klang-Romancier erzählt Sasse einprägsam seine Geschichten, wobei die flotte Reise auf „Swinging Christmas“ nunmehr durch gleich zwei Musikwelten führt. Einesteils geben die Stücke aus dem amerikanischen Christmas Songbook den Trio-Mitgliedern reichlich Gelegenheit, solistisch zu glänzen. So wird die Melodie in „Santa Claus is Coming to Town“ wie beim Schlittschuhlaufen mit verspielten Pirouetten angereichert, das gemütliche „Frosty, the Snowman“ rollt mit moderaten Soul-Blues-Akzenten daher, während Sasses hell perlende Klavierläufe Sternenglanz evozieren. „White Christmas“ und „Rudolph the Red-Nosed Reindeer“ erweisen Vince Guaraldi und dessen Album „A Charlie Brown Christmas“ (1965) fröhlich Reverenz, entsprechend fehlt auch nicht Guaraldis Komposition „Christmas Time Is Here”.
Spirituell und zugleich von klassischer Eleganz
Wie einst Guaraldi spielt das Sasse Trio ebenfalls „O Tannenbaum“ und schlägt damit den Bogen zum zweiten Standbein des Albums. Auch die folkloristisch und religiös konnotierten Weihnachtslieder deutscher Provenienz grooven, etwa das temperamentvolle „Ihr Kinderlein kommet“, zugleich aber fügt Sasse dem Album eine tiefere Ebene hinzu: „Engel auf den Feldern singend“ fasziniert dank seiner musikalisch delikaten Ausgestaltung, die der „frohen Kunde“ klanglich nahekommt. „Zu Bethlehem geboren“ verdichtet sich zur betörenden Jazzballade, spirituell und zugleich von klassischer Eleganz. Nicht minder festlich das katholische Kirchenlied „Heiligste Nacht“, wobei Sasse die Liedzeilen „Finsternis weichet, es strahlet hienieden / lieblich und prächtig vom Himmel ein Licht“ zart, ja zärtlich ins Musikalische transformiert. Will man überhaupt ein Highlight herausheben, dann wäre es Sasses Annäherung an das nahezu 500 Jahre alte Kirchenlied „Es ist ein Ros entsprungen“. Liebe- und respektvoll löst er die Melodie auf und fügt sie neu zusammen, so, als staune er selbst am meisten über ihre Schönheit.
Nach „Longing“ ist „Swinging Christmas“ ein weiterer Glanzpunkt in Sasses Schaffen, und tatsächlich kann man die melodische Schönheit und die groovende Ausdrucksfreude des Albums nicht nur zur Weihnachtszeit genießen – so grün sind deine Blätter, und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Martin Sasse Trio: Swinging Christmas & Longing. Beide Alben sind bei Jazz Jazz Records erschienen.