Synagoge StommelnWie die Kunst vom Holocaust erzählt
Köln. – Über sechs Jahre hat Alfredo Jaar nach einem Weg gesucht, an den Völkermord in Ruanda zu erinnern, ohne sich deswegen schämen zu müssen. Es war wie eine Wette mit sich selbst, bei der man nur verlieren kann. Denn wie wird man dem Tod und dem Leid von einer Million Menschen gerecht, die binnen dreier Monate massakriert wurden?
Selbstredend musste Jaar dabei nicht bei Null anfangen; er konnte sich einfach anschauen, welche Lösungen vor ihm Generationen an Künstlern bei der Darstellung des Holocaust gefunden haben: Man bildet nicht ab, was geschah, und beschwört stattdessen den Verlust. Mit solchen Leerformen macht man selten etwas falsch, allerdings ist die Frage „Richtig oder falsch?“ keine, die zwangsläufig zu guter Kunst führt.
Jaars Lösung war dann nicht nur gut, sondern brillant. Er breitete eine Million leere Fotodias auf einem Leuchttisch aus, eine Bildhülle für jedes Opfer, und beklagte ihre Abwesenheit im Medium des Lichts. Statt eine Million Gesichter zu zeigen, eine Zahl, die unsere Vorstellungs- und Wahrnehmungsfähigkeit gleichermaßen überfordert, zeigt er, woraus Fotografien gemacht sind: aus Licht. Die Spuren der Erinnerung werden ausgelöscht und zugleich bewahrt, die Opfer behalten ihre Individualität und gehen gemeinsam in ein großes Ganzes ein.
All diejenigen, die nicht mehr da sind, kehren zurück
Eine Variante dieser beeindruckenden Lichtskulptur präsentiert Jaar nun in der Synagoge Stommeln. In der Mitte des ehemaligen Gebetsraums steht ein Leuchttisch, auf dem, Platte an Platte, ein zweiter Leuchttisch ruht. Aus dem Spalt zwischen den Tischen dringt helles weißes Licht, das die gesamte Synagoge erfüllt, sobald der obere, an der Decke befestigte Tisch langsam nach oben gezogen wird. Für ungefähr eine Minute schwebt der obere Leuchtkasten etwa zwei Meter über dem unteren, dann wird er wieder abgesenkt; nach fünf Minuten beginnt die Prozedur erneut und das Licht flutet abermals den Raum.
Jaar nennt dieses eigens auf den Grundriss der Synagoge zugeschnittene Werk „Lament of the Images“, also „Klage der Bilder“. Aber was beklagen sie? Dass ihnen im digitalen Zeitalter nicht mehr zu trauen ist, vielleicht, und dass sie nicht mehr in der Lage sind, den Schrecken der Geschichte abzubilden. Das waren sie vermutlich nie, aber im Zeitalter der Massenvernichtung wird es ihnen (und uns) besonders schmerzlich bewusst.
Anders als bei seinem Ruanda-Werk fehlen die Fotografien, die für gewöhnlich auf dem Leuchttisch betrachtet werden, ganz. Das hat selbstredend eine rein praktische Notwendigkeit, aber es führt die Idee der Abwesenheit im Licht zugleich an ihren Endpunkt. Wenn die Bilder nicht mehr zu uns sprechen, wie sie sollten, bleibt von ihnen nur noch die Spur des Lichts. Das heißt aber auch: Sobald das weiße Strahlen die Synagoge erfüllt, kehren all diejenigen, die nicht mehr da sind, zu uns zurück.
In gewisser Weise ist Jaars Lichtskulptur ein idealtypisches Werk für die Synagoge Stommeln. Seit über 25 Jahren lassen sich hier Künstler auf die Besonderheit des Ortes ein und suchen nach einem angemessenen Weg, an den Holocaust zu erinnern. Die Gemeinde Pulheim kam auf diese Weise zu einer Künstlerliste, wie sie sonst nur Metropolmuseen vorweisen können, und zu einer Werkreihe jenseits von „Richtig oder falsch?“. Mischa Kuball machte das Gotteshaus mit gleißendem Licht zu einem unübersehbaren, aber auch unbetretbaren Ort, Santiago Sierra leitete Autoabgase in den Gebetsraum und Gregor Schneider ließ das Gebäude unter der Larve eines gewöhnlichen Einfamilienhauses verschwinden. Die „Klage der Bilder“ fügt dieser Reihe einen weiteren Höhepunkt hinzu.
„Lament of the Images“, Synagoge Stommeln, Hauptstr. 85a, Pulheim, Fr. 15-18 Uhr, Sa.-So. 13-18 Uhr, bis 30. November.