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Tanz Köln mit israelischem StückEine Verbeugung vor Israels Tanzkunst

Lesezeit 3 Minuten
Last Work
vom Hessischen Staatsballett
Choreografie: Ohad Naharin
 
Choreografie: Ohad Naharin
Licht: Avi Yona Bueno
Soundtrack: Maxim Waratt
Originalmusik: Grischa Lichtenberger
Bühne: Zohar Shoef
Kostüme: Eri Nakamura
 
Foto: Andreas Etter

Naharins „Last Work“, aufgeführt vom Hessischen Staatsballett

Wegen des Angriffs der Hamas sagte die Batsheva Dance Company um den israelischen Choreografen Ohad Naharin ihr Tanzgastspiel im Schauspiel Köln ab. Stattdessen führte das Hessische Staatsballett eins von Naharins Stücken auf: „Last Work“.

Es muss einer der schlimmsten Premierenabende für Ohad Naharin gewesen sein: Am 7. Oktober ist der Choreograf und langjährige Leiter der Batsheva Dance Company nicht in Israel. Er ist in Darmstadt, wo er mit dem Hessischen Staatsballett sein Stück „Last Work“ einstudiert hat. Nach der Premiere reist er seine Heimat, die seit dem brutalen Überfall der Terrororganisation Hamas im Schockzustand ist. Die in Tel Aviv ansässige Batsheva Dance Company sagt ihre Tourneen ab, auch das Gastspiel bei Tanz Köln im Depot 1. Kuratorin Hanna Koller fällt daraufhin eine kluge Entscheidung: Sie lädt das Hessische Staatsballett mit Naharins „Last Work“ nach Köln ein. Ein Gastspiel, das diesmal mehr als eine Verbeugung vor der großen Tanzkunst Israels ist. Es ist eine Geste der Solidarität.

Ohad Naharins Stück „Last Work“ im Schauspiel Köln

Denn man wurde den Eindruck nicht los: Auch die 18 Tänzerinnen und Tänzer der Hessen-Kompanie hat dieses Gefühl befeuert, so heftig, so aufgewühlt tanzten sie bei ihrem Auftritt in Köln. Wutschmerz war es schon immer, was Ohad Naharins Ästhetik antrieb und auch „Last Work“ wie ein Stück der Stunde aussehen lässt. Tatsächlich ist es aber bereits 2018 entstanden, und es ist auch nicht - wie der Titel zu suggerieren scheint - Naharins ‚letztes Stück‘. Trotzdem konnte vermutlich niemand im Publikum beim Anblick dieser Choreografie die Ereignisse der letzten Wochen aus dem Kopf bekommen.

Eine Frau läuft das ganze Stück hindurch im Bühnenhintergrund auf der Stelle. Für die tapfere Konditionsleistung ist sie auffallend unpassend gekleidet: Sie trägt ein langes Kleid im Blauton des Davidsterns auf Israels Flagge. Sie läuft und läuft, doch es gibt keinen Zielpunkt, kein Ankommen und Ausruhen für sie - wie auch nicht für ihr Volk? Ganz am Ende wird ihr jemand eine weiße Fahne in die Hände drücken. Nun scheint sie eine Olympionikin des Friedens zu sein. Doch auch das wird wohl ein ewiger Lauf werden, eine ‚Arbeit‘ ohne Ende, eine „everlasting work“?

Empathie mit den Opfern des Hamas-Terrors

Wie alle großen Choreografen verweigert Ohad Naharin jede Eindeutigkeit in seinen Stücken. So wirkt auch „Last Work“ am ehesten wie die Diagnose eines Seelenzustandes, wobei widersprüchliche Impulse die Menschen bisweilen zu zerreißen scheinen. Tänzerinnen und Tänzer balancieren auf grazilen Zehenspitzen, doch sie stampfen dabei als trügen sie Militärstiefel. Männer in schwarzen mönchsartigen Kutten, Priester oder Richter möchte man meinen, aus denen so plötzlich Standardtanz-Schrittchen hervorbrechen, als könnten sie sich einfach nicht länger beherrschen. Frauen, die sich selbst kasteien, die Köpfe senken oder die Hände in Büßerhaltung vor dem Schoß falten, während durch ihre biegsamen Wirbelsäulen doch Wellen der erotischen Erregung zu laufen scheinen. Und irgendwann pulst in den minimalistischen Soundflächen von Komponist Grischa Lichtenberger ein aggressiver Beat, der alle in einen wilden Rave jagt. Ekstase und Verzweiflung.

„Last Work“ ist ein Geniestreich und bilanziert tatsächlich altmeisterlich das einzigartige choreografische Talent von Ohad Naharin. Und die Kompanie aus Hessen verblüfft: Nicht eine Sekunde, in der die Spannung nachlässt. Jede Geste ein Gedanke. Und in allem eine Verbeugung vor dem Original, der Batsheva Dance Company. Auch so kann man Empathie mit einer vom Terror erschütterten Region zeigen.

Nächstes Gastspiel bei Tanz Köln: Sao Paulo Dance Company mit Choreografien von Goyo Montero, Leilane Teles und Juliano Nunes am 09. und 10.11.2023 im Staatenhaus