Tanz Köln zeigte die Performance „One more Thing“ des israelischen Choreografen Adi Boutrous. Darin wird der Körper der Tänzer zur Metapher.
Tanz KölnEin utopischer Gegenentwurf zur Realität
Vier Männer, sie halten sich an den Händen. Was sind sie füreinander? Freunde, Liebhaber, Brüder? Oder ist ihr Geschlecht vielleicht ganz egal und sie sind einfach eine menschliche Gemeinschaft? Choreograf Adi Boutrous wird in seinem Stück „One more thing“ diese Fragen nicht klären, sie aber doch immerzu umspielen.
Mit unglaublicher Intensität stürzen sich die vier Tänzer in die physische Interaktion. Sie stapeln die Leiber zu einem Haufen, eine identitätslose Muskel-Knochenmasse. In akrobatischen Pas de Deux' tarieren sie ihre Körper so präzise aus, dass die Balancen immer bestehen bleiben. Stirn-an-Stirn gelehnt halten sie inne, blicken sich für einen Moment tief in die Augen, erkennen im anderen die individuelle Person.
Performance des „Tanz Köln“ befreit den Körper von Zuschreibungen
Dabei gibt es keine Tabus. Die Männer berühren einander als wären ihre Körper befreit von allen Zuschreibungen. Als wären sie nicht unterteilt in Intimzonen, Vorder- und Rückseite, oben und unten, verletzliche und robuste Partien. Das ist völlige Gleichheit schon im Körperbild und setzt sich fort in den Umgang miteinander, der die Grenze zu dem, was man „den anderen“ nennt, immer wieder aufzuheben scheint.
Adi Boutrous', Israeli mit arabischen Wurzeln, ist hierzulande noch wenig bekannt, eine Entdeckung im Programm der Big Names von „Tanz Köln“. Seit gut zehn Jahren arbeitet er als Choreograf und setzt sich stilistisch ab von der in Israel übermächtigen Ästhetik von Ohad Naharin und der Batsheva Dance Company. Keine Groteske, keine brodelnde Wut, sondern Softness und Sensiblität, trotz einer von Urban Dance und Akrobatik geprägten Technik.
Choreograf Adi Boutros sieht den Körper als politische Metapher
So befragt Adi Boutrous den Körper als Material und zugleich politische Metapher und inszeniert eine Männlichkeit, bei der mal nicht reflexhaft das Adjektiv „toxisch“ dazu gedacht werden muss. Das Musikmedley, das folkloristische Gesänge, fiepende Elektronik und amerikanische Popsongs der 1930er Jahre mischt, mag gewöhnungsbedürftig sein, das Timing des Abends etwas ereignislos.
Dafür verblüffen Adi Boutrous und seine drei Tänzer mit ihren zahllosen Varianten zu kollidieren, sich zu verwringen, anzuheben, bis zur Erschöpfung alles voneinander zu fordern, aber immer mit Respekt und Wärme. Wunderbar sinnlicher und versöhnlicher Tanz, wie ein utopischer Gegenentwurf zur aktuellen Realität - in Israel und anderswo.
Nächste Veranstaltungen bei Tanz Köln am 11.05.
„Body without Organs“ Uraufführung des Ballet of Difference und Richard Siegal im Depot 2
„Corpus Bach“ Gastspiel von Introdans und Sidi Larbi Cherkaoui im Staatenhaus.