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Tanz KölnZauberhafte Hommage an Marokko

Lesezeit 3 Minuten
Szene aus dem Tanzgastspiel „Ihsane“ in Köln

Szene aus dem Tanzgastspiel „Ihsane“ in Köln

Deutschlandpremiere im Staatenhaus: Tanz Köln mit „Ihsane“ von Sidi Larbi Cherkaoui.

Im vergangenen Jahr dachte man noch: Es soll auch für die Tanzsparte eine ‚große‘ Wiedereröffnung der Kölner Opernbühne werden, eine opulente Choreografie. Also beteiligte sich „Tanz Köln“ an einer Kooperation für das neue Stück von Star-Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui, Direktor des Grand Théâtre de Geneve und der freien Kompanie „Eastman“. Und es wurde ‚groß‘: eine Produktion für 19 Tänzerinnen und Tänzer, ein aufwändiges Bühnenbild (Amine Amharech) mit einem zweiten Bühnenaufbau für vier live spielende Musiker, immerzu wechselnde Kostüme (Amine Bendriouich). Nur wurde es dann eben nichts mit dem Neubeginn in einer endlich sanierten Oper, und Cherkaoui musste sein Stück nun gewissermaßen etwas ‚schrumpfen‘ für die Deutschlandpremiere im Staatenhaus.

Zu spüren ist davon nichts. „Ihsane“ ist eine zauberhafte Hommage an die Heimat von Sidi Larbi Cherkaouis Vater, Marokko. Genauer: einem Marokko wie Cherkaoui es wahrgenommen und sich angeeignet hat. Denn das Aufsaugen, Adaptieren, Anverwandeln anderer Ästhetiken und Kulturen ist seit jeher das größte Talent des flämisch-marokkanischen Choreografen. Schon als er noch selbst auf der Bühne stand, konnte keiner wie er die Stile anderer Tanzkünstler imitieren, ohne aber dabei seinen eigenen Standpunkt zu verlieren: Akram Khans Khatak, Maria Pagès Flamenco, Kung-Fu von Shaolin-Mönchen, Musikvideos für Beyoncé und zahllose Styles von Stars aus dem Urban Dance. Der darf nie in seinen Stücken fehlen, bedeutete er doch für den queeren, veganen Cherkaoui Selbstfindung und Emanzipation vom konservativen Islam seines Vaters, mit dem er sich nun noch einmal auseinandersetzen wollte.

Sperriger Kontrast entpuppt sich als harmonische Fusion

So reagiert in einer der ersten Szenen von „Ihsane“ ein junger Tänzer auf den arabischen traditionellen Singsang eines älteren Mannes mit den gelenke-verrenkenden Moves des Breakings, und wie immer bei Cherkaoui: Ein vermeintlich sperriger Kontrast entpuppt sich als harmonische Fusion. Gleich zu Beginn wird eine Gruppe Jugendlicher in der arabischen Sprache unterrichtet, mit Einsatz eines Rohrstocks für einen schlechten Schüler. Überhaupt lauert die Gewalt wie eine schmerzhafte Störung in der sanften Schönheit des maghrebinisch anmutenden Set-Designs, mit seiner schnörkeligen Ornamentik, dem warmen Licht, den weichen Teppichen.

Eben der versagende Schüler wird kurz darauf in einer pantomimischen Choreografie von einem anderen Tänzer brutalst verprügelt. Denn „Ihsane“ hieß ein junger Schwuler, der 2012 in Lüttich nach einem Club-Besuch von einem homophoben Mob zu Tode geprügelt wurde. 50 Minuten dauerte sein Martyrium. Am Ende wird der ‚Schüler‘, in einem kleinen goldenen Mausoleum beerdigt. Es mag ein Denkmal für den verstorbenen Vater sein, für den ermordeten Ihsane, aber eben auch für sein eigenes jüngeres, gegen den Vater kämpfendes Ich, mit dem Cherkaoui in diesem Stück seinen Frieden macht.

Ein ungewöhnlich persönliches Stück für Cherkaoui. Choreografisch mag es mit redundant groovenden Abläufen zwar gelegentlich in allzu wohliger Trance versinken. Aber im Zusammenspiel mit der betörend melancholischen Musik mit Viola d'amore, Oud, Piano und Percussion, Videoprojektionen und der islamisch anmutenden Bühnenarchitektur gelingt doch ein berührendes Memento, das getragen ist vom Spirit der liebevollen Versöhnung - wofür unsere Welt einen wie Sidi Larbi Cherkaoui doch so dringend braucht.

Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 11./12.02.2025 „C la Vie“ von Serge Aimé Coulibaly im Depot 1