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Taschen-Band über Shigeru BanEin Architekt für das Leben auf unsicherem Grund

Lesezeit 5 Minuten
Ein grüner Busch steht in einer Halle unter einem geschwungenen Holzdach.

Shigeru Bans Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover

Im Kölner Taschen-Verlag ist ein Prachtband über den japanischen Architekten Shigeru Ban erschienen. So opulent kann billig sein.

„Ich hasse es, Dinge wegzuwerfen“, sagt Shigeru Ban, der große Vordenker und Baumeister der recycelten Architekturmoderne. Während andere Stararchitekten von Nachhaltigkeit nur reden, scheint beim japanischen Pritzker-Preisträger tatsächlich nichts wegzukommen. Er baut gerne im alten, von vielen ungeliebten Bauhaus-Stil, mit großen Flächen, Fertigbauteilen und nüchternen Formen. Oft wirken seine Gebäude nicht sonderlich originell, sogar ein wenig billig. Aber das ist gerade die Pointe: Bei Ban gehört dem Billigen die Zukunft, insbesondere, wenn es aus wiederverwerteter Pappe ist.

Aus dem großen, nicht wirklich billigen Bildband, mit dem der Kölner Taschen-Verlag den Architekten jetzt feiert, kullern einem die Papprollen nur so entgegen. Sie sind für Ban, was die Säule nicht einmal für die antiken Tempelbaumeister war: tragendes Element einer Alltags- und Lebensphilosophie. Als er sich als Student bei einer Kunsthochschule bewarb, erzählt er dem Taschen-Autor Philip Jodidio, sollte er einen meterhohen Turm aus Pappe bauen, ohne Material zu verschwenden. Das habe ihm gefallen: Strikte Regeln und Wegwerfstoffe wie eine Kostbarkeit behandeln. Jahre später habe sein damaliger Professor etwas verwundert zu ihm gesagt: „Du machst ja immer noch dasselbe.“

Warum auch nicht? „Das japanische Haus ist das modernste und beste, das ich kenne“, schrieb der deutsche Bauhaus-Gründer Walter Gropius, als er 1954 durch Bans Heimat reiste. An dieser Einschätzung hat sich bis heute kaum etwas geändert, wie man an der internationalen Preisflut für japanische Architekten sehen kann. Shigeru Ban steht dabei wie kein zweiter für den Wettbewerbsvorteil der japanischen Architektur: Bauen auf unsicherem Grund.

Shigeru Ban greift auf Materialien zurück, mit denen die japanische Baukunst der Erdbebengefahr begegnete

Ban greift in seinen Entwürfen auf den Minimalismus und die leichten Materialien zurück, mit denen die traditionelle japanische Baukunst der steten Gefahr von Erdbeben begegnete. Sein „Nacktes Haus“ in Tokio besteht aus einem mit Bienenwabenkartons ummantelten Holzgerüst, einer halbtransparenten Kunststoffhülle - und aus wenig mehr. Die Küchenzeile lässt sich durch einen weißen Vorhang verhüllen, private Räume werden durch große Rollcontainer ersetzt. Es ist eine diskrete Architektur, die einen auch im Wortsinn nicht erschlägt.

Bei einigen von Shigeru Bans Wohnhäusern erscheinen die Grenzen zur gebauten Studie fließend – insbesondere für westliche Betrachter. In seinem vielleicht berühmtesten Gebäude, dem Curtain Wall House in Tokio, ersetzt Ban die vorgehängten Fassadenteile des modernen Bauens buchstäblich durch eine Vorhangarchitektur (beinahe) ohne Wände. Der Bauherr pflege einen „offenen urbanen Stil“, so Ban, den er seit 1995 hinter weißen Kunststoffvorhängen ausleben kann, die eine ums halbe Haus laufende, weit auskragende Terrasse einfassen, aber nicht gegen die Außenwelt abschirmen. Jeder stärkere Windstoß gibt den Blick in die nahezu leeren, von Glaswänden geschützten Räume frei.

Ein Haus mit Vorhängen statt Wänden.

Das „Courtain Wall House“ von Shigeru Ban in Tokio

Gezähmte Varianten dieses Präsentierteller-Prinzips finden sich in vielen Bauten Shigeru Bans, mitunter sogar in Wohnkomplexen. Beim S-förmigen Shakujii-Wohnpark gibt es ebenfalls deckenhohe und wandbreite Fenster, aber dank einer geschickten Staffelung der Fassade bieten die Apartments deutlich mehr Privatsphäre. Eine Bunkermentalität wird man Bans Bauten hingegen niemals nachsagen können. Selbst ein burgartig verschachtelter Museumsbau wie das taiwanesische Tainan Art Museum wird immerhin durch ein transparentes Dach gekrönt.

Den Klimakiller Beton reduziert Ban seit jeher auf ein Mindestmaß. Seine liebsten Baustoffe sind Stahl, Glas, Holz und die Pappröhren, die längst sein Markenzeichen geworden sind. 1989 entwarf er eine temporäre Festivalhalle in Odawara, weil dem städtischen Bauherrn ein Holzbau zu teuer geworden war. Als Alternative setzte Ban Pappröhren als „höher entwickelte Form von Holz“ ein, lediglich das Dach wurde durch eine Stahlkonstruktion gehalten. Zwei Jahre später entwarf Ban eine Bibliothek aus Papier, die Pappröhren gehören hier zu den konstruktiven Elementen des Gebäudes; Fertigregale helfen, die Lasten zu tragen.

Berühmt ist diese Architektur nicht zuletzt durch das soziale Engagement, das Shigeru Ban mit ihr verbindet

Berühmt und vorbildlich ist diese Baukunst nicht zuletzt durch das soziale Engagement, das Shigeru Ban mit ihr verbindet. 1994 besuchte er Flüchtlingslager im vom Bürgerkrieg geschundenen Ruanda und war über die desolaten Behausungen so bestürzt, dass er begann, nach besseren Lösungen zu suchen. Für die Vereinten Nationen entwarf Ban Hütten aus Kartonröhren, nach dem Erbeben im japanischen Kobe setzte er die von ihm konstruierten Notunterkünfte auf Fundamente aus Bierkästen - sie sollten drei Jahre halten und standen ein Jahrzehnt.

Es ist erstaunlich, wie souverän Shigeru Ban aus diesem Erste-Hilfe-Prinzip eine ebenso solide wie elegante Architektur entwickelt, und wie sehr Bans Bauweise unserem Gefühl, in einer Zeit globaler Katastrophen zu leben, entspricht. Im metaphorischen Sinn scheint der Boden auf der ganzen Welt zu schwanken. Auch in seinen konventionelleren Entwürfen für Museen, Wohnhäuser und Geschäfte bleibt Ban seiner Liebe zum Auf-Zeit-Gebauten treu. „Ich bin nicht gegen Monumentalität“, so Ban, „aber ich denke, dass wir der Allgemeinheit besser dienen können.“

Zu den entschiedensten Verfechtern der Monumentalität gehört hingegen der Kölner Verleger Benedikt Taschen, weshalb auch der dreisprachige, knapp sieben Kilogramm schwere Taschen-Band zum Werk Shigeru Bans weniger ein Lese- als ein Bilder- und Gewichthebebuch geworden ist. Die Einleitung lohnt zwar allemal die Lektüre, und die kurz gefassten Erläuterungen zu den einzelnen Bauten sind durchweg nützlich. Aber der Fokus liegt doch ziemlich eindeutig auf der fotografischen Optik, die dermaßen üppig ausfällt, dass der Allgemeinheit der Architekturliebhaber bestens gedient ist. Auch das ist ein Ausweis von Qualität: Shigeru Bans Billigbauten bestehen sogar im Hochglanzformat.


„Shigeru Ban. Complete Works 1985–Today“, Taschen Verlag, 696 Seiten, dreisprachig, knapp sieben Kilogramm, 200 Euro.