Tata Ronkholz wurde nach ihrem Tod vergessen. Jetzt ist in Köln die erste Retrospektive der Trinkhallen-Fotografin zu sehen.
Tata Ronkholz in KölnDas Büdchen als gute Stube der Selbstausbeutung

Tata Ronkholz: Trinkhalle, Düsseldorf, Sankt-Franziskus-Straße 107 (1977)
Copyright: VAN HAM Art Estate: Tata Ronkholz, 2025
Aus heutiger Sicht mutet es kurios an, dass jemand, der schmucklose Fabriktore, banale Kioskbuden und schmutzige Hafengebäude in Serie fotografiert, nicht zu den Stars der Kunstszene gehört. Aber als Tata Ronkholz im Jahr 1985 beschloss, die Architekturkamera in den Schrank zu stellen und sich einen Brotberuf zu suchen, waren die Zeiten noch andere. Der Markt für Fotografie beschränkte sich auf wenige Sammler und Galerien, und auch die Kunststiftungen, bei denen Ronkholz mit ihren Portfolios hausieren ging, hatten andere Interessen. Den Boom der Becher-Schule erlebte Ronkholz nicht mehr. Sie starb 1997 im Alter von 56 Jahren.
Mittlerweile gehört die rheinische Reihenfotografie nach Bernd und Hilla Becher zu den modernen Klassikern, sei es in Form konfuser Industrieanlagen, öder Straßenzüge oder steriler Studentenporträts. Ins Weltbild der Düsseldorfer Fotografenschule passen selbstredend auch die in Hunderten zählenden Aufnahmen von Kiosken, Schnellimbissen und Tante-Emma-Läden, die Ronkholz zwischen 1977 und 1985 vor allem in Köln, Düsseldorf und im Ruhrgebiet aufnahm hat. Aber es dauerte beinahe 30 Jahre, bis diese sympathische Außenseiterposition wiederentdeckt wurde.
Bis heute ist Köln das Zentrum von Ronkholz' später Renaissance
Bis heute ist Köln, Ronkholz‘ Wahlheimat, das Zentrum ihrer späten Renaissance, vor allem, nachdem 2011 das Auktionshaus Van Ham die Vermarktung ihres Nachlasses übernommen hatte. Van Ham ist daher auch der größte Leihgeber der ersten Ronkholz-Retrospektive, die diesen Titel verdient - eine frühere Werkschau in Duisburg bediente unter dem Titel „Trinkhallen und mehr“ vor allem das zentrale Verkaufsargument der Künstlerin. In der Photographischen Sammlung gibt es nun erstmals die ganze Ronkholz zu sehen, inklusive einer Weltpremiere: gemalte Zebrastreifenmuster auf Kirchen in Italien und Frankreich.
Vermutlich entstanden sie als Mitbringsel zweier Urlaubsreisen, aber man erkennt das Interesse (und die beinahe kindliche Freude) an der Wiederkehr architektonischer Formen. Ronkolz fasst die Ausschnitte möglichst eng, um das grafische Element im Mauerwerk zu betonen. Allerdings schummelte sie um 1975 noch und schmuggelte gestreifte Licht- und Schattenspiele in die Auswahl hinein.

Tata Ronkholz: Firma ROW, Hafen, Tor Nr. 0930, Wesseling-Godorf (1984)
Copyright: VAN HAM Art Estate: Tata Ronkholz, 2025
An den Anfang der Ausstellung haben die Kuratorinnen die Serie der Industrietore gestellt – um zu den gefühligen Büdchen zu gelangen, muss man durch die Gitter der Arbeitswelt hindurch. Auch an diesen interessiert Ronkholz vor allem der Wildwuchs der Formen, denn selbst bei einem schnöden Produkt wie einem Firmenzaun gleicht kein Exemplar dem anderen. Manche sind offensichtlich individuell gestaltet (repräsentativ wäre zu viel gesagt), andere werden durch alltägliche Improvisationen wie Warnschilder, Stacheldraht oder Löcher im Maschendraht unverwechselbar.
Im Prinzip könnte man sich vorstellen, wie sich die Arbeiter nach Dienstschluss ihr Bier oder eine Packung Zigaretten bei einem der vielen Kioske oder Schnellimbisse holen. Aber Menschen kommen bei Ronkholz weder bei den „Industrietoren“ noch in den „Trinkhallen“ vor – nur einmal lächelt ein Büdchenbesitzer zum Fenster heraus, vielleicht als Gegenprobe zu den Illustriertengesichtern, mit denen er seine Auslage tapeziert. Heute sind die Schaufenster dieser Kleinstbetriebe längst historisch und bieten vor allem Erinnerungswerte feil.

Tata Ronkholz: Palazzo dei Vescovi (Museo dell'Antico), Pistoia, 1975
Copyright: VAN HAM Art Estate: Tata Ronkholz, 2025
Ronkholz nahm abermals die Bauformen ins Visier, die von umgebauten Wohnzimmern bis zu Baracken reichen, die unter dem Gewicht ihrer Reklame ächzen. Gardinen oder eine persönliche Gestaltungsnote zeigen, dass die Betreiber im eigenen Büdchen einen Großteil ihres Lebens verbringen – die Trinkhalle als gute Stube der Selbstausbeutung.
In den Bildern aus dem Düsseldorfer Rheinhafen fehlt die serielle Geschlossenheit der Motive – in dieser Gemeinschaftsproduktion mit Thomas Struth ging es den beiden Becher-Schülern darum, ein riesiges Industrieareal vor der beschlossenen Um- und Neunutzung zu bewahren - jedenfalls im Medium der Fotografie. Auf den meisten Aufnahmen wirken die Bauten wie Teile einer Kulissenstadt, die darauf wartet, für Historienfilme bevölkert zu werden – oder wie aufgegebene Orte. Diese haben am Kunstmarkt ebenfalls an Nostalgiewert gewonnen.
Als Designerin entwarf Ronkholz minimalistische Wohnlandschaften
Außer den Fotoserien bietet die Ausstellung etliches an Materialien, darunter einige Möbelstücke, die Tata Ronkholz in ihrem ersten Leben als Designerin entwarf. 1961 hatte sie ein Studium an der Krefelder Werkkunstschule begonnen, zwischen 1966 und 1977 arbeitete sie als freiberufliche Gestalterin und schuf mit dem Lichtkünstler Adolf Luther eine „sphärische Leuchte“, dazu eine gelenkige Rohrlampe und minimalistische Wohnlandschaften für den Hersteller habit. Letztere sind genau wie ihre Faltschränke nur als Abbildungen zu sehen.
Als Fotografin widmet sich Ronkholz nicht der guten neuen Form, sondern, wie ihre Lehrer Bernd und Hilla Becher, den Relikten einer alten, dem scheinbar sicheren Untergang geweihten Welt. Dabei haben sich ihre Motive als erstaunlich zäh erwiesen. Industrietore sehen heute noch genauso aus wie vor 40 Jahren (Stahl rostet, aber vergeht nicht), und auch das Büdchen an der Ecke hat als Typus alle Abschiedsgesänge überlebt. Damals wie heute ist die Trinkhalle allerdings weniger die Heimat des kleinen Glücks als ein Mahnmal gescheiterter Lebensentwürfe. Tata Ronkholz wusste, wie man sich mit ihnen arrangiert.
„Tata Ronkholz – Gestaltete Welt. Eine Retrospektive“, Photographische Sammlung/ SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Köln, Do.-Di. 14-19 Uhr, 14. März bis 13. Juli 2025. Eröffnung: 13. März, 19 Uhr. Der Katalog kostet 49,80 Euro.