„Team Wallraff“ bei RTLKatastrophale Zustände in Behindertenheimen
Köln – Es ist eine Frage, die viele Menschen beschäftigt. Wie wird eigentlich mit Menschen umgegangen, die auf Hilfe angewiesen sind?
Dafür hat sich das Team der RTL-Sendung „Team Wallraff“ ein Jahr lang in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen eingeschleust und dabei erschreckendes Material mitgebracht.
Es sind schockierende Bilder, die Enthüllungsjournalist Günter Wallraff und sein Team zeigen. Bilder, die niemanden kalt lassen.
Was die RTL-Reporterin bei ihren Recherchen erlebt und dokumentiert, ist schockierend und menschenverachtend: Schutzbefohlene, die von sogenanntem Fachpersonal gedemütigt, respektlos herumkommandiert und verspottet werden.
Pfleger stellt wehrloser Frau Bein
Wehrlose Menschen, die völlig willkürlich mit Stubenarrest oder Essensentzug abgestraft werden, weil sie sich mit ihrer Behinderung oft nicht so verhalten können, wie es die genervten Betreuer gerne hätten.
Nach einigen anonymen Hinweisen, bewarb sich Teammitglied Caro Lobig auch in Leverkusen bei der „Lebenshilfe Leverkusen“ – als Praktikantin.
Was sie dort erlebte, ist unfassbar: Schon am ersten Tag wird sie Zeugin, wie die geistig schwer behinderte und motorisch eingeschränkte Lisa von den Betreuern immer wieder regelrecht drangsaliert wird: Lisa wird durch Schnalzen und Pfeifen wie ein Hund gerufen; ein Betreuer lässt Lisa über sein Bein stolpern; gleich mehrere Betreuer machen sich mit scheinbar sexuell anzüglichen Bemerkungen lustig über Lisa, als sie sich um den Mund herum mit weißem Joghurt bekleckert hat.
Ein Jahr später die gleichen Zustände
Um die hilfsbedürftige Frau ruhig zu stellen, setzt sich eine Betreuerin an anderer Stelle mehrmals auf die zierliche Lisa. Nachdem Caro Lobig ihr Praktikum beendet hat, beschließen sie und Günter Wallraff gemeinsam, dass der jungen Frau sofort geholfen werden muss.
Die Reporterin ruft dazu anonym Lisas Vater an und schildert ihm, welchen Schikanen seine Tochter bei der „Lebenshilfe Leverkusen“ ausgesetzt ist.
Als ein Jahr später eine weitere RTL-Reporterin Undercover dort arbeitet, muss sie feststellen, dass Lisa weiterhin abwertend behandelt wird - von denselben Betreuern. Nichts ist passiert.
Versteckte Kamera dokumentiert alles
Mittlerweile hat das Team von Günther Wallraff die Geschäftsführung der Einrichtung kontaktiert. Dort ist man natürlich überrascht über die Vorfälle, die die verstecke Kamera der Praktikantin aufgezeichnet hatte.
„Es kann und darf nicht sein, dass das grobe Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter die seit Jahren erfolgreiche Arbeit eines ganzen Unternehmens zerstört und alle anderen MitarbeiterInnen in Misskredit bringt. Wir werden mit aller Konsequenz die Aufklärung vorantreiben und entsprechende Maßnahmen einleiten“, heißt es von dem Behinderten-Heim.
Auch in anderen Einrichtungen im ganzen Bundesgebiet sieht es ähnlich aus. Die auf Hilfe angewiesenen Menschen werden wie Güter zweiter Klasse behandelt. In der Wohngruppe für Senioren mit Behinderung in Speyer beobachtet die Reporterin mehrmals, dass Aktivitäten, die den Bewohnern als Möglichkeit der Beschäftigung zustehen, offensichtlich auch als Erziehungs-Instrument missbraucht werden.
Das bekommt der etwa 50-jährige Thomas zu spüren – mehrfach und fortgesetzt.
„Der Kuchen ist gestrichen“
Eine Betreuerin fährt ihn an: „Hast Du gestern nicht versprochen, Du benimmst dich? Jetzt hast Du wieder eingenässt? Der Kuchen ist gestrichen.“
Danach muss er sich auf einen Stuhl neben dem Bett setzen, obwohl jetzt eigentlich der Mittagsschlaf ansteht. Da er nicht sprechen kann, die Situation aber ungerecht findet, stampft er wieder. Wieder die Betreuerin: „Hör auf zu stampfen, sonst bleibst du im Zimmer. Okay, meinst Du, ich mache Spaß? Gut, du wolltest es so.“
Ermittlungen wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen
Im Verlauf ihrer kurzen Praktikumszeit wird die RTL-Reporterin Zeugin weiterer Erniedrigungen der Bewohner seitens des Personals. Aufgrund der „Team Wallraff“-Recherchen ermittelt jetzt auch die Kriminalpolizei Ludwigshafen wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen.
Erschreckender Einsatz in Düren
Bei ihrem dritten Einsatz in den Rurtalwerkstätten in Düren – einer Werkstatt speziell für Menschen mit psychischen Erkrankungen – beobachtet die RTL-Reporterin weiter eklatante Mängel.
Eigentlich sollte für die Beschäftigten des Berufsbildungsbereiches der Werkstatt weniger das Abarbeiten von Industrie-Aufträgen, sondern viel mehr Schulungen im Vordergrund stehen – schließlich wird diese Maßnahme von der Bundesagentur für Arbeit finanziert Und so steht es im Förderauftrag.
Doch viele Beschäftigte klagen, die Arbeit sei viel zu eintönig und stupide – ein Eindruck, den selbst Betreuer gegenüber Caro Lobig bestätigen. Die Rurtalwerkstätten (Träger ist die „Lebenshilfe“) beteuern auf Anfrage, dass auch durch praxisnahe Arbeit die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt gefördert werden solle.
Bundesagentur prüft die Einrichtung
Doch die Bundesagentur für Arbeit als Geldgeber des Berufsbildungsbereichs prüfte die Einrichtung Monate nach den Undercover-Recherchen und unabhängig davon. Danach stellte sie fest, … „dass die Rurtalwerkstätten in der Praxis die Grundsätze des Berufsbildungsbereichs nicht eingehalten haben.“
Sollte es bis Ende März nicht zu konzeptionell deutlichen Nachbesserungen kommen, droht demnach den Rurtalwerkstätten sogar die Aberkennung als Träger der Maßnahme. (mja)
Dieser Artikel ist zuerst bei „Express.de“erschienen.
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