Terézia Moras neuer Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ erzählt von einer toxischen Beziehung und steht zu Recht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis
Terézia Moras Roman „Muna“Wie ein Schlag ins Gesicht
Es ist eine vermeintlich nüchterne, ruhig vorgetragene Aussage: „Ich weiß, was du willst, sagte er. Du bekommst es nicht.“ Doch nach schier endlosen Jahren des Kämpfens um Zuneigung, Liebe und Verbindlichkeit, sind diese wenigen Wörter für Muna ein Schlag ins Gesicht.
Die Protagonistin in Terézia Moras neuem Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ hört sie, kurz bevor ihr Lebensgefährte Magnus sie verlässt. Aber kann man sich überhaupt von jemandem trennen, an den man sich nie gebunden hat? Denn während Muna ihr ganzes Leben auf diesen Mann ausgerichtet hatte, spielte sie in seinen Plänen nie eine Rolle. Zum ersten Mal begegnet sie ihm zu Beginn des Romans, kurz vor ihrem Abitur. Da lebt sie bei ihrer alkoholkranken Mutter, die an einer ostdeutschen Provinzbühne vor dem Mauerfall als Schauspielerin arbeitet. Der Vater ist bereits gestorben.
Als ihre Mutter kurz nach Munas 18. Geburtstag beinahe an einer Überdosis Tabletten und Alkohol stirbt, ist die junge Frau erst einmal auf sich allein gestellt. Hat sie ihr kompliziertes Verhältnis zu ihren Eltern gelehrt, dass Liebe nur in Verbindung mit Schmerz zu bekommen ist? Vielleicht. Aber eindeutige Antworten gibt Terézia Mora nicht. Sie folgt der jungen Frau lieber auf deren Weg.
Erst sieben Jahre nach ihrem Treffen sieht Muna Magnus wieder
Muna ist von dem älteren Magnus, der als Französischlehrer und Fotograf arbeitet, vom ersten Augenblick an fasziniert. Er zeigt ihr die kalte Schulter. Daran ändert auch eine gemeinsame Nacht, nach der er verschwindet, nichts. Sieben Jahre wird es dauern, bis sie sich durch Zufall wiedersehen.
Für sie ist er die große Liebe. So sehr will sie die Beziehung mit ihm, die eigentlich keine ist, dass sie ihr ganzes Leben nach ihm ausrichtet. Verlässt er die Stadt, weil er als Dozent an einer anderen Uni einen Job findet, folgt sie ihm. Auch wenn es ihren Plänen entgegensteht und ihrer Karriere schadet.
Von toxischen Beziehungen ist heute oft die Rede, wenn es um Paare geht, die sich gegenseitig schaden. Der Begriff findet sich in diesem Roman nicht. Aber giftig ist Magnus für Muna ganz sicher. Erhält sie Aufmerksamkeit, ist er beleidigt. Passt ihm irgendein Satz oder eine Geste von ihr nicht, lässt er sie einfach stehen und brüskiert sie so vor allen anderen. Das Leben mit ihm ist wie der Gang über ein Minenfeld. Man weiß nie, wo eine vergraben ist: „Der Mann war voller wunder Punkte, und ich kannte ihn nicht genug, um zu wissen, welche und wo und wie ich sie vermeiden konnte.“ Ein Leben in einer ständigen Habachtstellung. Ihre Bedürfnisse sind ihm hingegen völlig gleichgültig.
„Muna“ ist der Auftakt einer neuen Trilogie
Moras vorherige Romane „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, „Das Ungeheuer“ und „Auf dem Seil“ über den IT-Spezialisten Darius Kopp, dessen Leben nach dem Suizid seiner Ehefrau zerbricht, bildeten eine Trilogie.
Nun folgt wohl eine „Trilogie der Frauen“, deren Auftakt „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ ist. Nüchtern erzählt Mora, sie ordnet nicht ein, sie sucht nicht nach Erklärungen. Sie bewertet nicht. Sie beschreibt sehr genau und bleibt ganz nah bei ihrer Ich-Erzählerin. So reißt sie ihre Leserinnen und Leser in denselben emotionalen Strudel, der auch Muna zu verschlingen droht und aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.
Gedanken, die Muna zwar durch den Kopf gehen, die sie aber nicht ausspricht, sind im Roman durchgestrichen oder stehen in Klammern. Der Außenwelt bleiben sie verborgen, uns jedoch nicht. So entsteht eine manchmal schwer zu ertragende Nähe. Diese wird besonders schmerzhaft, wenn Muna beginnt, Magnus' körperliche Gewaltausbrüche zu rechtfertigen. Er erniedrigt sie, schlägt sie, sperrt sie ein. Und sie gibt sich selbst die Schuld daran: „Ich gebe zu, dass ich anfing, wie am Spieß zu schreien. Wenn jemand das mit mir gemacht hätte, hätte ich denjenigen wahrscheinlich auch von meiner Schwelle gestoßen und die Tür vor ihm zugeknallt.“
Mora macht nicht den Fehler, Muna als hilfloses Opfer darzustellen. Die Tragik ihrer Geschichte entsteht vielmehr dadurch, dass diese intelligente, lebenshungrige Frau die Fallstricke sieht und sich dennoch in ihnen verheddert. Ein kluges, schmerzhaftes Buch, das lange nachwirkt und zu Recht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht.
Terézia Mora ist zu Gast bei der lit.Cologne Spezial. Am 18. Oktober, 21 Uhr, spricht sie im WDR Funkhaus mit Martin Becker über ihren Roman. Hier gibt es Tickets.