Seit fast 45 Jahren durchmisst Robert Smith mit seiner Band The Cure die Schattenseiten des Lebens. In der ausverkauften Lanxess-Arena lockte er seine Fans ins Dunkle und schenkte ihnen dafür Trost.
The Cure in KölnWie Robert Smith um seinen toten Bruder trauert
Entgegen anderslautender Gerüchte, informierte Robert Smith seine Fans vor ein paar Tagen auf Twitter, werde The Cure nicht zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft spielen. Da weiß man nicht, was schöner ist: Der (erneute) Beweis, dass der ikonischste Düstermann der populären Musik ziemlich lustig sein kann, oder die Vorstellung, seine Band hätte mit einer ihrer Nachtschreckhymnen die heuchlerischen Feierlichkeiten ins Säurebad getaucht.
Statt Katar nun also Köln: In der Lanxess-Arena rollt grollend Donner heran, taucht Wetterleuchten die Bühne ins Schlaglicht, stürzt Regen vom Kuppeldach. Rein akustisch, versteht sich, als würdige Eintrittsmusik für den Schamanen aus Crawley. Und während sich die fünfköpfige Band um ihre Instrumente verteilt, schreitet Smith die gesamte Länge der Bühnenrampe ab, stellt den Kontakt her, zwischen sich und seinen knapp 17.000 Fans in der ausverkauften Halle. Trägt wie immer in Schwarz, Eyeliner und roter Lippenstift wie zufällig ins teigige Gesicht geschmiert, nur das hochtoupierte Haarnest des 63-Jährigen ist längst ergraut. Und ist das tatsächlich ein Bowling-Pin auf seinem T-Shirt?
Die Musik schwillt nun ganz langsam an. Zaubrisch, elegisch, nicht zu Tode betrübt. „Das ist das Ende von jedem Lied, das wir singen“, hebt Smith an. Auf den Leinwänden hinter ihm dreht sich die Erde, verlassen im All. „Alone“ heißt dieser neue Song, das versprochene Album dazu lässt noch auf sich warten, aber The Cure hat keine Eile, den Großtaten aus den 1980ern und frühen ‘90ern Neues hinzuzufügen. Obwohl sich das aktuelle Material recht nahtlos in jenes Cinemascope-Gefühl der Verlorenheit einfügt, das die Band vor 33 Jahren auf „Disintegration“ beschworen hat.
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The Cure sind Gift und Heilmittel zugleich
Keine andere Band entdeckt so viele Klangfarben in der absoluten Schwärze, keine hat so viel Trost in ihrer Niedergeschlagenheit versteckt. The Cure sind Gift und Heilmittel zugleich, Narkose und Neustart, wie im stotternd ausgestoßenen Verzweiflungsruf am Ende von „A Night Like This“: „I want to change!“
Das Publikum verharrt still, vielleicht sollte man einfach die Augen schließen, sich durchs Nichts treiben lassen und Smiths Stimme folgen: „Immer wenn ich mit Dir allein bin/ Gibst Du mir das Gefühl, wieder jung zu sein.“ Die gelegentlichen Einspielfilme haben den Songs jedenfalls nichts hinzuzufügen, was diese nicht schon selbst evozieren: Ein sattgrüner Laubbaum in einer Blumenwiese zu Anfang des selten gespielten „Last Day of Summer“? Keine Angst, dieser Sommer existiert nur in wehmütiger Rückschau, schon entsättigen sich die Farben bis wieder alles grau in grau steht, wie England in den 1970ern. Eine tiefrote Rosenblüte? Verwelkt sofort. Sie illustriert ein weiteres neues Stück namens „A Fragile Thing“, das enthält die Robert-Smith-mäßigste Zeile überhaupt: „Every time you kiss me I could cry“.
Szenen wie aus einem Slasher-Film
Ein derart fragiles Klanggespinst fast drei Stunden lang nicht einbrechen zu lassen, erfordert freilich auch einiges an Handwerk, und trotz der fluiden Besetzung: Diese Herren spielen seit langer Zeit zusammen, wenn auch mit Unterbrechungen. Gitarrist Reeves Gabrels – in den 1990er David Bowies wichtigster Ideengeber – ist mit zehn Jahren Bandzugehörigkeit der bislang letzte Neuzugang. Wenn sich Smith jedoch am Ende von „A Forest“ mit Simon Gallup, dem einzig anderen verbliebenen Urmitglied, duelliert, hört man The Cure in der Nussschale. Gallups stur voranschreitender Bass jagt Smiths panisch übersteuerte Gitarre, Szenen wie aus einem Slasher-Film.
Jubel in der sonst eher andächtigen Arena, wie zuvor schon für „Push“, dessen langes instrumentales Intro so enthusiastisch beklatscht wird, als feuerte man den Sänger an, während er sich aus einem tiefen Brunnenschacht langsam ins Freie presst.
Das reguläre Set beschließt der ebenfalls neue „Endsong“. Jetzt hat sich die Erde in einen rot glühenden Blutmond verwandelt. Robert Smith fragt sich, was bloß aus dem Jungen geworden ist, der er einmal war. Mit leeren Händen stehe er am Ende eines jeden Liedes da. Weil, möchte man hinzufügen, er so viel gegeben hat.
Einen neuen Song über meinen Bruder, kündigt Smith zur ersten Zugabe an. Der war zehn Jahre älter, hat dem kleinen Robert das Gitarrenspiel beigebracht und ist vor ein paar Jahren gestorben. Ein böses Monster, so beschreibt es Smith hier, hat sein Leben gestohlen. Der Tod als Horrorschau, Bilder von wimmelnden Gewürm. Es folgen die drei traurigsten Trauermärsche aus dem „Disintegration“-Album, das Herz des Konzerts. Wer, wenn nicht The Cure, würde das einem Arenapublikum zumuten?
Zur Versöhnung spielt die Band gleich sieben ihrer gesammelten Pop-Hits, Drei-Minuten-Songs, in denen Robert Smith seinen inneren Paul McCartney erweckt hat, von „Friday I’m in Love“ bis „Boys Don’t Cry“, er tanzt sogar ein wenig, onkelhaft ungelenk, kurz darauf hüpft er (na gut, ansatzweise) beinahe fröhlich über die Bühne, wackelt neckisch mit dem Wuschelkopf, tritt noch einmal an den Bühnenrand, um Abschied zu nehmen. Anschließend zieht man beruhigt in die Nacht. Der Schrecken ist gebannt. Eventuell ist es auch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.