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Theaterstück „Total“ in KölnWie reden eigentlich Nazis?

Lesezeit 3 Minuten
Zu sehen sind Schauspieler im Gothic-Look: Weiß-schwarze Schminke im Gesicht, schwarze Kleidung und lange dunkle Haare. Sie strecken die Hände aus und machen Fratzen.

Theaterstück „Total“ in der Tanzfaktur.

In der Tanzfaktur bringt der Kölner Theatermacher Tim Mrosek ein Stück auf die Bühne, das die Sprache der Nationalsozialisten offenlegt.

Am Anfang war das Wort. Dass Sprache sich in einer Gesellschaft im Laufe der Zeit wandelt und Wörter neue Bedeutungen erlangen und in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen, geschieht gemeinhin arbiträr – also willkürlich.

Nicht so bei ideologischen Sprachprägungen, wie sie etwa in der Zeit des Nationalsozialismus planmäßig verwendet wurden. Dass viele dieser Sprachschöpfungen des Nationalsozialismus bis heute immer noch oder wieder in Gebrauch sind – man beachte zum Beispiel die Verwendung des Begriffs „Systemparteien“ bei der NSDAP und der AfD - demonstriert der Kölner Theatermacher Tim Mrosek eindringlich in seinem neuen Stück „Total“.

Theaterstück „Total“ in der Kölner Tanzfaktur

Es ist der zweite Teil der Reihe „Words don´t come easy“, nachdem zuvor in „Dreckstück“ die Ideologie der Ungleichheit im Deutsch-Rap unter die Lupe genommen wurde. Wie im Vorgängerstück verhandelt Regisseur Tim Mrosek sein Thema auf eine sehr spielerische Art und Weise. Gemeinsam mit Kristina Halmanns, Isabella Kolb, und Asim Odobasic tritt er als Death Metal Combo auf.

Im Gothic-Look, mit Langhaarperücken und schwarzer Kleidung, umspült von einem aggressiven, temporeichen Sound bespielt das Quartett die Bühne beim Auswärtsspiel der Studiobühne in der Tanzfaktur. Vier hohe Boxentürme bilden im Hintergrund das karge Bühnenbild, während vor den Performern auf dem Boden vier Mikros liegen, die das Wort PAIN verdecken. Das hohe Tempo, das die Metal-Riffs vorgeben, behält die Aufführung über die einstündige Dauer bei.

Grundlage für das Stück sind Victor Klemperers Betrachtungen

Mit virtuosem Sprachreichtum, bei dem Analyse, Assoziationen und ebenso ironischen wie selbstreferentiellen Brechungen eine dialektische Dramaturgie befeuern, taucht das perfekt interagierende Ensemble in die linguistische Materie ein. Wichtigste Grundlage der Betrachtungen ist Victor Klemperers: „LTI (Lingua Tertii Imperii). Notizbuch eines Philologen“.

Der jüdische Romanist hatte während der Hitler-Herrschaft die manipulative Sprache der Nationalsozialisten an vielen Beispielen analysiert und dokumentiert. Die von ihm angemahnte Manipulation der Menschen mit Stilmitteln wie dem Superlativ ist nach wie vor aktuell und auch die Etablierung und Grenzverschiebung von Wörter durch ständige Wiederholung erlebt heute eine traurige Renaissance. Neben Victor Klemperer werden noch der Wiener Sigmund Freund, der amerikanische PR-Pionier Edward Bernays und der nationalsozialistische Propaganda-Minister Joseph Goebbels in Kurz-Biographien als historische Protagonisten über die Wirkungsweise von Sprache angeführt.

Auf dünnes Eis geführt

Bernays PR-Coup, wo, bei dem wohl ersten Flashmob der Geschichte, Frauen in den zwanziger Jahren in den USA das Rauchen als emanzipatorischer Akt verkauft wurde, ist ebenso Teil der Aufführung, wie Goebbels Wahlkampf-Strategien in der Weimarer Republik, bei denen der spätere Umgang mit Sprache im Nationalsozialismus bereits etabliert wurde. Gefahr genannt, Gefahr noch nicht gebannt, könnte das Motto des Abends lauten, bei dem das Publikum bewusst immer wieder auf dünnes Eis geführt wird, um der Fallstricke im Gebrauch von Sprache gewahr zu werden. Wie dieses Testgelände mal virtuos beschildert und dann wieder süffisant vermint ist, erhöht den Reiz beim Schauen ungemein.

Zur Veranstaltung

Total. Nächste Veranstaltungen: 19., 20. und 21. Oktober, 20 Uhr und am 22. Oktober um 18 Uhr in der TanzFaktur.