Die Theatergruppe ANALOG zeigt Köln als multimediales Spektakel. Das Stück erinnert auch an einen Lokalpolitiker, der auf einen jungen Mann schoss.
Theaterstück über KölnDie Heimat zwischen Klüngel und Karneval
Die Schuhe sind groß, in denen die Ensemblemitglieder der Kölner Theatergruppe ANALOG ihre Wege durch Köln beschritten haben. Kein Geringerer als der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann (1940 – 1975) diente als Vorbild für die Streifzüge durch die Stadt, bei denen die gesammelten Eindrücke multimedial festgehalten und direkt beschrieben werden. In den im Internet zu findenden lyrischen Litaneien „Fratzen in der Straßenbahn“ oder „Jetzt ist Winter in Köln“ kann man Brinkmanns bitterböse Abrechnung aus den 1960er Jahren mit seiner Qual-Heimat Köln noch einmal nacherleben.
Ganz so zornig und unerbittlich fällt, 60 Jahre später, das multisensorische Biopic von Analog nicht aus. Beobachten und weniger bewerten, scheint das Credo der Theatergruppe gewesen zu sein. Gesammelte und in der Performance multimedial wiedergegebenen Eindrücke und Emotionen, die sich ihrer Subjektivität stets bewusst bleiben.
Theateraufführung „SHIT(T)Y Vol.1“ zeigt Köln als multimediales Spektakel
Bevor die Besucher sich dem multisensorischen City-Pic über Köln aussetzen, werden alle Anwesenden aber zuerst einmal aus der Fassung gebracht. Freundliche, doch sehr bestimmt auftretenden Guides führen die Zuschauer in kleinen Gruppen auf die hinter einem Vorhang verborgene Bühne. Dort, in geometrische Formationen positioniert, werden die Besucher zum Teil des Geschehens.
Ein wummernder Beat, sich überlagernde Videoprojektionen auf den Wänden und dem Boden, sowie Regisseur Daniel Schüßler am Mischpult und Mic, der mantraähnliche Sätze wiederholt: Das alles prasselt zu Beginn auf die Zuschauer ein. Ein bisschen „Brainwashing“ ist das schon, was hier mit dem Betrachter geschieht. Dafür ist man nun offen für die multimediale Wahrnehmung, die von den uniformgekleideten Performern präsentiert wird. Die hatten im Entstehungsprozess des Stückes subjektive Entdeckungs- und Wahrnehmungstouren durch die Straßen und Plätze der Stadt unternommen. Jetzt fließen in der performativen, musikalischen und visuellen Wiedergabe ihre Beobachtungen, ihre persönlichen Empfindungen und die topografische Erfassung des Stadtraums ineinander.
Auch der Skandal um CDU-Politiker Hans-Josef Bähner ist Thema
Persönliches mischt sich hier ansatzlos mit Zitaten aus der aktuellen Stadtgeschichte. So taucht eine Rede der Oberbürgermeisterin Reker zum 50-Jährigen Bläck-Föös-Jubiläum ebenso im Flow der Worte auf, wie der Skandal um den Porzer Kommunalpolitiker Hans-Josef Bähner, der eine rassistische Straftat verübte, als er auf einen Heranwachsenden schoss. Kölner Klischees, zwischen Karnevalfolklore und Klüngel, verweben sich hier mit urbanen Alltagsbetrachtungen. Hier entsteht eine multimediale, sinnliche Collage, die durch die poetische Sprache, dem choreographischen Spiel der Akteure und dem Einsatz von computergenerierten Visuals (Michael Schmitz) gleichermaßen vertraut wie verfremdet daherkommt.
Eine intensive, sensorische Symphonie der Stadt, musikalisch flankiert durch die Soundcollage des Berliner Musikers Ben Lauber, Köln-spezifisch, aber auch universell und gleichzeitig sehr persönlich durch die eigenen Assoziationen, die das performative Gesamtkunstwerk in jedem einzelnen freisetzt. Einen Handlungsfaden im eigentlichen Sinne braucht dieses City-Biopic, wie Analog ihre Stadtperformance nennt, nicht. Das Bild der Stadt setzt sich für jeden Betrachter individuell und sehr lebendig zusammen.
Zur Veranstaltung
SHIT(T)Y Vol.1 Straße. Laterne. Wohnblock. Tanzfaktur, 15.3-19.3. um 20 Uhr.