Der Münsteraner Theologe Michael Seewald erklärt im Interview, was Glauben bedeutet und was die Theologie an einer staatlichen Universität verloren hat. Scharf kritisiert Seewald den Kölner Kardinal Rainer Woelki.
Theologe Michael Seewald„Woelki erweist der Theologie einen Bärendienst“
Herr Professor Seewald, was bedeutet für Sie „Glauben“?
Glauben ist eine Form der Gottesbeziehung, die von außen nicht einsehbar oder messbar ist. Man kann Glaubensinhalte, Glaubenspraktiken und religiöse Gruppenzugehörigkeiten untersuchen – auf Englisch: Believing, Behaving, Belonging. Der christliche Glaubensbegriff geht darin aber nicht auf.
Sondern?
Er beschreibt eine intime, hoch individuelle Form der Gottesbeziehung.
Was „von außen nicht einsehbar“ ist, kann nicht für wahr oder falsch befunden werden. Dabei ist in Glaubenskontexten doch ständig von „rechtgläubig“ oder „irrgläubig“ die Rede.
Das zielt auf Glaubensinhalte oder Glaubenspraktiken. Inhalte, die geglaubt, oder Handlungen, die vollzogen werden, sind „wahrheitswertfähig“.
Das bedeutet?
Sie können wahr oder falsch, gut oder schlecht sein. Religiöse Fanatiker machen von dieser Unterscheidung einen engstirnigen Gebrauch. Man kann aber auch umgekehrt sagen: Religionskritik wäre ohne die Wahrheitswertfähigkeit religiöser Überzeugungen kaum möglich. Wo nichts als potenziell wahr angesehen wird, kann auch nichts als falsch kritisiert werden. Aber Glaubensinhalte sind nicht identisch mit dem, was im Christentum als Glaube bezeichnet wird. Das Englische kennt hier die Unterscheidung zwischen „Belief“ und „Faith“.
Wie steht beides zueinander?
„Beliefs“ sind Glaubensinhalte. Über diese Inhalte wird gestritten – innerhalb von Religionsgemeinschaften, zwischen Religionsgemeinschaften und zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen. Ebenso können Glaubenspraktiken befragt werden, ob sie lebensdienlich oder schädlich sind. Es gibt ja durchaus fragwürdige religiöse Praktiken, die man mit Fug und Recht kritisieren muss.
Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt oder der Plausibilität auch der religiösen Inhalte hätte der nicht-gläubige Mensch schnell beantwortet: beides nicht vorhanden.
Genau. Eine solche Position setzt aber immerhin voraus, dass man religiöse Überzeugungen als wahrheitswertfähig einstuft. Wären sie das nicht, könnten sie auch nicht als falsch abgelehnt werden. Trotzdem kann der Atheist ebenso wenig wie der Ketzerjäger anderen ins Herz schauen und beurteilen, was der Glaube an Gott als existenzielle Haltung des Vertrauens für die betreffende Person bedeutet und wie er ihr Leben prägt.
Wird dieser Glaubensbegriff aber dann nicht völlig hermetisch? „Ich glaube – und da hat mir keiner hineinzureden.“
Nein. Denn Glaubensüberzeugungen und Glaubenspraktiken können ja kritisiert werden. Trotzdem ist die innere Gottesbeziehung, die durch den Begriff „Faith“ gekennzeichnet wird, etwas Höchstpersönliches. Zu respektieren, dass es Menschen gibt, denen ihr Glaube heilig ist, heißt nicht, kritiklos hinzunehmen, was sich an religiösen Überzeugungen oder Praktiken findet.
In genauem Gegensatz zum absoluten Anspruch kann der Begriff „Glauben“ auch relativierend verwendet werden: „Glauben heißt nicht wissen.“
Der Philosoph Immanuel Kant hat eine hilfreiche Unterscheidung getroffen, die man auf die Formel bringen könnte: Glauben ist mehr als Meinen und weniger als Wissen. Wenn ich sage „ich meine dies oder jenes“, heißt das: Ich kann objektiv nicht beweisen, dass meine Annahme stimmt, und bin mir auch subjektiv unsicher. Wenn ich stattdessen sage „ich weiß es“, bin ich mir subjektiv sicher, dass ich eine korrekte Aussage treffe und muss zugleich objektiv beweisen können, was ich zu wissen beanspruche. Wenn ich hingegen sage „ich glaube fest an etwas“, bin ich subjektiv von etwas überzeugt, kann aber eben nicht objektiv beweisen, dass das, was ich glaube, mit Sicherheit richtig ist.
Und dieses landläufige Verständnis von „Glauben“ hat mit dem religiösen nichts zu tun?
Doch, weil religiöser Glaube kein Wissen ist. Ich kann selbstverständlich Wissen über Religion anhäufen. Aber ob das, was Religionen lehren, wahr ist – darüber gibt es keine objektive Gewissheit.
Weil man Gott nicht beweisen kann, obwohl christliche Theologen, aber auch Philosophen das immer wieder versucht haben.
Ein religiöser Mensch kann sagen: Ich halte meine Glaubensüberzeugungen subjektiv für wahr und richte auch mein Leben nach ihnen aus, aber ich habe keine letzte Gewissheit, dass das, was ich glaube, auch objektiv wahr ist. Insofern ist jeder Glaube, wenn er redlich bleibt, untrennbar mit dem Zweifel verbunden. Der Zweifel zähmt den Glauben.
Sind Sie als Theologieprofessor Glaubenslehrer?
Ich lehre das, was es über den Glauben zu wissen gibt. Persönlich bin ich katholischer Christ und bezeichne mich in diesem Sinne als gläubig.
Was haben Sie damit an der Universität verloren?
Dreierlei. Erstens wohnt dem christlichen Glauben ein Drang zum Verstehen inne. Dieser Drang steht am Anfang der Universitätsgeschichte. Ohne ihn würde es Universitäten im heutigen Sinne nicht geben. Die Theologie sollte sich aber nicht auf ihren historischen Verdiensten ausruhen. Wer sich mit dem Glauben beschäftigt, wird zweitens feststellen, dass er nach wie vor eine starke Triebfeder menschlichen Handelns ist und es ein beachtliches Maß an Gelehrsamkeit gibt, das sich mit dem Verstehen des Glaubens befasst. Deshalb tut die Universität, die sich mit der Wirklichkeit im umfassenden Sinne auseinandersetzt, gut daran, auch über Glaubenswirklichkeiten nachzudenken.
Und das Dritte?
Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass das Nachdenken über den Glauben nicht in einem Hinterhof, sondern in der Öffentlichkeit stattfindet. Die Universität ist der beste Ort, um sich öffentlich und kritisch mit dem zu beschäftigen, was an Wissen, Glauben und Meinen im Umlauf ist. Deshalb ist eine Universität auch der beste Ort für die Theologie. Kardinal Woelki und sein als Hochschule getarntes Katechismus-Seminar erweisen der Theologie hingegen einen Bärendienst. Wenn man die universitäre Theologie schwächt, um Theologen ideologisch gefügig zu machen, verliert dieses Fach jeden intellektuellen Reiz.
Auf der phil.Cologne betrachten Sie den Glauben zusammen mit einer jüdischen Rabbinerin. Wo erwarten Sie da die größten Unterschiede?
Der christliche Glaubensbegriff verdankt jüdischem Denken sehr viel. Wenn ich recht sehe, ist Glaube im jüdischen Kontext jedoch stärker mit einer bestimmten Praxis verbunden. Das Christentum hat mit den Kirchen eine religiöse Sozialform hervorgebracht, die großen Wert auf das Dogmatische legt. Kirchen verlangen von ihren Mitgliedern, dass sie bestimmte Sätze für wahr halten. Im Judentum gibt es keine den christlichen Großkirchen vergleichbare Sozialform. In den meisten jüdischen Gruppierungen steht daher nicht das Fürwahrhalten von Sätzen, sondern das Leben nach einer gläubigen Praxis im Vordergrund.
Zur Person
Michael Seewald, geb. 1987, ist seit 2016 Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster. Auf seinem Lehrstuhl ist er Nachnachfolger Joseph Ratzingers (von 2005 bis 2013 Papst Benedikt XVI.) Seewald auch Sprecher des Exzellenz-Clusters Religion und Politik der Universität Münster. Auf der phil.Cologne tritt Seewald in der Reihe „Lexikon auf der Bühne“ auf. (jf)
Lexikon auf der Bühne: Glauben. Mit der Judaistin und Rabbinerin Birgit Klein (Heidelberg) und Michael Seewald. Moderation: Joachim Frank. Samstag, 10. Juni, 19 Uhr, Altes Pfandhaus, Kartäuserwall 20, 50678 Köln.
Eintritt: Vorverkauf 18 Euro (ermäßigt 14), Abendkasse 22 Euro (ermäßigt 18).
Tickets gibt es hier: www.philcologne.myticket.de