Der schrullige Familienonkel lädt einEin Abend Cringe mit „Wetten, dass..?“
Nürnberg – „Cool, dass das Jugendwort des Jahres dieses Jahr eine eigene Show im ZDF bekommt“, twitterte der Comedy-Autor Max Bierhals am Samstagabend. Und mehr gibt es über das Comeback von „Wetten, dass…?“ anlässlich des vierzigsten Geburtstags der Kult-Show eigentlich nicht zu sagen. Der Abend fühlt sich auch auf dem heimischen Sofa an, als wäre man geradewegs auf dem 80. Geburtstag des schrulligen Onkels gelandet, der allen irgendwie peinlich, aber in all seiner Spleenigkeit dann doch auch ein bisschen knuffig ist.
Glückselig lächelt Thomas Gottschalk zu Beginn der Sendung in die Kameras, als die Menge minutenlang nicht aufhören will, zu applaudieren. Endlich einmal wieder wichtig fühlen. Endlich einmal wieder sexistische und rassistische Witze nach Belieben erzählen können, ohne hinterher in einem massiven Shitstorm zu versinken.
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Im Netz werden zwar verlässlich die Stimmen laut, die fragen, ob man dem Showmaster die verbalen Ausfälle durchgehen lassen dürfe. Doch die woke Twitter-Bubble wird von treuen Gottschalk-Jüngern prompt an die Wand geschrieben: Das muss man ja wohl noch sagen dürfen!
Thomas Gottschalk: Allein gegen die Cancel-Culture
Denn Gottschalk selber ist schon seit einigen Wochen bemüht, sich zum Anführer der Anti-Cancel-Culture-Bewegung zu stilisieren, hat schon mit einem Auftritt bei Bild TV und einem Gastbeitrag im Spiegel vorgelegt, und lobt am Samstagabend Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, sie seien die einzigen jüngeren Kollegen im linearen Fernsehen, die überhaupt noch was kritisches sagten. Nur einer dieser Onkel-Momente des Abends – zum Fremdschämen schön. Joko und Klaas jedenfalls lächeln gezwungen und nicken ein gefühltes „ja, ja Thomas, ist gut jetzt, trink doch noch ein Schnäpschen.“
Gottschalks Boomer-TV-Parade wird von seinen Gästen nur abgerundet: Helene Fischer, Benny und Björn von Abba, Udo Lindenberg. Selbst die jüngeren Studiogäste kennen die nicht mehr und die vereinzelten U40-Zuschauer vor den Geräten erst recht nicht. Als sich der junge Typ, der wettet mit Dartpfeilen Länder auf einer weißen Landkarte treffen zu können, dann auch noch wagt, Gottschalk freche Kommentare entgegenzuschleudern, steht dem Showmaster kurz die Empörung ins Gesicht geschrieben, ganz nach dem Motto: „Ich mache hier die entwürdigenden Witze, nicht du, Freundchen!“
„Wetten, dass…?“: Ein Abend Cringe im Jahr muss reichen
Denn im Prinzip hat seine Gästeliste nur die eine Aufgabe: ihm zu huldigen. „Oh Thomas, du größter Showmaster des deutschen Fernsehens, führe uns nicht in Versuchung zu gendern und zeige uns den Weg zu Einschaltquoten in Höhe von 14 Millionen Zuschauern.“
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So kennt man es schließlich auch von diesen lästigen Familienfeiern: Einen Abend lang zusammenreißen, lächeln und die sexistischen Witze der älteren männlichen Verwandtschaft mit genügend Schnaps runterspülen. Michelle Huntziker hätte man jedenfalls eine Flasche Hochprozentiges in die Hand gewünscht. Denn ihr kommt die undankbare Aufgabe zu, die es auf jedem 80. Geburtstag zu ertragen gilt: das Babysitting des zunehmend betrunkenen Gastgebers, der sich selber immer lustiger findet, während sich alle um ihn herum nur noch an die Stirn fassen möchten und die Frage im Raum steht: „Wann um Gottes Willen ist das endlich vorbei?“
Das Gute am schrulligen Familienonkel ist: Er hat nur einmal im Jahr Geburtstag. Im Fall von „Wetten, dass…?“ darf man angesichts des angedachten Comebacks nur hoffen, dass Gottschalk die Wirkung seiner antiquierten Retro-Show nicht überschätzt. Ein Abend Cringe im Jahr muss reichen!