Im Düsseldorfer Kunstpalast lädt Bildhauer Tony Cragg dazu ein, seine Skulpturen zu berühren. Manchmal ist das etwas gruselig.
Tony Cragg in DüsseldorfWarum man in dieser Ausstellung die Kunst anfassen soll
Objekte, die an große Schüsseln oder Amphoren erinnern oder an zuckrige Eiweiß-Tuffs, Baiser oder Meringue genannt. In sich verdrehte, gewundene Körper mit Hohlräumen und Aussparungen, imposant in ihrer Größe. Sie sehen ein bisschen aus wie seltsame Meeresbewohner, solche, die man noch nicht kennt. Manche schrauben sich weit in die Höhe oder besitzen eine geriffelte Haut. Meist aber sind die Oberflächen der 30 Skulpturen des englischen Bildhauers Tony Cragg sehr glatt. Und sie sehen so aus, makellos und irgendwie lecker.
Den Impuls, die anthropomorphen Arbeiten zu berühren, ihre Rundungen mit den Händen nachzufahren, ihre weichen Formen und Texturen zu erspüren, diese Art haptischer Neugier kennt man nur zu gut, zum Beispiel auch angesichts von Arbeiten von Henry Moore, Barbara Hepworth oder Hans Arp.
Im Museum allerdings ist das Berühren aus gutem Grund nicht gestattet. Aber genau das ist jetzt Programm: Der Künstler, mehrfacher documenta- und Biennale-Teilnehmer und Turner-Preisträger sowie langjähriger Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, hat gemeinsam mit Generaldirektor Felix Krämer im Kunstpalast einen Parcours mit neueren Skulpturen aufgebaut, einen Rundgang, bei dem es erlaubt ist, die Objekte zu berühren: „Tony Cragg. Please Touch!“. Jetzt stehen, so heißt es, „die taktilen Reize im Zentrum“. Und die wollen mit den Händen erforscht, erspürt, begriffen werden.
Die Aufforderung, selbst aktiv zu werden, sich niedrigschwellig der Kunst zu nähern und mit ihr zu interagieren, ist eine Art leichte Sprache für den direkten Umgang mit Kunst und dem eigenen Körper. Ein bisschen erinnert das an Hugo Kükelhaus’ 1967 entwickeltes „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“, bei dem es darum ging, die Welt mit allen Sinnen zu erleben, eben nicht bloß visuell. Es gab Tast- und Geruchsstationen, einen Barfußparcours, verschiedene Geräte, die zum Balancehalten aufforderten.
Im Duisburger Lehmbruck Museum hat gerade ebenfalls eine interaktive Ausstellung eröffnet, die ganz ähnlich wie Tony Craggs Schau in Düsseldorf dazu einlädt, „Skulpturen mit den eigenen Händen zu begreifen.“ Dafür allerdings muss man in Duisburg dünne Handschuhe anziehen, es handelt sich schließlich um Museumsexponate und es geht in erster Linie um Körper, Formen und Konturen.
Tony Cragg hingegen möchte, dass man neben Korpus und Umriss, vor allem auch die Oberflächen, ihre Stofflichkeit, Textur und ihre jeweiligen Temperaturen tastend erforscht. Das sei es, was er selbst bei der Arbeit an seinen Skulpturen wichtig findet: Das Material ist für ihn der Ausgangspunkt, es „gibt vor, was gemacht werden kann“, so der Künstler. Also keine Handschuhe in Düsseldorf. Auch bei Kükelhaus waren es die eigenen nackten Hände, mit denen man blind in die Töpfe mit Linsen, Disteln, Steinen oder Watte hineinfassen musste.
Die Arbeiten hat Tony Cragg aus seinem eigenen Fundus ausgewählt
Im Museum kostet das Anfassen allerdings erst einmal ein bisschen Überwindung, in diesem geschützten Raum dürfen und möchten die Dinge eigentlich ja betrachtet, aber nicht berührt werden. Doch dann, die perfekten Oberflächen fühlen sich tatsächlich ganz gut an, so ähnlich wie erwartet: Travertin glatt und kühl und irgendwie einladend edel; Cortenstahl trocken, fest und ein bisschen abweisend.
Und es gibt auch andere: Fährt man mit den Fingern an ihnen entlang, spürt man die feinen Rillen im verleimten Schichtholz, die seltsam fremde Oberfläche des Kevelar, das glattgeschliffene Fiberglas. Der Bogen aus durchsichtigen Glaswürfeln sieht aus wie aus Eis. Er ist tatsächlich superglatt, aber nicht so feucht und kalt wie erwartet. Die großen Bronzen, in denen menschliche Figuren, Gesichter, Ohren ineinander-, über- und auseinanderfließen, möchte man am liebsten gar nicht erst anfassen, sie sind eher etwas gruselig.
Die Arbeiten, die der Künstler aus seinem eigenen Fundus für die „Touch“-Ausstellung ausgewählt hat, sind so ganz anders als seine frühen in Film und Foto dokumentierten Land und Body Art-Werke, die Zeichnungen und geknoteten Kordeln oder die Boden- und Wandarbeiten, bestehend aus Porzellan, Steinen, Scherben, Plastik, Kristall und anderen Fundstücken.
Von diesen frühen Arbeiten, die vielfach schon Jahrzehnte alt sind, findet sich in der aktuellen Ausstellung nur im nachgebauten Atelier des Künstlers am Ende der Ausstellung eine Auswahl. Dicht gedrängt, aufbewahrt in raumhohen Regalen um den großen Arbeitstisch herum, stehen die heiklen Werke neben einfachen, in Jahrzehnten zusammengesammelten Fundobjekten. Hier im letzten Raum ist wieder alles „normal“. Die Exponate dürfen nicht berührt werden.
„Tony Cragg. Please Touch!“, Kunstpalast, Düsseldorf, Di-So 11-18, Do 11-21, bis 26. Mai 2024