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Ukrainische Moderne im Museum LudwigWiderstand und Sichtbarkeit

Lesezeit 4 Minuten
Diese monumentale Glasinstallation der ukrainischen Künstlerin Daria Koltsova nimmt Bezug auf das kulturelle Erbe der Ukraine und fragt, wie dieses im Angesicht des Krieges bewahrt werden kann.

Diese monumentale Glasinstallation der ukrainischen Künstlerin Daria Koltsova nimmt Bezug auf das kulturelle Erbe der Ukraine und fragt, wie dieses im Angesicht des Krieges bewahrt werden kann.

Das Museum Ludwig zeigt Kunst der ukrainischen Moderne von 1900 bis 1930 und hinterfragt die eigene Arbeit.

Fünf Millionen Besucherinnen und Besucher lockte die Pressa, eine internationale Ausstellung zur freien Presse, im Jahr 1928 nach Köln. Das Projekt des damaligen Oberbürgermeisters Konrad Adenauer sollte der internationalen Verständigung dienen. 43 Länder stellten im dafür erbauten Staatenhaus aus, die beiden größten nationalen Pavillons gestalteten die USA und die UdSSR. Weitgehend unbeachtet blieb hingegen die bedeutende ukrainische Sektion mit Kunst, Kultur, Presse, Collagen, experimentellen Bücher und Magazinen in ukrainischer Sprache.

Es ist eine Nichtbeachtung, die sich im Blick des Westens Richtung Osten im 20. Jahrhundert fortsetzte. Schmerzhaft ist die Erkenntnis, dass erst der russische Angriffskrieg diese verengte Wahrnehmung aufbrach. Von westlichen Kunsthändlern wurde auch die Zuschreibung „Russische Avantgarde“ geprägt, zu der lange Zeit viele Werke gezählt wurden, die sich in der Sammlung des Kölner Museums Ludwig finden.

Viele Künstlerinnen und Künstler, die in der Vergangenheit unter diesem Begriff zusammengefasst wurden, wie Alexandra Exter, Oleksandr Bohomazow, Wolodymyr Burljuk und Wasyl Jermilov, lebten und arbeiteten in der Ukraine und haben die dortige Kultur vor hundert Jahren entscheidend mitgeprägt.

Rund 80 Gemälde und Arbeiten auf Papier

Die Ausstellung „Ukrainische Moderne 1900 bis 1930 & Dana Koltsova“ will in der 9. Ausgabe der Reihe „Hier und jetzt“ genau diese lange Zeit gängigen Zuschreibungen hinterfragen. So sei es eigentlich falsch, von russischer Avantgarde zu sprechen, sagt Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior, die Zusammenhänge seien viel komplexer. Die meisten Künstlerinnen und Künstler selbst haben gar nicht in solchen nationalen Kategorien gedacht, betont die stellvertretende Museumsdirektorin Rita Kersting, die die Idee zu einer solchen Schau schon vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hatte.

Die Ausstellung versammelt rund 80 Gemälde und Arbeiten auf Papier, die zwischen den 1900er und den 1930er Jahren entstanden sind. Sie wurde zuvor unter dem Titel „In the Eye of the Storm: Modernism in Ukraine 1900–1930s“ im Nationalmuseum Thyssen-Bornemisza in Madrid gezeigt.

Die Werke, die unter teils dramatischen Bedingungen aus dem Nationalen Kunstmuseum und dem Museum für Theater-, Musik- und Filmkunst der Ukraine gerettet wurden, wie Kurator Konstantin Akinsha berichtet, treten nun in den Dialog mit Arbeiten aus der Sammlung des Museums Ludwig. In einer Zeit, in der Putin die Existenz der Ukraine und ihrer Bewohner infrage stelle, sei die Rettung der Kunst von entscheidender Bedeutung, so Akinsha.

Vor dem Hintergrund großer politischer Umwälzungen unterlag auch die Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts einem ständigen Wandel. Die Künstler schufen kubofuturistische, suprematistische und konstruktivistische Werke. Die Ausstellung zeigt diese Vielfalt der künstlerischen Stile eindrücklich auf.

Monumentale Glasinstallation der 1987 geborenen Künstlerin Daria Koltsova

Das farbenfrohe, fast schon fröhliche Aquarell „Lebensbaum“ von Marija Synijakowa aus dem Jahr 1914 verdeutlicht ihr Interesse an der Natur und lokalen Traditionen. Anatol Petryzkyis düsteres Ölgemälde „Die Invaliden“ aus demselben Jahr entfaltet eine gegensätzliche Wirkung.

Und immer wieder holt den Betrachter die aktuelle Lage ein, wenn er sich etwa bei Oleksandr Bohomazows „Blick auf Kyjiw“ (1913–1914) fragt, wie dieser Blick heute ausfallen würde. 1927 malte derselbe Künstler Arbeiter beim „Schärfen der Sägen“. Hier weist der Stil schon deutlich auf die ideologischen Vorgaben des sozialistischen Realismus hin. Von der Leichtigkeit vergangener Gemälde ist nichts geblieben.

Neben Werken aus Kiew konzentriert sich die Schau auf das Kulturzentrum Charkiw. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine findet ihren Niederschlag auch in der monumentalen Glasinstallation der 1987 geborenen Künstlerin Daria Koltsova.

Das beeindruckende Werk schlägt den Bogen in die Gegenwart und macht nochmal einmal das gesamte Spannungsfeld auf. Sie bildet das in den 1920er Jahren errichtete Derschprom-Gebäude ab, seinerzeit der größte Stahlbetonbau Europas. Das erste sowjetische Hochhaus ist für die Bewohner der Stadt gerade auch in Zeiten des Krieges ein wichtiges Zeichen ihrer Identität, vergleichbar mit der Beziehung, die die Kölner zum Dom haben, wie die ukrainische Kuratorin Yuliia Berdiiarova erläutert.

Und zugleich ist der Bau eine schmerzhafte Erinnerung an historische Wunden. Die Technik der Bleiverglasung, die deutsche Betrachter direkt an Kirchenfenster erinnert, hat in der sowjetischen Kunst eine wichtige Rolle gespielt. So nimmt Koltsova direkten Bezug auf das schwierige kulturelle Erbe, das sie aus der Düsternis in ein glänzendes Licht taucht.

Für Yuliia Berdiiarova ist das Kunstwerk ein Zeichen für den Widerstand und die Sichtbarkeit, die auch die Ausstellung schaffen soll: „Der Krieg ist eine Tragödie, wir sprechen über unsere komplizierte Vergangenheit, aber wir träumen auch unsere Zukunft.“


Die Ausstellung „Ukrainische Moderne 1900-1930 & Daria Koltsova“ ist bis 24.September im Museum Ludwig zu sehen. Jeden Samstag von 15 bis 17 Uhr: „ Kunst: Dialoge in der Ausstellung“. Jeden Sonntag um 15 Uhr gibt es eine öffentliche Führung durch die Ausstellung. Eintritt frei für Geflüchtete aus der Ukraine