Unesco berät über den Wiederaufbau von Palmyra
Istanbul – Am Ende seiner Amtszeit als Bürgermeister von London zeigte sich Boris Johnson nals vermeintlicher Retter des syrischen Kulturerbes: Auf dem Trafalgar Square enthüllte der konservative Politiker Mitte April einen originalgetreuen Nachbau des berühmten Triumphbogens, den Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der historischen Oasenstadt Palmyra gesprengt hatten.
Mit der Rekonstruktion des Bauwerks solle ein Zeichen gegen den Versuch von Extremisten gesetzt werden, Geschichte mit Hilfe von Terror auszulöschen, sagte Johnson: „Es ist unsere Pflicht, dieses gemeinsame Erbe zu erhalten.”
Darüber gibt es auch unter Fachleuten keine zwei Meinungen. Rund vier Monate nach der Vertreibung der Extremisten aus Palmyra läuft unter Experten eine intensive Debatte darüber, wie mit dem Weltkulturerbe in Zentralsyrien umgegangen werden soll. In barbarischer Art und Weise zerstörten die Dschihadisten in ihrer zehnmonatigen Herrschaft über Palmyra einzigartige Bauten, die 2000 Jahre überlebt hatten: neben dem römischen Triumphbogen auch die Tempel Baal und Baal-Schamin - für die Extremisten Orte des „Unglaubens” und der „Vielgötterei”, die dem Erdboden gleichgemacht werden müssten.
Die Replik von Trafalgar zeigt Fluch und Segen moderner Methoden zugleich. Mit Hilfe neuer 3D-Technologie lassen sich mittlerweile solche Nachbildungen vergleichsweise einfach errichten. Ein 3D-Drucker ließ den Triumphbogen aus ägyptischem Marmor wieder auferstehen, wenn auch um etwa ein Drittel kleiner als das zerstörte Original.
Doch für viele Fachleute sind derartige Replikas ein Alptraum, weil sie darin romantisierende Rekonstruktionen in Manier eines Disney-Freizeitparks sehen. Auch der Altorientalist Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin, warnt vor einer „billigen Reproduktion, die dem Ort nicht angemessen ist”. Die Aktion auf dem Trafalgar-Square habe sehr deutlich Möglichkeiten und Grenzen von 3D-Rekonstruktionen aufgezeigt: „Sie eignen sich als Denkmale der Solidarität und des Widerstands gegen Kulturzerstörung, aber als Ersatz für zerstörte Bausubstanz sind sie ungeeignet.”
Doch was tun mit den Trümmern in Palmyra? Die gute Nachricht: Die Verwüstung in der Oasenstadt ist nicht so groß wie befürchtet. Nur rund 20 Prozent des Welterbes sind laut einer ersten Bestandsaufnahme syrischer Experten zerstört. Mechthild Rössler, Direktorin des Welterbezentrums, rechnet damit, das sich etwa der Triumphbogen „relativ einfach” wieder aufbauen lässt, weil seine Trümmer in großen Teilen erhalten sind. Die beiden Tempel sind hingegen pulverisiert.
Rössler gehörte zu einer Expertenkommission der Unesco, die Ende April nur wenige Wochen nach der Vertreibung des IS für vier Tage in Palmyra war. Wegen des Bürgerkriegs sei das eine ihrer bisher schwierigsten Missionen gewesen, erzählt die Deutsche.
Die Experten konnten viele Stätten nur von weitem begutachten, weil die IS-Extremisten große Teile der Stadt mit Sprengfallen versehen hatten, bevor sie flohen. Die russische Armee hat laut Rössler mittlerweile 4000 Minen entfernt. Noch immer aber ist Palmyra nicht sicher genug, als dass Experten dort ohne Gefahr arbeiten könnten. Dabei ist für die Fachleute klar: Ehe über die Zukunft Palmyras entschieden wird, ist eine detaillierte Bestandsaufnahme der Schäden nötig.
Möglichkeiten, zerstörte Bauten auch ohne Nachbildungen wiederauferstehen zu lassen, gibt es einige. Rössler kann sich virtuelle Rekonstruktionen auf Smartphones, Projektionen oder ein Dokumentationszentrum vorstellen. Replikas sieht sie ebenfalls skeptisch: „Rekonstruktion ist nicht erlaubt im Rahmen der Welterbekonvention”, sagt sie.
Besonders kompliziert wird die Debatte über Palmyras Zukunft durch ihre politische Dimension. Syriens Regime scheint ein großes Interesse daran zu haben, die Welterbestätte so schnell wie möglich wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen, um so zu demonstrieren, dass sie Herr der Lage in dem Bürgerkriegsland ist. Schon Anfang Mai gab ein Orchester aus St. Petersburg unter Leitung des russischen Dirigenten Valery Gergiev in Palmyras Amphitheater ein Sinfoniekonzert - für Kritiker reine Propaganda.
So manches Mitglied im Welterbekomitee der Unesco beobachtet Syriens Vorgehen mit großem Argwohn. „Man darf die Verantwortung des syrischen Regimes bei der Zerstörung des Welterbes in seinem eigenen Land nicht außer Acht lassen”, sagte Frankreichs Vertreter, Laurent Stefanini. Deshalb warne er davor, dass Damaskus die Arbeit der Unesco instrumentalisieren könnte.
Im Kopf dürfte der Franzose neben Palmyra auch die zerstörte Altstadt von Aleppo gehabt haben - bis heute ist dieses Unesco-Welterbe regelmäßig Ziel von syrischen Luftangriffen. „Wenn man auf die Bombardierungen schaut, die von Damaskus angeordnet werden, dann müssen wir Klarheit bewahren”, mahnte Stefanini. (dpa)