Regisseur Nuran David Calis adaptiert den Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“ der Büchner-Preisträgerin Emine Sevgi Özdamar im Kölner Schauspiel.
Uraufführung am Schauspiel KölnIst das Theaterleben auch eine Art Migrationsgeschichte?
Die Toten will Emine Sevgi Özdamar in ihrem Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“ zum Sprechen bringen, ihr noch Ungesagtes ausgraben. Von erlittenem Unrecht könnten die Toten erzählen, vom Völkermord an den Armeniern – das hatte ihr die Großmutter aufgetragen – oder vom sogenannten Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, zu dem freilich nur die Lebenden gezwungen waren: Die griechischen Türken und die türkischen Griechen wurden zwangsumgesiedelt, ihre Ahnen ließen sie unter der Erde zurück.
Emine Sevgi Özdamar sucht aber auch die Toten in der Fremde auf und findet Trost bei Édith Piaf auf dem Père Lachaise, bei John Heartfield und Bertolt Brecht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. In Istanbul hatte sie Brecht gespielt, die Witwe Begbick in „Mann ist Mann“, sie war eine Schauspielerin mit besten Aussichten, war Charlotte Corday in Peter Weiss' „Marat/Sade“, war Ophelia. Doch die Militärdiktatur beraubt sie ihrer Karriere und im deutschen Exil bleibt sie die Türkin, wenn du gehst, hatte eine kluge Krähe sie gewarnt, kommst du in Berlin als Putzfrau an. Aber sie findet einen Job als Regieassistentin an der Ost-Berliner Volksbühne bei Benno Besson, dem Brechtschüler. Und der nimmt sie mit nach Paris, nach Avignon.
Die Heimatlosigkeit der Theaterleute spiegelt bei Emine Sevgi Özdamar diejenige der Migranten
Neue Sprachen, prekäre Verhältnisse, ein Vorhang, der jederzeit zugehen kann: Die Heimatlosigkeit der Theaterleute spiegelt diejenige der Migranten. Emine Sevgi Özdamar hat beides erlebt, weshalb „Ein von Schatten begrenzter Raum“ auch ein großer Theaterroman geworden ist. Da wirkt es fast zwingend, dass er für die Bühne adaptiert wird – und ebenso zwangsläufig erscheint, dass Nuran David Calis mit dieser von Stawrula Panagiotaki besorgten Bühnenfassung seine finale Regiearbeit für die Ära Bachmann abliefert, zuletzt hatte er, ebenfalls im Depot 2, einen eher dokumentarischen Abend über Flucht und Exil inszeniert.
Nun stellt er sich ganz in den Dienst der sprachmächtigen Ex-Kollegin, hat ihre Erzählstimme auf drei Schauspielende verteilt, die in kurzer Zeit auch sehr viel Text zu bewältigen haben, er hat ihr einen Erinnerungsraum (Bühne: Anne Ehrlich) zur Verfügung gestellt, in dessen Mitte ein drehbarer, seitlich aufgerissener Waggon aus seligen Bundesbahn-Zeiten steht, als Symbol eines Lebens im Transit.
Aus den Fenstern des Silberlings schauen abwechselnd Michaela Steiger, Kristin Steffen und Daron Yates in schwarzen Perücken und mit dickem Unterlidstrich, während ihre Mitstreiter links und rechts davon für die Kameras posieren. Die Live-Aufnahmen werden auf eine Leinwand oberhalb des Waggons übertragen, oft ergänzt von Storyboard-Skizzen, wie sie die Autorin früher von Theaterproben anfertigte. In Köln zeigen sie das echte Leben von Emine Sevgi Özdamar, auf und abseits der Bühne. Nuran David Calis hat sie selbst gezeichnet, wohl als Hommage. Die eindrucksvolleren Bilder entstehen in diesen mitreißenden 100 Minuten aber durch die Sprache selbst. Ein Fresko in einer verlassenen orthodoxen Kirche orakelt, Krähen mahnen oder sind es schwarz gefiederte Schauspieler? Später lässt die Autorin selbst in ihrem ersten Theatertext „Karagöz in Alamania“ einen Esel für sich sprechen.
Das Stück hat sie am Schauspielhaus Bochum geschrieben, ermuntert von dessen Intendanten Matthias Langhoff und Heiner Müller, der dort gerade seinen „Auftrag“ inszeniert. Das alles ist deutsche Theatergeschichte – Kristin Steffen kaspert mit Vergnügen als Benno Besson auf Pariser Caféterrassen, Michaela Steiger schmaucht und schmatzt als Heiner Müller und spuckt genüsslich Tabakkrümel aus den Mundwinkeln. Emine Sevgi Özdamar ist zugleich mittendrin und an der Peripherie. Als sie während einer Probenflaute in Langhoffs Inszenierung von Thomas Braschs „Lieber Georg“ den Einfall hat als türkische Putzfrau über die Eislauf-Fläche der Bühne zu fegen, bekommt sie endlich ihre langersehnte erste Bühnenrolle in Deutschland, aber die Kollegen ziehen sie mit dümmlichen Rassismen auf. Es ist so, wie die Krähe warnte.
Und doch nicht: Denn als Schauspielerin und Autorin hat sie sich in die deutsche Theater– und Literaturgeschichte eingeschrieben, vor zwei Jahren wurde sie mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Als ihr Deutsch dazu ausreichte, heißt es an einer Stelle des Romans, habe sie zuerst Kafka gelesen. Die hellsichtigste deutschsprachige Literatur kommt immer von den Rändern her. Oder aus dem Exil.
Benno Besson und Heiner Müller leisten heute Brecht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof Gesellschaft. Noch mehr Tote, die in „Ein von Schatten begrenzter Raum“ lebendig werden. Mit der Kraft des Romans kann der Abend nicht mithalten. Aber wie Kunst im Transit entsteht, in erzwungenen oder freiwilligen Fluchtbewegungen und mutigen Grenzüberschreitungen, das zeigen Nuran David Calis und sein Ensemble sehr eindrücklich.
Regie: Nuran David Calis, Bühnenfassung: Stawrula Panagiotaki, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Sophie Klenk-Wulff, Musik: Vivan Bhatti, Licht: Michael Frank, Storyboards: Nuran David Calis, Dramaturgie: Ida Feldmann, mit: Kristin Steffen, Michaela Steiger, Daron Yates, Termine: 10., 14., 20. Mai, 6. Juni, 100 Min., keine Pause, Depot 2