Ute Lemper: Ich liebe New York - und bleibe Europäerin
Berlin/New York – Eigentlich wollte Ute Lemper in diesem Sommer wieder in der alten Heimat sein und auf großen Festivals auftreten. Nun muss auch die international renommierte deutsche Chanson-, Jazz- und Musical-Sängerin zu ihrem neuen Album „Rendezvous With Marlene” Skype-Interviews aus dem Homeoffice geben.
Die Deutsche Presse-Agentur fragte nach Heimatgefühlen, Lempers Beziehung zu Marlene Dietrich und ihren Zukunftsplänen.
Frage: Hallo Ute Lemper, Sie befinden sich mit Ihrer Familie in einem Epizentrum der Corona-Pandemie. Wie geht es Ihnen in New York?
Antwort: Die Stadt ist sehr still. Man kann morgens bis 9 Uhr schlafen, ohne irgendwelche Sirenen oder Geschrei zu hören. Aber es ist zugleich gruselig. Besorgniserregend ist auch, dass es in Amerika nun noch verstärkt eine andere Krankheit neben der Pandemie gibt: Arbeitslosigkeit und Armut. Das Kulturleben ist zusammengebrochen - keine Ahnung, wann das alles wieder geöffnet wird. Vielleicht können die kleineren Jazzclubs im Herbst aufmachen, aber Festivals und große Bühnen bestimmt nicht.
Frage: Wie empfinden Sie die politische Situation in den USA, mit so einer schlimmen Epidemie im Jahr der Präsidentenwahl?
Antwort: Ich denke, mehr als der Verlust von Menschenleben ist für Donald Trump die Wirtschaft das Problem. Wir kennen ja seine Prioritäten. Dass die Wirtschaft jetzt wegen der Pandemie den Bach runtergeht, ist für Trump so kurz vor der Wahl eine Katastrophe. Aber ich habe auch 2016 nicht erwartet, dass er gewinnt. Es würde mich also nicht wundern, wenn er nochmal gewählt wird.
Frage: Sie leben schon lange in den USA. Sind sie eigentlich inzwischen Amerikanerin, und empfinden Sie das Land als Ihre Heimat?
Antwort: Ich habe meine Green Card seit 1993, als ich meinen ersten Mann geheiratet habe, der Amerikaner war. Meine vier Kinder haben alle eine doppelte Staatsbürgerschaft - die deutsche und die amerikanische. Ich selbst wollte nie den amerikanischen Pass haben. Ich liebe New York, aber ich fühle mich nicht als Amerikanerin, sondern als Europäerin. Und Gott sei Dank führen mich meine Tourneen auch immer wieder nach Europa.
Frage: Sie gelten hier bei vielen als Musical-Sängerin. Passt das überhaupt noch?
Antwort: Ach, das ist über 20 Jahre her. Das Genre passte damals ja ganz gut zu mir, weil ich eine Gesangs-, Tanz- und Schauspielausbildung hatte und im Musical alles gleichzeitig machen konnte. Aber das war nie mein Zuhause, der Begriff Musical-Sängerin nervt mich eher. Ich kann mir so eine Stimme antrainieren, finde sie aber eigentlich unmusikalisch. Viel mehr liebe ich die Freiheit des Jazz oder auch der Sprechstimme. Aber egal - mit solchen Schubladen bin ich ja jetzt schon Jahrzehnte umgegangen.
Frage: Mit „Rendezvous...” erweisen Sie nun einer Künstlerin Ihre Reverenz, mit der Sie früher oft verglichen wurden, etwa als „die Marlene aus Münster”. Wie kam es zu dem Projekt?
Antwort: Die CD ist natürlich eine Hommage an Marlene, aber überhaupt keine Imitation, sondern von vorne bis hinten Ute Lemper. Das Album wurde sehr organisch und homogen produziert, eigentlich wie auf der Bühne. Wir haben vier Tage lang losgelegt und 22 Lieder aufgenommen - zunächst mal nicht in dem Bewusstsein, dass daraus eine CD wird. Ich habe bewusst „kleiner” gesungen, gar nicht im Broadway-Stil. Denn je älter ich werde, desto mehr liebe ich es, ganz ganz leise zu singen. Diese Lieder sind daher sehr pur, sehr intim.
Frage: War der Ursprung dieses Albums tatsächlich ein langes Telefongespräch, das Sie vor über 30 Jahren mit Marlene Dietrich geführt haben?
Antwort: Ja, wegen dieses Gesprächs fühle ich eine bestimmte Kenntnis von Marlene. Ich habe das Beben in ihrer Stimme gehört, die Melancholie. Das war 1988, da hatte man natürlich kein iPhone, mit dem man so etwas aufzeichnen kann. Insofern habe ich davon jetzt nur noch meine Erinnerung. Marlene hat damals über Traurigkeit geredet, sie hat nochmal über ihre Geschichte mit den Deutschen gesprochen: Die mögen mich doch nicht, das weißt Du doch. Dass auch noch ihre Tochter sie abgelehnt hat, das war zu viel für sie. Sie war traurig, aber immer noch stark - und sehr gebildet.
Frage: Welche der Dietrich-Lieder liegen Ihnen besonders am Herzen?
Antwort: Auf der Bühne finde ich „Marie, Marie” immer wunderbar, weil es so wahnsinnig traurig ist. Das ist dieses Nachkriegslied, da steckt so viel Schmerz drin. Man kann es ja fast nicht singen, sondern eher nur sprechen. Das ist mein Lieblingslied. Oder auch die „Ruinen von Berlin” von Friedrich Hollaender. Wahnsinnig gruselig, dieses Lied, geschrieben von einem Berliner Juden, der früh genug nach Amerika emigrierte und dort ein berühmter Hollywood-Komponist wurde. Aber auch „easy songs” wie „One For My Baby” finde ich super.
Frage: Sehen Sie sich heute selbst als Kosmopolitin? Oder haben Sie irgendwo eine Heimat gefunden?
Antwort: Das Kosmopolitische war für mich immer willkommene Realität. Ob in England, Frankreich oder jetzt in den USA: Ich konnte stets sehr natürlich Teil dieser Kulturen sein - aber nur zu 75 Prozent. Zu 25 Prozent bin ich dann doch immer Ausländerin geblieben, jemand, der sich das Ganze von außen anschauen musste und konnte. Das hat sich ab und zu seltsam angefühlt. Dieses Gefühl, Teil einer bestimmten Kultur zu sein, hatte ich eigentlich nie. Ich habe mich auch immer sehr wohl damit gefühlt, mein eigenes Ding zu machen.
Frage: Und wie ist es heute - haben Sie noch den berühmten „Koffer in Berlin” und enge Beziehungen zu Deutschland?
Antwort: Mein Vater lebt ja noch in Münster, er ist 85. Mein Bruder ist dort mit seiner Frau, außerdem Cousinen und Cousins, Onkels und Tanten. Und Berlin - das ist einfach ein Stück meines Lebens. Als ich dort 1984, lange vor dem Mauerfall, aus Wien hingezogen bin - das hat mich als Deutsche geprägt, als Mensch geprägt, als Künstlerin geprägt. Ich bin da nicht nur auf der Durchreise. Ich habe dort viele, viele Konzerte gegeben und erfahre viel Liebe und Respekt.
Frage: Wie sehen Sie Deutschland heute, etwas aus der Ferne?
Antwort: Zunächst einmal sehe ich ein Land, das seinen Menschen so viel bietet, das in Politik und Wirtschaft so transparent ist wie kein anderes. Ein beispielhaftes Land - also zuerst einmal sehe ich nur Positives. Auch dass man dort ein offenes Herz und Empathie hat für Menschen, die Asyl brauchen. Und wenn wir in Deutschland Konzerte geben, dann denken wir: Jetzt müssen wir uns keine Sorgen mehr machen! Alles ist gut organisiert, das Catering ist super, die Promoter kümmern sich um uns, wir werden geliebt von den Leuten. Aber dann gibt es natürlich auch diese Rechtsextremen, ihre Unfähigkeit zur Empathie, ihren Menschenhass.
Frage: Sie haben schon 1995, mit 32, Ihre Autobiografie „Unzensiert” vorgelegt. Könnte da nochmal etwas folgen? Und wie geht es nach der Corona-Krise mit Auftritten in Deutschland weiter?
Antwort: Damals hatte mich der Henschel-Verlag gebeten, doch mal etwas zu schreiben, ich habe dann einfach losgelegt. Kann sein, dass in diesem Jahrzehnt noch was nachkommt. Es würde sich auf jeden Fall lohnen. Zu den Konzerten: Ich war dieses Jahr für große Festivals in Deutschland gebucht, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Rheingau. Wir werden sehen, wann solche Großveranstaltungen wieder erlaubt sind. Wenn wir es im Herbst nicht mehr schaffen, dann 2021.
ZUR PERSON: Ute Lemper, 1963 in Münster geboren, wurde mit Musicals wie „Cats”, „Cabaret” oder „Chicago” international bekannt. Sie arbeitete als Schauspielerin und feierte als Sängerin große Erfolge mit Musik von Kurt Weill, Michael Nyman, Jacques Brel oder Astor Piazzolla. Seit den 90ern lebt Lemper in den USA. Sie ist mit dem Musiker Todd Turkisher verheiratet und hat vier Kinder aus zwei Ehen.
Das Album „Rendezvous With Marlene” von Ute Lemper erscheint am Freitag (22.5.) über Jazzhaus Records/In-Akustik. (dpa)