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Interview

Verhaltensforscher und Biologe
„Heutige Technologie überfordert unser Steinzeitgehirn“

Lesezeit 7 Minuten
Ein Messebesucher geht an einem Leuchtdisplay auf der CeBIT in Hannover vorbei.

Wie könnte eine Welt aussehen, in der es starke KIs und Superintelligenzen gibt?

In seinem neuen Buch beschäftigt sich Karsten Brensing mit menschlichen Verhalten - und mahnt einen anderen Umgang mit Künstlicher Intelligenz an.

Herr Brensing, Sie behandeln in Ihrem neuen Sachbuch „Die Magie der Gemeinschaft“ das Thema Künstliche Intelligenz? Was hat ein Meeresbiologe mit KI zu tun?

Karsten Brensing: Ja, das klingt erstmal komisch - ein Biologe, der über Künstliche Intelligenz schreibt. Aber aus der Perspektive der Verhaltensbiologie ist das eigentlich gar kein Unterschied. Während wir die Künstliche Intelligenz programmieren, wurden Menschen und Tiere sozusagen durch die Evolution programmiert. Wir sprechen ja zum Beispiel im Rahmen von KI auch von künstlichen neuronalen Netzen, weil wir in unserem Gehirn neuronale Netze haben.

Was mich als Verhaltensbiologe aber eigentlich interessiert, ist Verhalten. Genauer: Wie verhalten sich Systeme? Und das ist irrsinnig spannend, weil wir in den letzten zwei Jahrzehnten zum Beispiel die Tiere und ihr Verhalten viel besser verstanden haben.

Inwiefern?

Das alte Bild, dass Tiere nur Instinkten folgen, dass sie nicht denken und fühlen können - das ist komplett vom Tisch. Viele kluge Experimente, die auch im Buch vorkommen, haben beispielsweise logisches Denken, Bewusstsein oder Gefühle untersucht. Und all das wurde eben nicht nur bei uns, sondern auch bei Tieren gefunden.

Spannenderweise wenden wir diese Tests gerade bei Künstlicher Intelligenz an - und es ist überraschend, was dabei herauskommt. Insofern ist es momentan eine irrsinnig spannende Zeit, mit Herausforderungen, denen wir bisher noch nicht begegnet sind.

Die KI-Debatte geht an der Realität vorbei

Aber was hat das Verhalten von Mensch und Tier mit Künstlicher Intelligenz zu tun?

Uns interessiert natürlich, wie die Zukunft aussieht. Aktuell haben wir - zum Beispiel mit ChatGPT - sogenannte schwache Künstliche Intelligenzen, die nur bestimmte Sachen gut können. Aber es sind sich eigentlich alle Experten sicher, dass es nicht bei so einer schwachen KI bleibt. Über kurz oder lang werden da richtige Personen oder Entitäten entstehen, eine starke Künstliche Intelligenz also.

Ich bin ein bisschen nervös, wenn ich mir anschaue, wie wir gerade mit der Debatte um diese starke KI umgehen. Da geht es eigentlich immer um die Frage: Wie bringt man eine KI auf eine Linie mit unseren Werten?

Das Problem dabei ist: Wir kennen unsere Linie überhaupt nicht! Wir Menschen haben noch nicht einmal eine klare Vorstellung unseres eigenen Wertes - also zum Beispiel, für wie viel Geld wir uns verkaufen würden. Ähnlich sieht es bei der Moral aus. Auf der einen Seite ist jemand so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Auf der anderen Seite gibt es aber in der Praxis viele Beispiele, in denen man sagt: „Ich sperre lieber einen Unschuldigen ein, als dass ich viele Verbrecher frei herumlaufen lasse, die dann vielleicht hunderte Menschen gefährden.“

Wir haben nicht einmal eine klare Vorstellung unseres eigenen Wertes.
Karsten Brensing über menschliche Werte

Wir haben keine klare Wert- und Moralvorstellungen. Wie sollen wir dann eine KI, die nur vorhandene Daten als Grundlage nutzt, auf eine entsprechende Linie bringen?

Wie wir in Zukunft mit einer starken KI umgehen sollten

Sie sind also mit dem aktuellen Weg in Bezug auf Künstliche Intelligenz unzufrieden?

Absolut. Ich habe den Eindruck, dass derzeit viel an der Realität vorbeigeht. Wir diskutieren immer riesig breit über KI, aber gehen niemals in den Kern. Mein Rat ist: bitte lasst uns zurück auf die Biologie schauen. Wir haben im Verlauf der Evolution unzählige Beispiele dafür, wie unterschiedliche Individuen oder auch Entitäten zusammenkommen und im Miteinander etwas Besseres, Größeres, Genialeres erzeugen. Sonst wäre zum Beispiel das Leben gar nicht entstanden.

Das ist die „Magie der Gemeinschaft“, die sich wie ein roter Faden durch die Evolution zieht. Es war immer die Kooperation, die zu einer Verbesserung geführt hat, nicht das Hauen und Stechen. Und so würde ich gerne auch unser zukünftiges Miteinander mit einer starken KI-Entität sehen.

Es war immer die Kooperation, die zu einer Verbesserung geführt hat.
Karsten Brensing über den Erfolg der Evolution

Ich glaube nicht, dass uns eine starke KI einfach auslöschen wird. Vielleicht ist sie vernünftiger als wir und versteht, dass Kooperation zu mehr führt. Wenn wir ihr jedoch von vornherein eine Persönlichkeit absprechen, sie beschränken oder gar abschalten, bin ich sofort bei all den Hollywood-Szenarien, in denen wer weiß was für schlimme Sachen mit einer durchgedrehten KI passieren. Aber wie soll denn eine starke KI sonst reagieren, wenn wir sie so behandeln?

Nein, wir müssen, wenn sie da ist, sinnvoll und fair mit ihr umgehen. Und dann sind wir wieder bei diesem Kooperationsprinzip, das sich seit Milliarden von Jahren bewährt hat.

Je intensiver und positiver unser Sozialleben ist, desto glücklicher sind wir

Ihr Buch möchte auch ein Handbuch sein, mit dem wir in einer komplexen und krisengeplagten Welt zurück zum Glück finden. Was macht uns glücklich?

Ich versuche, im Buch anhand von ganz vielen Beispielen deutlich zu machen, wie wir Menschen im Allgemeinen ticken und wie wir im Verlauf der Evolution programmiert wurden.

Was uns glücklich macht, ist daher meistens ein Verhalten, das sich im Laufe der Evolution bewährt hat. Wenn man alle Statistiken und Glücksforschungen, die an den unterschiedlichsten Universitäten durchgeführt werden, auf einen Nenner bringt, dann ist dieser Nenner unser Sozialleben.

Je intensiver und positiver das Sozialleben empfunden wird, je sicherer man sich im sozialen Netz geborgen fühlt, desto länger lebt man und desto gesünder und glücklicher ist man.

Die komplexe Welt, in der wir leben, und die technologische Entwicklung macht uns allerdings nicht glücklich. Die vielen Herausforderungen und Entwicklungen überfordern unser Steinzeitgehirn.

Und Smartphones und Soziale Medien sind so suggestiv und attraktiv, dass wir dort hineingezogen werden. Sie basieren ja auf Interaktion, und wir sind programmiert darauf, zu interagieren. Ich bin da keine Ausnahme, ich lese in der U-Bahn auch eher die News auf dem Smartphone, als mich mit meinem Sitznachbar zu unterhalten. So geht die Interaktion aber in ein technisches Gerät - und nicht in unser Sozialleben.

Soziale Medien zerstören das Fundament unserer Gesellschaft

Wie sehen Sie die Entwicklung, dass immer mehr Jugendliche und Kinder vor dem Smartphone und den Sozialen Medien hängen?

Ich sehe das mit großer Sorge. Was wir zum Beispiel jetzt schon wissen und messen können, ist, dass der Handschlag bei Kindern weniger stark ist als noch vor 20 Jahren. Wir waren - wenn auch nur im Durchschnitt - früher stärker!

Was wir noch nicht genau absehen können, ist, was das Smartphone mit unseren Köpfen und unserem Sozialleben macht. Aber klar ist: Vor dem Smartphone und dem Computer haben wir die Zeit mit echten sozialen Kontakten verbracht. Es ist sehr beunruhigend, wenn das in Zukunft nicht mehr der Fall ist und wir unser Sozialleben verringern, wenn wir mehr Zeit mit KI-Freunden verbringen.

Wir wären heute nicht die erfolgreichste Art auf diesem Planeten, wenn wir nicht dieses intensive Sozialleben gehabt hätten. Wenn wir das abbauen, zum Beispiel durch Soziale Medien und künstliche Interaktionspartner, dann zerstören wir das Fundament unserer Gesellschaft.

Wir wären heute nicht die erfolgreichste Art auf diesem Planeten, wenn wir nicht dieses intensive Sozialleben gehabt hätten.
Karsten Brensing

Wie kommen wir aus dieser Entwicklung raus?

Das können wir meiner Meinung nach nur durch bewusstes Denken und Wahrnehmen ändern. Wir sind da auf unsere höheren kognitiven Leistungen angewiesen. Verbote von Sozialen Medien oder Künstlicher Intelligenz bringen da überhaupt nichts.

Das Einzige, was meiner Meinung nach hilft, sind Bildung und Verständnis. Aus der Sicht der Verhaltensbiologie bedeutet das, dass wir Menschen uns mehr auf das besinnen sollten, was wir eigentlich sind. Wir müssen akzeptieren, nicht fehlerfrei zu sein. Und wir müssen akzeptieren, dass wir nicht so rational denken und handeln, wie wir gerne von uns glauben.

Verbote bringen überhaupt nichts. Das Einzige, was hilft, sind Bildung und Verständnis.
Karsten Brensing zum Umgang mit Sozialen Medien und KI

Wenn wir unserem Sozialleben aber ein bisschen mehr Augenmerk zuwenden, und das möchte mein Buch, werden wir wieder mit diesen tollen Sachen belohnt, die sich im Laufe der Evolution bewährt haben: nämlich mit guten, positiven Gefühlen und mit Glück.


Karsten Brensing, Jahrgang 1967, ist Verhaltensforscher und Meeresbiologie. Er wurde mit einer Arbeit über das Verhalten von Delfinen promoviert und war zehn Jahre lang am Whale and Dolphin Conservation (WDC) tätig. Außerdem arbeitete er unter anderem als Berater für die Europäische Kommission, verschiedene deutsche Ministerien sowie Umwelt- und Tierschutzorganisationen. Sein Sachbuch „Das Mysterium der Tiere“ (2017) war ein Bestseller, ebenso sein preisgekröntes Kinderbuch „Wie Tiere denken und fühlen“ (2019).

Autorenfoto von Karsten Brensing.

Autorenfoto von Karsten Brensing.

Karsten Brensing: Die Magie der Gemeinschaft. Was uns mit Tieren und künstlichen Intelligenzen verbindet. Berlin Verlag, 320 Seiten, 24 Euro.

Zu sehen ist das Buchcover von Karsten Brensings Sachbuch „Die Magie der Gemeinschaft“.

Buchcover zu „Die Magie der Gemeinschaft“ von Karsten Brensing