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„Verknallt in einen Talahon“Warum der erste KI-Song in den Charts rassistische Klischees bedient

Lesezeit 5 Minuten
Das KI-generierte Bild im Comic-Stil zeigt eine blonde Frau vor einer Gruppe von jungen, südländisch aussehenden Männern in Trainingsanzügen.

„Verknallt in einen Talahon“ ist die erste KI-Single in den deutschen Charts

Der Künstler Butterbro arbeitet bei einem Bonner Software-Unternehmen. Mit seiner Pioniertat hat er sich keinen Gefallen getan.

Von Computern erschaffene Musik gibt es schon seit beinahe 70 Jahren: 1957 komponierte der Großrechner ILLIAC I an der Universität von Illinois ein Streichquartett, jeder Satz entspricht einem anderen Algorithmus. Bis auf die außergewöhnlichen Umstände seiner Entstehung hatte das Stück keinen weiteren Einfluss auf die Musikhistorie, jedenfalls fühlte sich kein zeitgenössischer Komponist von übermächtigen Maschinen bedroht.

Was uns zum neuesten Meilenstein computergenerierter Musik bringt, dem Lied „Verknallt in einen Talahon“ von Butterbro feat. udio.com. Das ist zwar bei weitem nicht der erste mithilfe einer Künstlichen Intelligenz produzierte Song, aber der Erste, der sich in den deutschen Charts platzieren konnte. Nicht zuletzt dank seiner rund drei Millionen Spotify-Aufrufe stieg Butterbro auf Platz 48 ein.

Hinter dem kalauernden Pseudonym Butterbro verbirgt sich kein professioneller Musiker, sondern der gebürtige Österreicher Josua Waghubinger, als „Head of Growth“ beim Bonner Software-Unternehmen Qvest AG angestellt. Und auch „udio.com“ ist nicht etwa das Pseudonym eines Rappers, sondern die Domain eines KI-Musikgenerators, auf der man mithilfe eines direkt auf der Homepage eingegebenen Prompts – eine nur wenige Begriffe umfassende Beschreibung des gewünschten Inhalts und Stils – binnen kürzester Zeit ein frisch errechnetes Musikstück erhält. Es ist kinderleicht. Aber ein Geduldsspiel. Er habe rund hundert Generationen von Rechen-Vorgängen gebraucht, bis der Song im Kasten war, erklärt Waghubinger auf seinem TikTok-Kanal.

Musikalisch ist „Verknallt in einem Talahon“ von faszinierender Scheußlichkeit: Mit seinen seifigen Geigen und dem leicht angeschickerten Schunkelrhythmus erinnert das Lied an ein nahezu vergessenes Genre, den deutschen Country-Schlager à la „Ein Bett im Kornfeld“ oder „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Im krassen Gegensatz dazu steht der Text: „Letzte Woche Kirmes war anders wild/ Ich hab‘ mit den Chayas am Autoscooter gechillt/ Da hab‘ ich einen Talahon aus der Ferne erkannt/ Mit Seiten auf null und Vape in der Hand“, singt eine forsche, sich vor Vergnügen fast überschlagende Frauenstimme, sie ist selbstredend ebenfalls künstlich generiert.

„Talahon“ findet man auf der aktuellen Vorschlagsliste für das Jugendwort des Jahres 2024

Sie reiht unter Verwendung gängigen Pausenhof-Slangs Klischee an Klischee: Eine „Chaya“ hätte man zu Dieter Thomas Hecks Zeiten wohl noch als „Torte“ bezeichnet, den titelgebenden „Talahon“ findet man auf der aktuellen Vorschlagsliste für das Jugendwort des Jahres 2024: „Kommt aus dem Arabischen (‚ta'al lahon‘) und steht für ‚Komm her‘ und wird genutzt von und für Menschen mit stereotypen Merkmalen oder Verhalten“, schreibt Langenscheidt. Das ist ein Euphemismus, gemeint ist eine ganz bestimmte Art von Jungmann mit Migrationshintergrund, beziehungsweise das rassistische Vorurteil desselben. Im KI-Song trägt der begehrte Talahon Louis-Gürtel, Gucci-Cap und Air-Max-Schuhe, er besucht Shisha-Bars, verdient sein Geld „standardmäßig illegal“, zwischen den Scheinen finden sich Gerichtsbescheide – „und das Messer in der Tasche ist bestimmt nicht nur fürs Butterbrot“.

Das erinnert an den von Microsoft entwickelten KI-Chatbot Tay, der 2016 nach wenigen Stunden Einsatz auf der Kurznachrichten-Plattform, die damals noch Twitter hieß, aufgrund seiner zunehmend anzüglichen und rassistischen Wortmeldungen abgeschaltet werden musste. Aber der Text von „Verknallt in einen Tahalon“ ist gar nicht computergeneriert, er stammt von Waghubinger selbst. Der streitet im Podcast „Die Klangküche“ fremdenfeindliche Motive ab, er habe lediglich ein Thema gesucht, dass das Potenzial habe, viral zu gehen.

Das darf man ihm glauben, „Talahon“ ist seit 2022 ein beliebtes TikTok-Mem, als der Song „Ta3al Lahon“ des Deutschrappers Hassan auf der Plattform die Runde machte. In dem spricht der Talahon selbst, droht mit Faust, Klappmesser und Raubüberfall. Die Kurzvideos, die TikTok-User mit dem Song unterlegt haben, nutzen die Figur allerdings eher in parodistischer Absicht, oder, um eine Analogie aus vordigitaler Zeit zu benutzen, wie die Blondine in Blondinenwitzen.

Höchst fragwürdig ist der „Verknallt“-Text trotzdem. Waghubingers Verteidigung, er mache sich nur über bestimmte Meinungen und Verhaltensweisen lustig, nicht über die Herkunft, geäußert in einem Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, ist ausgesprochen schwach. Das Lied beschwört ein rassistisch und klassistisch konnotiertes Stereotyp: Hier macht sich ein leitender Angestellter über eine chancenlose Randgruppe lustig, das ist mindestens unappetitlich.

Originell erscheint dagegen die Verbindung mit Schlagermusik, die TikTok-Nutzern höchstens im Plattenschrank ihrer Großeltern begegnen könnte. Oder auf Youtube, denn hier findet man etliche KI-generierte Pseudoschlager, inklusive ebenfalls computererzeugter Bilder, die den Stil alter Vinyl-Single-Cover recht überzeugend imitieren. Die angeblichen Hitparadenstars tragen Namen wie Karina Huber oder Lola Paloma. Die Titel oder Texte der Songs wollen wir an dieser Stelle nicht dokumentieren, die Lieder beziehen ihren Humor aus der Verbindung von Fäkalwitz oder derber Zote mit schmissigen Wirtschaftswunderklängen. Im Vergleich dazu ist die Kombination von migrantischem Klischee und urdeutscher Unterhaltungsmusik schon fast wieder originell.

Trotzdem wird „Verknallt in einen Tahalon“ bleiben. Er ist schließlich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit der erste KI-Song, der in die Charts eingestiegen ist. Damit ist vom Computer komponierte Musik nicht länger nur eine akademische Übung oder ein Schülerwitz auf Youtube, sondern direkte Konkurrenz auf dem bislang rein menschlich besetzten Marktplatz. Kann Künstliche Intelligenz, die auf menschengemachten Datensätzen beruht, nur imitieren, oder wird sie in naher Zukunft etwas Originelles schaffen? Ist Josua Waghubinger als Texter und Prompt-Eingeber der wahre Urheber des Tracks und KI nur ein weiteres Werkzeug, wie ein Drumcomputer oder eine Musiksoftware? Das muss jetzt alles geklärt werden.

„Keine meiner Arbeiten hat die Welt verändert!“, bekennt Waghubinger freimütig in seinem professionellen Blog als Software-Generalist. Wenn er sich da mal nicht irrt.