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Virtuelles TheaterWarum das Schauspiel Köln jetzt auf einer Gamer-Plattform streamt

Lesezeit 3 Minuten
Hinter den Zimmern
von Wilke Weermann
Regie: Roman Senkl / Minus.Eins
 
Regie: Roman Senkl, minus.eins
Creative Coding & Virtual Production: Nils Corte, minus.eins, Phil Jungschläger
3D-Animation: Nils Gallist
Kameraarbeit & Bildgestaltung: Julian Pache
Live-Schnitt: Jonathan Kastl
Musik & Komposition: Harald Kainer
Bühne: Simon Lesemann
Kostüme: Julie Véronique Wiesen
Licht: Kasper Hagin
Dramaturgie: Lea Goebel
 
Foto: Still - Schauspiel Köln

Szene aus „Hinter den Zimmern“

Mit „Hinter den Zimmern“ suchen die Kölner Bühnen nach einem neuen Publikum auf Twitch. Beim Zugucken darf man sich gruseln.

Wer nicht aufpasst, sich zur falschen Zeit an die falsche Wand lehnt, der landet in den Zimmern hinter den Zimmern, den Backrooms, einer endlos-labyrinthischen Abfolge verlassener Räume, fahlgelbe Tapeten im flackernden Neonlicht. Wer nicht aufpasst, der bleibt für immer gefangen in dieser Öde des Realen.

Die Legende von den Backrooms hat ihren Ursprung im Internetforum 4chan, dem ewigen Quell viralen Irrsinns, etwa der rechten Verschwörungserzählung QAnon. Der Dramatiker Wilke Weermann und der Regisseur Roman Senkl haben solche verlorene Räume in den alten Werkstätten des Schauspiels Köln in Ehrenfeld gefunden: Hier soll ein junger Mann namens Sander van Doorn (Paul Basonga) durch eine Wand „geglitcht“ sein, ein Fehler in der Matrix hat ihn verschluckt. Wir folgen Alexander Angeletta und Kristin Steffen als Reporterteam Toto und Henni bei ihrem nächtlichen, nicht ganz risikofreien Live-Dreh.

Schauspieler chatten während der Vorstellung

Allerdings aus sicheren Abstand unserer Endgeräte: Das Schauspiel Köln streamt „Hinter den Zimmern“, die finale Premiere dieser Spielzeit (und alle folgenden Vorstellungen) kostenlos auf der von Gamern frequentierten Plattform Twitch. Wer sich dort anmeldet, darf sogar per Chat mit den Spielenden kommunizieren.

Auf Twitch konnte man schon vor anderthalb Jahren die Proben zu Luk Percevals Inszenierung von „Oblomow“ verfolgen – sie stellten sich anschließend als das ganze Stück heraus, die erste Vorstellung im sogenannten wirklichen Leben war zugleich die letzte. Im Publikum mischten sich die üblichen Premierenbesucher mit Computerspielern, die Theater begeistert als Überraschungsendgegner im höchsten Level feierten.

Soll niemand sagen, Köln hätte sich nicht bemüht, wenn es darum geht, neue Publikumsschichten fürs Schauspiel zu gewinnen.

Erinnerungen an Stanley Kubricks „The Shining“

Toto und Henni treffen in ihren Recherchen auf den Bruder des Verschwundenen, einen verschrobenen Hausmeister (Yuri Englert), der seiner dementen Mutter (Margot Gödrös) in den Werkstätten ihre alte Wohnung nachgebaut hat, und sie lernen den noch etwas seltsameren neuen Besitzer der Werkstätten kennen, Herrn Keyserthal (Andreas Grötzinger).

Spiel-Affine werden mit einer subjektiven „Luigi-Cam“ oder liebevollen Minecraft-Nachbauten der Werkstätten belohnt. Wer damit nichts anzufangen weiß, wird sich an die unmöglich verwinkelten Hotelflure aus Stanley Kubricks „The Shining“ erinnert fühlen, an die unterirdische Anlage voller Doppelgänger aus Jordan Peeles „Wir“, oder an Mark Z. Danielewskis Roman „Das Haus“. Letztlich führt der Erzählfaden zurück bis zum Mythos vom Minotauros. Obwohl sich tief im Labyrinth, um Andreas Grötzinger zu zitieren, womöglich gar kein Monster verbirgt: „Das Labyrinth selbst ist das Monster.“

Roman Senkl verknüpft den atemlosen Livestream mit aufwendigeren Einspielern und die echten Zimmer sehr geschickt mit zunehmend fantastischen im virtuellen Raum. Die technische Umsetzung allein lohnt den Besuch und wenn die Übertragung zwischendrin ein wenig wackelt, liegt das am ungeheuren Zuspruch der Internetgemeinde, zeitweise sollen rund 4000 User „Hinter den Zimmern“ verfolgt haben.

Freilich glitcht das Stück auch inhaltlich, wirkt mal wie das „Blair Witch Project“, mal wie eine „Drei ???“-Folge, während man den tiefer bohrenden Monologen der Figuren deutlich die Bühne anmerkt: Muss man eingreifen, statt immer nur die Kamera draufzuhalten? Was ist Fake, was echt? Woher rührt das moderne Gefühl, das Leben finde immer im Nebenraum statt?

So überzeugend wie die oben erwähnten Vorbilder verknüpft Wilke Weermann Unheimlichkeit und Erkenntnis noch nicht, aber es ist ja auch erstmal ein Experiment – und als solches mehr als gelungen.

Termine: 6., 22. Juni, jeweils 21-22.15 Uhr, eine Aufzeichnung kann man sich aber jederzeit auf Twitch anschauen. Zum Stream geht es hier.