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„Visions of Iran“ zeigt in Köln den Locarno-GewinnerWie steht es um die iranische Filmlandschaft?

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt eine Krankenschwester und einen Drogenkurrier, wie sie über das nächtliche Teheran blicken. Der Hintergrund ist verschwommen, man erkennt grob ein paar Gebäude und die Lichter.

Szene aus „Critical Zone“ von Ali Ahmadzadeh

Viele Filmemacherinnen und Filmemacher im Land wehren sich zunehmend gegen die Zensur. „Visions of Iran“ zeigt ihre Filme in Köln.

Eine Frau entkommt in einer nächtlichen Fahrt durch Teheran knapp ihren Verfolgern. Der Drogendealer ihres Vertrauens sitzt am Steuer, während sie im Rausch ihren Kopf - ohne Hijab - aus dem Dachfenster steckt und schreit: „Fuck you! Fuck you!“. Allein in dieser Szene des Films „Critical Zone“ von Ali Ahmadzadeh steckt so viel Zeitgeschehen, so viel Energie, dass es nicht verwundert, dass er 2023 im Filmfest von Locarno den Hauptpreis gewann.

Auch in Köln ist „Critical Zone“ bald zu sehen. Das Filmfestival „Visions of Iran“ zeigt vom 6. bis zum 9. Juni einige herausragende iranische Spielfilme und Dokumentationen, die teilweise schon auf den renommierten internationalen Filmfestivals liefen.

Der iranischen hat schon eine traditionelle Filmkultur

Doch wie steht es eigentlich um die Filmlandschaft im Iran? Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt Amin Farzanefar, der „Visions of Iran“ kuratiert, dass die Filmschaffenden dort lange mit einem fast unauflösbaren Widerspruch gelebt haben. „Es gibt im Iran eine starke Filmindustrie und ein cineastisch interessiertes Publikum. Nach der Revolution von 1979 hatte das neue Kultusministerium das Ziel, dass auf jedem internationalen Festival ein iranischer Film laufen soll.“

Diese staatliche Förderung geht aber mit einer starken Zensur einher. Sexualität darzustellen oder eine Frau ohne Hijab zu zeigen, sind klare rote Linien. Es ist auch tabu, ein Verhalten darzustellen, das als unmoralisch gilt, etwa der Konsum von Drogen. „Da gibt es aber Graubereiche. Der Regisseur kann immer sagen: Der Protagonist nimmt zwar Drogen, aber das wird ja nicht gutgeheißen. Und das war dann die Möglichkeit, immer mehr Realität in den Film einsickern zu lassen.“ Im Zweifelsfall habe man ein Drehbuch eingereicht und sei davon so weit wie möglich abgewichen. Am Ende feilschte man nochmal mit dem Zensor.

Filmemacher im Iran wehren sich gegen die Zensur

Nun brechen viele Filme, die auf dem Filmfestival in Köln zu sehen sind, vollständig mit diesen Regeln, wie der Kurator beschreibt: „Im letzten Jahr konnte man sehen, wie die Filmemacher sich ganz bewusst der Zensur widersetzen. Auch unter großem Risiko für die Filmschaffenden, die dann teilweise den Iran verlassen haben.“ Auch Ali Ahmadzadeh, der Regisseur von „Critical Zone“, konnte seinen Film nur in der Form realisieren, weil er heimlich und ohne Genehmigung drehte.

Entsprechend spielt in den Filmen von „Visions of Iran“ der Protest eine große Rolle. „Traditionell versuchen wir bei dem Festival die zivilgesellschaftlichen Bewegungen im Iran möglichst breit abzubilden. Der Fokus hat sich jetzt in den letzten Jahren, hervorgerufen durch die Bewegung ‚Frau, Leben, Freiheit‘ stark auf diese Thematik ausgerichtet.“

Die Spielfilme machen die Frauenbewegung im Iran zum Thema

Ayat Najafis „The Sun will Rise“ ist ein eindrückliches Beispiel dafür. Darin geht es um ein Theaterensemble, das trotz der ausbrechenden Proteste mit den Proben für Aristophanes „Lysistrata“ weitermacht. Der Spielfilm inszeniert sich als Dokumentation und begleitet die Schauspielerinnen und Schauspieler bei ihren Konflikten, etwa wenn einige protestierende Menschen bei ihnen Zuflucht suchen. Der Film zeigt selten mehr als den unteren Körper der Beteiligten, wodurch er auch im geschützten Raum, in dem die Proben stattfinden, die Verfolgung des Staates präsent hält.

„The Sun will Rise“ zeigt auch den Konflikt zwischen Exiliranern und denen in der Heimat. Das Verhältnis der Gruppen zueinander beschreibt Amin Farzanefar: „Jahrzehntelang standen sich Iraner im Ausland und diejenigen, die im Iran leben, mit Misstrauen gegenüber. Obwohl sich die Verhältnisse insgesamt fast gar nicht ändern, ist die Gesellschaft selber doch so dynamisch, dass jeweils die junge Generation mit der vorigen nur noch wenig Anknüpfungspunkte hat.“ Die Jugend müsse sich in ihrem Wunsch nach einem freien Leben und freier Liebe immer wieder neu behaupten. „Und wenn man ein paar Jahre nicht im Iran war, wie beispielsweise dann der Regisseur Ayad Najafi, dann gilt man dann für die Jüngeren schon fast als nicht dazugehörig. Auch wenn er im Iran geboren und sozialisiert ist und soweit er kann auch immer da arbeitet.“

Mittlerweile sei dieser Graben durch die Proteste etwas aufgeweicht worden. „Es gab überall Demonstrationen, es gab Solidaritätskundgebungen und es gibt eine große Hoffnung, dass sich im Iran wirklich etwas ändert, was vielen Iranern in Diaspora und Exil vielleicht die Rückkehr ermöglichen könnte“. Auch „Was hast du letzte Woche geträumt, Parajanov?“ greift das Verhältnis der Gruppen zueinander auf. Darin dokumentiert der Berliner Faraz Fesharaki, wie er sich zehn Jahre lang mit seinen Eltern in Isfahan online ausgetauscht hat.

Ein Iran-Bild jenseits der Proteste

Auch abseits der Proteste gibt es viel über den Iran zu erzählen. Amin Farzanefar meint, dass unser Iran-Bild von einer als düster und restriktiv erlebten Stimmung geprägt ist. „Aber natürlich lebt dort trotz allem eine vielfältige Gesellschaft, die eine unglaublich weit zurückreichende Kulturgeschichte hat.“

Die Kuratoren wollen zudem ethnische oder religiöse Minderheiten im Iran abbilden, etwa Kurden, Balutschen, Turkmenen oder die Millionen afghanischer Geflüchteter. „Wir versuchen auch immer Kurzfilme zu zeigen, weil die es mit der Zensur ein bisschen leichter haben als die Langfilme. Gerade da kann man außerordentlich viel entdecken. Die iranischen Animationsfilme etwa haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten unglaublich entwickelt.“

Zur Veranstaltung

Visions of Iran. 6. bis 9. Juni im Filmforum NRW im Museum Ludwig. Einzelticket: 10 Euro/ermäßigt 7 Euro, Festivalpass 40 Euro. An der Abendkasse nur Barzahlung möglich, geöffnet 30 Minuten vor Veranstaltungsbeginn. Alle Informationen gibt es hier.

Zur Person

Amin Farzanefar, geboren 1965 in Köln, ist Journalist und Filmkurator. 2005 erschien sein Buch „Kino des Orient – Stimmen aus einer Region“ im Verlag Schüren in der Edition ARTE. Neben dem iranischen Filmfestival „Visions of Iran“ kuratierte er unter anderem die Filmreihen „Tüpisch Türkisch“ und „Forever Young“ über Mumienfilme aus aller Welt.